Samstag, 27. März 2010

Ria: Text- Helga König

Sylvia B.s "menière desaster", das ich heute Vormittag rezensiert habe, hat mich an meine im Alter von 47 Jahren verstorbene Tante denken lassen, die auch immer wieder über Schwindelanfälle klagte, sich aber nicht in ärztliche Behandlung begab, weil sie dafür keine Zeit zu haben glaubte, sondern stattdessen vierzehn Stunden am Tag arbeitete und schließlich sehr qualvoll an Krebs verstarb.

Mein Eindruck damals war, dass sich Ria selbst zerstört hatte. Als meine Cousine mir später berichtete,  ihre Mutter habe  in den letzten Tagen vor ihrem Ableben nur noch verzweifelt geschrien: "Gerd, Du hast mich nie geliebt", bestätigte sie mir meine Annahme, dass die Ursache ihrer Krankheit die Jahrzehnte langen seelischen Verletzungen durch ihren Ehemann waren, der immerfort Nebenbeziehungen unterhielt, weil dies seinem Naturell entsprach. Ria wusste, dass ihr Mann nicht monogam war und warf ihm sein Verhalten nicht vor. Ihren Kummer fraß sie in sich hinein, über Jahre.

Der hübschen Ria wurden ähnlich wie Sylvia, schon früh Disziplin beigebracht. Auch sie war überdurchschnittlich intelligent, hatte keine Probleme in der Schule, erfüllte die Hoffnungen ihrer durch den Krieg gebeutelten Eltern mit viel Eifer, bis sie zu Beginn der 60er Jahre schwanger wurde. Noch bis in die 80er Jahre hinein war es ein Skandal, wenn eine junge Frau alleinerziehende Mutter wurde. Ein "anständiges" Mädchen heiratete bzw. wurde geheiratet. Die damalige Moral ließ in Kleinstädten und auf dem Land kaum etwas anders zu.  Eine unverheiratete Mutter war zu diesem Zeitpunkt immer noch ein "Fräulein" und mit einem Kind an der Hand gewissermaßen stigmatisiert.

Zwei Jahre Spießrutenlaufen folgten für Ria bis Gerd sie endlich ehelichte. Meine Großmutter kümmerte sich um den Sohn ihrer Tochter. Für Ria stellte die neue Situation ein Karriereabbruch dar, von dem sie sich nie wieder erholen sollte und der zu aberwitzigen Erwartungshaltungen ihrer Tochter gegenüber führten. Von Stund an gönnte sich Ria zwanzig Jahre hindurch keine ruhige Minute mehr. Alles sollte perfekt funktionieren, nichts sollte mehr an den Makel erinnern, nur unter großen Schwierigkeiten geheiratet worden zu sein. Die Ehe wurde seitens meiner Großmutter und der Mutter Gerds arrangiert, wie ich als kleines Kind beim unkonzentrierten Spielen den Gesprächsfetzen der Erwachsenen entnehmen konnte. In den verbalen Scharmützeln dieser Ehe kam dies dann wohl immer wieder zur Sprache. Keiner erträgt Zwang auf Dauer.

Ich sah wie sich meine Tante veränderte, nach meiner heutigen Erkenntnis an einer Angstdepression litt. Ihre Bereitschaft für Dritte alles zu tun und sich aufzuopfern, kannte jeder und viele nutzen ihre Hilfsbereitsschaft schamlos aus. Sie verausgabte sich, um anerkannt, vielleicht auch um geliebt zu werden von allen, weil sie es nicht ertrug, dass ihr Mann sie nicht um ihrer selbst Willen geheiratet hatte.

Ihre Ruhelosigkeit machte mich in späteren Jahren nervös. Ich verstand nicht, wieso sie sich so klein machte und demütigte. Sie hatte es nicht nötig, der Zuneigung dieses Mannes mit Starallüren hinterher zu wieseln. Den unbeachteten Gleichgewichtsstörungen folgte Atmennot. Ihr Körper hatte sich Lungenkrebs ausgesucht, um dem seelischen Schmerz ein Ende zu setzen. Vermutlich sucht sich jeder die Todesart aus, die die Seelenlage im Laufe der Zeit entwickelt . Wie schön ist es, mit 95 Jahren einfach morgens nicht mehr aufzuwachen......

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