»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: Ein angebliches Gilgamesch-Relief. |
John Fisch (*1942; †1984) gab 1979 erstmals sein grenzwissenschaftliches »Magazin 2000« heraus. Ich war einer der ersten Autoren dieses Blatts. Am 14. Juni 1979 berichtete ich in München über »Die Sache mit den Urtexten«. Nach meinem Vortrag sprach mich John Fisch an. Er fragte mich, ob ich nicht ein Buch für seinen jungen Verlag schreiben wolle. Stolz berichtete ich dem sympathischen John Fisch, dass ich »kürzlich« ein Manuskript zum Thema »Astronautengötter« abgeschlossen hatte. John Fisch bat mich, ihm das Manuskript zu schicken. Zu meiner unbeschreiblichen Freude entschied er, das Buch zu publizieren. Ich beschloss, mein Theologiestudium abzubrechen. Bereits Weihnachten 1979 erschien mein erstes Buch, »Astronautengötter – Versuch einer Chronik unserer phantastischen Vergangenheit« im Verlag von John Fisch, Luxemburg. Im Oktober 2013 erschien eine neuerlich überarbeitete und aktualisierte Ausgabe meines Erstlings im Verlag von Werner Betz als eBook (2).
Einige meiner Ex-Kommilitonen empörten sich über den Passus: »Den Robotern begegnen wir aber
nicht nur in der griechischen Mythologie, sondern auch im Alten Testament, wo sie als Gehilfen der Götter gefährliche Aufgaben erfüllen müssen. … Einige Menschen werden vor der atomaren Vernichtung von Sodom und Gomorrha in die beiden Städte geschickt, um Lot und dessen Familie sowie seine nächsten Verwandten zu warnen und zu retten. Ebenso im Auftrag der Astronautengötter bewachen mit fürchterlichen Waffen ausgerüstete Cherubim Gebiete, die von Menschen nicht betreten werden dürfen. Mit dem ›flammenden blitzenden Schwert‹ sind sie den Menschen mit ihren primitiven Waffen haushoch überlegen.«
Foto 2: »Astronautengötter« (Originalausgabe 1979). |
Vom legendären Gilgamesch-Epos existieren verschiedene Fassungen. Diverse Fragmente wurden gefunden. Als Gesamtepos ist es ab der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. bekannt. Älter freilich ist die sumerische Erzählung »Gilgamesch und Ḫumbaba«, die von den Redakteuren des Gilgamesch-Epos verarbeitet wurde.
Es gibt keine Statue aus alten Zeiten, die definitiv Gilgamesch darstellen soll. Im Louvre kann man in der »Abteilung für orientalische Altertümer« im Richelieu-Flügel (Erdgeschoss, Raum 4) ein Flachrelief bestaunen, das gern als Darstellung des legendären Gilgamesch bezeichnet wird. Paul-Émile Botta hat das Kunstwerk bei Ausgrabungen in den Jahren 1843 und 1844 gefunden. Das Flachrelief gehörte einst zur Fassade des Thronsaals im assyrischen Palast von Sargon II in Khorsabad Dur Šarrukin (Assyrien, heute Irak). Es soll im 8. Jahrhundert v.Chr. entstanden sein.
Vor rund vier Jahrtausenden verbreitete »Ḫumbaba«, das wissen wir aus der mesopotamischen Mythologie, Angst und Schrecken. Wer oder was war »Ḫumbaba«, alias »Ḫubaba«, alias »Ḫuwawa«? Mir scheint, das wussten die Verfasser der mysteriösen Texte (3) vor vier Jahrtausenden nicht. Das monströse Wesen, so überliefern es die alten Texte, wurde von Gott Enlil eingesetzt, um Menschen am Betreten einer Region am Libanon zu hindern. Warum?
Enlil genoss höchstes Ansehen, galt er doch als Hauptgott des sumerischen und akkadischen Pantheons. Er wurde als »König von Himmel und Erde, König der Länder, Vater der Götter« gepriesen und in verschiedenen Heiligtümern angebetet. Nippur (sumerisch Nibru, akkadisch Nibbur) war eine sumerische Stadt, deren Geschichte bis in 5. Jahrtausend v. Chr. zurückgeht. Sie liegt etwa 180 km südöstlich des heutigen Bagdad (Irak). Wie bedeutsam der Gott einst war, das verrät sein Ehrentitel, der da lautete »König von Himmel und Erde, König der Länder, Vater der Götter«.
