Sonntag, 24. April 2011

66 »Das Geheimnis der Feuerräder«

Teil 66 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Ein Feuer lodert auf, die Flammen züngeln hoch in die Nacht. Schwarz heben sich die Konturen von Menschen von der Feuersglut ab. Sie scheinen um die Feuersglut zu tanzen...und plötzlich löst sich etwas aus dem Osterfeuer etwas. Es ist eine Scheibe, ein Rad, ein Feuerrad. Es wird Richtung Tal gestoßen.



Kanonenschläge donnern und der Schall wird weit hinaus in die österliche Nacht getragen. Langsam dreht sich das erste Feuerrad um die eigene Achse... Es wird immer schneller... und saust den Berghang hinab, immer schneller und schneller. Es gerät ins Trudeln, rollt aber schwankend und wankend immer weiter und weiter hinab ins Tal. Irgendwo in der Dunkelheit der Nacht stürzt es, fällt und lodert auf... Applaus brandet auf. Je weiter hinab es gelangt, desto besser soll die Ernte ausfallen, so besagt es ein alter Volksglaube.

Sechs Osterräder kommen Ostersonntag für Ostersonntag in Lügde – seit 1979 meine Heimat – zum Einsatz. Jedes dieser Räder hat einen Durchmesser von 1,70 m. Jedes Rad besteht aus vier Lagen Eichenholz. Massive Stahlbolzen halten sie zusammen. Zwei gekreuzte Balken bilden die Speichen.

Der Feuerräderlauf von Lügde
Wichtiges Detail: Im Zentrum eines jeden Rades befindet sich ein etwa faustgroßes Loch. Durch dieses Loch wird eine fast fünf Meter lange Stange aus Buchenholz gesteckt. Sie verhindert, dass das Rad beim rasanten Weg ins Tal umkippt und liegenbleibt. Jedes Rad wir mit etwa fünfzehn Bund Roggenstroh gestopft. Es wird eine eigens für diesen Zweck angebaute Langstrohart verwendet.

Wie alle Jahre wieder sind auch am heutigen Ostersonntag Tausende in das Städtchen Lügde gekommen, um den alten Brauch der Feuerräder zu zelebrieren. 20 000 Besucher sind keine Seltenheit. Für viele der Gäste ist der alte geheimnisvolle Brauch nur ein lustiges Volksfest... dessen heidnischer Ursprung von der Kirche gern verdrängt würde.

Heute wird jedes der sieben Zentner schweren Räder bei seinem Lauf hinab ins Emmer-Tal vom Leuten einer Kirchenglocke begleitet. Anno 1743 und 1781 aber hat die katholische Kirche versucht, den Brauch zu verbieten. Dem Herrn Bischof zu Paderborn, so heißt es, sei zu Ohren gekommen dass es im Zusammenhang mit dem Osterräder-Lauf zu unchristlichen Ausschweifungen gekommen sei.

Anno 784 soll Karl der Große höchstselbst nach Lügde gekommen sein, um in der Kilianskirche Weihnachten zu feiern. Karl der Große bekämpfte mit Nachdruck alles »Heidnische«. Er muss die heidnische »Irminsul-Säule« bei den Externsteinen gehasst haben. Für ihn war der Glaube an einen anderen als den christlichen Gott ein direkter Angriff auf seine persönliche Autorität. Christentum war Pflicht für seine Untertanen. Wer sich widersetzte, bekam das Schwert zu spüren... Vermutlich ging es dem Herrscher nicht um »den« wahren Glauben, sondern um seine möglichst alle Lebensbereiche dominierende Macht!

Die Kilianskirche von Lügde
Foto: W-J.Langbein
Karl der Große empfand den »Brauch der Osterräder« als sündiges Relikt aus vorchristlichen Zeiten. Nun ließ Karl der Große bekanntlich »Heiden«, die sich partout nicht taufen lassen wollten, niedermetzeln. (Man denke an das grässliche Blutbad von Verden!) Gegen den Osterräderlauf konnte er aber nichts ausrichten. Widerwillig gestattete er eine christianisierte Form des Jahrtausende alten Festes.

Dabei war der Ursprung dieser archaischen Feier alles andere als christlich: Vor Jahrtausenden gab es bei allen alten Völkern einen Sonnenkult. Das Feuerrad versinnbildlicht die lodernde Sonnenscheibe. Es ging in den frühen Kulten und Religionen um Tod und Leben, um Sterben und Wiedergeburt... um den Tod der Natur im Winter und um ihre Wiedergeburt im Frühling. Für viele Menschen bedeutete die Winterzeit (in anderen Gefilden: die Trockenzeit) oft lebensbedrohliche Gefahr. Lange Winter führten zu Hungersnöten. Vitaminmangel in dieser Zeit bedeutete Krankheit. Sehnsüchtig wurde der Frühling herbeigesehnt.

Das Fest der Feuerräder läutete die Herrschaft der Ostera ein. Für die Kelten war es Mutter Erde, die nach der Starre des Winters wieder neues Leben aufkeimen ließ.

Für die »Heiden« war Ostern das Fest der Wiedergeburt der Natur.... für die Christen blieb der Gedanke an die »Wiedergeburt« erhalten: als Auferstehungstermin Jesu. Nach wie vor wird Ostern nach dem alten heidnischen Mondkalender gefeiert: Ostern fällt stets auf den ersten Sonntag, der dem ersten Vollmond nach der Frühlings-Tagundnachtgleiche folgt!