Enlil setzt nun ein Monster zum Schutz einer bewaldeten Region, heute im Libanon gelegen, ein. Lesen wir nach bei James B. Pritchard (4) im Kapitel »Akkadian Myths and Epics« (»Akkadische Mythen und Epen«):
»Um den Zedernwald zu schützen,
als Terror für die Sterblichen hat Enlil ihn ernannt.
Ḫumbaba – sein Brüllen ist die Sturmflut,
sein Mund ist Feuer, sein Atem ist Tod.«
Foto 3: Mein Erstling »Astronautengötter« in der Ullstein Taschenbuchausgabe. |
Dietz-Otto Edzard (6): »Gilgames(ch) wird von einem ›Schrecken‹ oder ›Glanz‹ getroffen, den der aufgescheuchte Waldwächter losläßt.« In einer Fußnote versucht Dietz-Otto Edzard zu erklären (7): »Version ›A‹ verwendet nf-te ›Angst‹ für die Strahlen, mit denen sich Ḫuwawa schützt und mit denen er einen Feind bekämpfen kann. Für die dem Totenhaupt Ḫuwawas noch anhaftenden ›Auren‹ gebraucht Version ›A‹ den Ausdruck ›me-läm‹ ›(Strahlen)glanz‹. Version ›B‹ bietet dagegen me-läm für den gegen Gilgames ausgesandten ›Glanz‹ sowie für die ihm später ausgehändigten Schutzstrahlen.«
Ḫuwawa lässt also etwas gegen Gilgames(ch) los: »Schrecken« oder »Glanz«, »schützende Strahlen«, die sowohl der Verteidigung als auch dem Angriff dienen können. Offensichtlich geht von diesen Waffen noch Gefahr aus, als Ḫuwawa schon besiegt danieder liegt.
Bei dem »Glanz« handelte es sich nicht um eine optische Verschönerung, sondern um eine Waffe (8): »Kam der Glanz des Ḫuwawa wie ein Speer herangeflogen.« Insgesamt verfügte Ḫuwawa über sieben dieser Glanzwaffen. Als Ḫuwawa Gilgamesch und seinen Begleiter Enkidu bemerkt, feuert er seinen ersten »Schreckensstrahl« ab. Unklar ist, ob Ḫuwawa Waffen ablegt oder abfeuert.
Nach wie vor sind die verschiedenen Textfassungen nur bruchstückhaft erhalten. Es fehlen immer wieder Teile, wenn Fragmente von Tontafeln wieder zusammengesetzt werden. Selbst wenn längere Textpassagen erhalten sind, sind da und dort ganze Zeilen oder nur Wortfragmente unleserlich geworden. Leider verschlechterte sich der Zustand der kostbaren Texttafeln in den vergangenen Jahrzehnten. Samuel Noah Kramer (*1897; †1990), Autor eines Bestsellers über Sumer (9), fertigte 1947 mit großer Sorgfalt Kopien der altehrwürdigen Texte an. Seither bröckelten leider Teile der Tafeln ab.
Es bleibt einiger Raum für Spekulationen. In der Wissenschaft versucht man, Textlücken zu schließen. Man ergänzt. Aber wie? Das Problem: Je nachdem, wie man die Textlücken füllt, kann bei jedem Interpreten etwas ganz anderes herauskommen. Je nachdem wie man die Textfragmente übersetzt, können wiederum ganz unterschiedliche Bedeutungen herauskommen. Je größer die Schäden am Text, je größer die Lücken im Text sind, desto mehr Fantasie kommt zum Einsatz, um einen Text zu komplettieren. Meiner Meinung darf man keine Interpretation eines Textes von vornherein ausschließen.
1969 schlug Erich von Däniken in seinem zweiten Weltbestseller »Zurück zu den Sternen« vor, dass es sich bei Ḫuwawa um einen Roboter gehandelt haben könnte (10). Ich teile seine Meinung.
Heftige Diskussionen löste »Kapitel 10« meines Buches »Astronautengötter« aus: »Kampfmaschinen der Götter?« Besonders intensiv debattiert wurde über das Unterkapitel »Roboter in der Mythologie verschiedener Völker!« Ich widmete in meinem Erstling »Astronautengötter« vorzeitlichen Robotern ein eigenes Unterkapitel »Roboter in der Mythologie verschiedener Völker« und forderte schließlich (11):
Foto 4: »Astronautengötter« (polnische Ausgabe). |
Man muss allerdings die Frage stellen, wie groß die Bereitschaft ist, bislang anerkannte Übersetzungen zu verwerfen und durch neue zu ersetzen. Wer in der wissenschaftlichen Welt der Universitäten Karriere machen möchte, wird darauf verzichten, als gesichert geltende Übersetzungen anzuzweifeln und womöglich fantastisch anmutende Übersetzungen zu bevorzugen. Wer im Elfenbeinturm der Wissenschaften empor steigen möchte, baut auf altbewährte Fundamente auf und zieht sie nicht in Zweifel. Der Universitätsdozent mit Ambitionen möchte Professor werden. Also wird er in seinen Publikationen die Ansichten »seines« Professors nicht anzweifeln, sondern bekräftigen. Der Professor wird ihn dann fördern. Andersdenkende, die offen zu neuen Ideen und Vorstellungen gehen, werden hingegen gern lächerlich gemacht. Was altehrwürdige Texte angeht, so haben neue, vermeintlich kühne Übersetzungen zunächst so gut wie keine Chance.
Nach Erscheinen meines Erstlings »Astronautengötter« erhielt ich immer wieder Einladungen. Man bat mich, über mein Buch den einen oder den anderen Vortrag zu halten. Besonders heftig wurde im Anschluss meiner Vorträge darüber diskutiert, ob es sich bei Ḫuwawa tatsächlich um einen Roboter gehandelt haben kann, der mit fürchterlichen Waffen ausgestattet war. Zu meiner großen Verblüffung erklärte mir ein Besucher eines meiner Vorträge in Unterfranken, als fast alle übrigen Teilnehmer schon gegangen waren: »Ḫuwawa kann natürlich ein Roboter gewesen sein! Der echte Golem war ja ganz bestimmt einer!«
War Ḫuwawa auch ein Roboter, eine Art Golem?
Fußnoten
(1) Langbein, Walter-Jörg: »Astronautengötter – Versuch einer Chronik unserer phantastischen Vergangenheit«, Luxemburg 1979. Das Buch erschien zunächst als gebundene Ausgabe, später – auch bei John Fisch – als überarbeitetes Softcover, schließlich bei Ullstein als Taschenbuch und in diversen fremdsprachigen Übersetzungen.
(2) https://www.amazon.de/Astronauteng%C3%B6tter-Walter-J%C3%B6rg-Langbein-ebook/dp/B00FVTXRT6/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&dchild=1&keywords=Langbein+Astronauteng%C3%B6tter&qid=1593362877&s=digital-text&sr=1-1
(3) Pritchard, James B.: »Ancient Near Eastern Texts«, Princeton University Press, Princeton, 1969. Übersetzung aus dem Englischen: Walter-Jörg Langbein.
(4) Ebenda, Seite 79, rechte Spalte, »Tablet III, IV. Originalzitat:
»To safeguard the Cedar Forest,
As a terror to the mortals has Enlil appointed him.
Ḫumbaba - his roaring is the storm-flood,
his mouth is fire, his breath is death.«
(5) Dietz-Otto Edzard: »Gilgames(ch) und Ḫuwawa/ Zwei Versionen der sumerischen Zedernwaldepisode nebst einer Edition von Version ›B‹«, Bayerische Akademie der Wissenschaften/ Philosophisch-Historische Klasse, Sitzungsberichte Jahrgang 1993, Heft 4, Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Kommission bei der C. H. Beck’schen Verlagsbuchhandlung München, 1993
(6) Ebenda, Seite 10, 8.-10. Zeile von oben
(7) Ebenda, Seite 10 unten und Seite 11 unten, Fußnote 25
(8) Ebenda, Seite 24/67.
(9) Kramer, Samuel Noah: »Die Geschichte beginnt mit Sumer«, Frankfurt a.M. 1959
(10) Däniken, Erich von: »Zurück zu den Sternen/ Argumente für das Unmögliche«, Düsseldorf 1969, Seite 269, 8. Zeile von unten bis Seite 270, 11. Zeile von unten
(11) Langbein, Walter-Jörg: »Astronautengötter/ Die Chronik unserer phantastischen Vergangenheit«, Ullstein-Taschenbuch, Berlin 1995, Seite 91, 3.-14. Zeile von oben
Zu den Fotos
Foto 1: Ein angebliches Gilgamesch-Relief. Foto Wikimedia commons/ public Domain/ Jastrow
Foto 2: »Astronautengötter« (Originalausgabe 1979). Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Mein Erstling »Astronautengötter« in der Ullstein Taschenbuchausgabe. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 4: »Astronautengötter« (polnische Ausgabe). Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
561. »Von der Magie des göttlichen Namens«,
Teil 561 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 18. Oktober 2020
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