Im »Oster-Fest« lebt eine heidnische Göttin weiter: Erst im Mittelalter bekam das zentrale »christliche« Fest seinen Namen: »Ostarun« (»Ostern«), abgeleitet vom Namen der Frühlingsgöttin »Ostara«, auch »Eostre«. Ostara war die Göttin der Morgenröte, auch als Venus bekannt. Sie war die Göttin der Fruchtbarkeit... Was kaum jemand weiß: der Osterhase ist das Tier der Liebesgöttin Ostera...

Verfolgen wir kurz die Spur der Göttin in die Vergangenheit: Die Frühlingsgöttin entspricht im Alten Testament der Astarte. Die Verehrung der Astarte wiederum war den Jahwe-Anhängern offiziell strengstens verboten. Salomo, der Weise, so berichtete es das erste Buch der Könige, hat dennoch Astarte angebetet. Als Herrin von Byblos dürfte sie aber schon Jahrtausende vor dem Eingott Israels angebetet worden sein. Sumerische Rollsiegel aus Lagasch zeigen sie schon um 2300 v.Chr. als Himmelskönigin. Sie führte das Regiment über Sterne und Tote.

Der Feuerräderlauf von Lügde, 24.4.2011
Foto: Walter-Jörg Langbein
Zu Ostern rollen nicht nur, altem heidnischen Brauch folgend, die Lügder Feuerräder ins Tal. Hase und Ei waren aber schon sehr viel länger die Symbole der Venus-Göttin Ostara. Wer den Brauch, Ostereier zu verschenken, erstmals zelebrierte.. wir wissen es nicht. Bekannt ist, dass sich schon die alten Perser zum Tag der Fruchtbarkeitsgöttin Eier schenkten! Fakt ist aber: Unsere »christlichen« Oster-Symbole halten uralten »heidnischen« Glauben am Leben: an die Magie des Lebens, das ewig währt.

Unser Osterbrauchtum basiert auf vorchristlichen Glaubenswelten, auf magischen Bildern vom Werden, Aufblühen, Verwelken und Absterben der Natur... und von neuerlichem Werden.

Anscheinend war der Kult mit den brennenden Feuerrädern einst in Deutschland und im angrenzenden Europa weit verbreitet. So wussten die Gebrüder Grimm von einem solchen magischen Ritus zu berichten, der sich in Konz, an der Mosel gelegen, großer Beliebtheit erfreute. Auch in Oberbayern, im Würzburger und in Kärnten ließ man vor Jahrzehnten noch die brennenden Räder rollen.

Nach einer Lebensbeschreibung des Heiligen Vincet von Agen kam der fromme Mann bei einer Kollision mit so einem »heidnischen Rad« bei Agen, Südfrankreich, ums Leben... im vierten Jahrhundert. In England und Irland war der Brauch bis ins 16. Jahrhundert bekannt.

Wie viele Kultstätten es einst in Europa gab, die dem »Feuerrad-Ritus« geweiht waren ... niemand vermag das zu sagen. Viele Jahrhunderte wurden Geschichtsaufzeichnungen von Klosterbrüdern geschrieben und kopiert. Den christlichen Mönchen waren derlei »heidnische« Feiern ein Gräuel. Sie verschwiegen sie in ihren Büchern und bekämpften sie, wo das nur möglich war.

Notgeld Lügde 1921 - 1 Mark Rückseite
Motiv Feuerräderlauf von 1920
Archiv W-J.Langbein
Heute, so scheint es, rollen die Feuerräder nach Jahrtausende altem Brauch nur noch im Lügde. So sehr ich mich darüber freue, dass auf diese Weise ursprüngliches Glaubensgut zumindest zeremoniell weiterlebt... so sehr stört mich doch der Jahrmarktscharakter heute. Das einstmals heilige Ritual wird mehr denn je eingebettet in ein Volksfest mit »Eventcharakter«. Würstchenbuden, Bierseligkeit und Musikgedudel aus Lautsprecherboxen passen nicht wirklich zur ursprünglichen Bedeutung des Fests.

Wie lange mögen die Feuerräder noch rollen? Hoffentlich noch lange. Ich bin da zuversichtlich: Die Räder haben die Christianisierung ebenso überstanden wie die chaotischen Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts und die versuchte Vereinnahmung durch die Nazis. Sie werden auch vordergründigen Jahrmarktstourismus überleben.

Einst hatte der Feuerräderlauf einen ernsten Hintergrund: Das Ritual galt dem Erhalt des Lebens, der Natur... der kommenden Ernte, die ausreichend Brot bescheren sollte. Heute werden Nahrungsmittel wie Mais und Weizen zum »umweltfreundlichen« Zusatz für Benzin (E 10) verarbeitet.... und das in einer Welt, in der mehr Menschen denn je Hungers sterben. Wir sollten uns endlich wieder der alten menschlichen Werte besinnen!


»Der Engel der Apokalypse und der Bienenkorb aus Stein«,
Teil 67 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 01.05.2011


Die Bücher von Walter-Jörg Langbein


1 Kommentar:

  1. ...ein sehr schöner Artikel über altes Brauchtum... danke Dir, Walter!
    Gruß
    Rolando

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