Sonntag, 19. Februar 2012

109 »Marae Titiroa«

Teil 109 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Moorea
Foto: Ian Sewell
Der moderne Mensch hat auch in der Südsee keine Zeit. Und so entscheidet er sich gern für das schnellste Verkehrsmittel, um die 17 Kilometer »lange« Strecke von Papeete nach Moorea zu überbrücken: Maximal zehn Minuten dauert der Flug. Allerdings muss man die Zeit addieren, die man schon vor dem Start auf seinen Flieger warten muss. Das Gepäck muss aufgegeben ... und nach der Landung wieder in Empfang genommen werden. So dauert die modernste Verbindung insgesamt länger als die »langsamste«. Zwei Alternativen gibt es: das schnelle Motorboot (ca. 30 Minuten Fahrtdauer) und ... die gemütliche Fähre.

Das schnelle Motorboot wird von Umweltschützern ungern gesehen. Wiederholt wurden Verbote ausgesprochen, durften die luxuriösen Flitzer nicht in See stechen. Ich meine: Ihr knatternder Lärm passt nicht in das Südseeidyll von Tahiti und Moorea. Ich habe mich für die »träge« Fähre entschieden, die eine Stunde benötigt ... und dafür eine Mini-Seereise bietet ... mit geradezu romantischem Südseeflair! Lachende Kinder sausen umher. Müde Einheimische sitzen auf prall gefüllten Säcken. Sie haben in Tahiti eingekauft. Da sind die Preise günstiger als auf Moorea. Die Fahrt vergeht mir viel zu schnell, wie im Flug ... und schon taucht Moorea auf.

Rucksacktouristen im Paradies
Foto: W-J.Langbein
Blauer Himmel spiegelt sich in blauem Meer. Dazwischen strahlt das kleine Eiland förmlich in sattem Grün ... meistens jedenfalls! Denn manchmal ist der Himmel auch bedeckt. Und je näher man dem Eiland kommt, desto düsterer wirken die imposanten Vulkanberge. Am Himmel zieht ein Jet seine Bahn und hinterlässt einen Kondensstreifen.

Dunkel und schroff ragen sie in den Himmel, scheinen eine gigantische Monstermauer zu bilden. Was mag den Besucher hinter der riesigen Bergkette erwarten ... die einst todbringende Lavamassen in den Himmel spien? Alles ist real, auch wenn manches wie eine für viel Geld geschaffene Filmkulisse wirkt. Die Sonne brennt stechend vom babyblauen Himmel ... bis plötzlich Wolken über der Insel aufziehen und das üppige Grün irgendwie gespenstisch aussehen lassen.

Mir kommt es so vor, als wäre die Insel von Kino-Monster »King Kong« mein Ziel.  Das Gebirge wächst wie eine Mauer aus hartem Basalt zum Himmel. Was mag mich dahinter erwarten? Städte gibt es im Südseeparadies Moorea mit seinen herrlichen weißen Stränden, »glasklaren« Lagunen und üppigster Vegetation keine. Allerdings erkenne ich auf den wogenden Wellen einen seltsamen bräunlichen Schaum und einiges an Zivilisationsmüll. Konservendosen schaukeln hier. Dort schwimmt ein Toilettendeckel. Zum Baden habe ich aber sowieso keine Zeit ... Mein ausgeklügelter Reiseplan sieht leider nur einen mehrstündigen Aufenthalt vor ... Dann muss ich mit der Fähre zurück nach Tahiti. Und so nehme ich mir am Fähr-Hafen ein Taxi ... und los geht’s.

Gut erhaltene Marae auf Moorea
Foto: W-J.Langbein
Vom Hafen aus folgen wir der Küstenstraße. Mangobäume gedeihen prächtig. Ein blechernes Schild kündigt das Dorf »Honu Iti« an. »Das bedeutet ›kleine Schildkröte‹« erklärt der Taxifahrer. Von Ferne winken einige strahlend fröhliche Frauen, schwere Lasten schleppend ... und dennoch bester Laune. Die Freundlichkeit der Menschen macht Moorea erst zum Paradies. Ob für sie der oft schwere Alltag manchmal unerträglich wird? Wenn ... dann zeigen sie es nicht.

»Sie sind aus Deutschland?« fragt mich der Taxifahrer. Als ich nicke, lacht er: »Wir leben hier im Paradies! Nicht im German Schlaraffenland ... Wir müssen arbeiten!« Dann und wann überholen wir schwitzende Rucksacktouristen, die sich die Vulkanberge hinauf quälen. Manche von ihnen recken die Faust gen Himmel und schreien etwas von »Scheiß Touristen« hinter meinem gemächlich fahrenden Taxi her ... so als seien sie selbst keine Touristen.

Wir nähern uns dem Opunohu-Tal. »Gleich sehen Sie die mysteriösen Maraes!« erfahre ich. Maraes sind Kultstätten der vorchristlichen Zeit. In der Regel waren es komplexe Anlagen, rechteckig angelegt, von einer steinernen Mauer umgeben. Im Inneren der Mauer gab es altarähnliche Steinplattformen. Auf Tahiti gab es einst pyramidenförmige »Plattformen«. Sie wurden im Rahmen der Christianisierung verwüstet und zerstört. Aber auch auf Moorea wirkten religiöse Eiferer.

Rituelle Plattform von Moorea
Foto: W-J.Langbein
So gab es an der Nordküste Mooreas im Dörfchen Papetoai einen beeindruckenden Kultplatz. Die christlichen Geistlichen der »London Missionary Society« zerstörten ihn und errichteten (1822-1827) darauf eine achteckige Kirche ... Gleichzeitig wurde alles in christlichen Augen »Unsittliche« verboten – wie die traditionellen Tänze. Paradiesische Lockerheit wurde zur sündhaften Lasterhaftigkeit erklärt. Sonntägliche Gottesdienstbesuche wurden zur Pflicht ... der Besuch von Maraes wurde verboten. Und weil diese Kultanlagen auf Tahiti trotzdem anziehend für die Menschen waren ... wurden sie planmäßig zerstört. Auf Moorea blieben einige erhalten ...

In donnernden Predigten wurden den Menschen grässliche Konsequenzen ihres traditionellen Lebenswandels vor Augen gehalten. Ihr natürlicher Umgang mit Sexualität wurde zur verdammenswerten Sündhaftigkeit, die direkt in die Hölle führte ... Mein Eindruck: Die Menschen von Tahiti wurden mit drastischen Schilderungen zu erwartender Höllenqualen ... aus dem Paradies vertrieben. Paradiesische Unschuld galt von nun an als teuflisches Laster.

Marae von Titiroa
Foto: W-J.Langbein
Das Opunohu Tal war wohl einst so etwas wie ein religiöses Zentrum. Religiös-sakrale Anlagen und steinerne Plattformen, aber auch Wohnhäuser standen dicht an dicht. 500 Bauten sind archäologisch nachweisbar. Einst lebte hier eine Gemeinschaft ... bis ihr hochentwickeltes Gesellschaftssystem von den Missionaren zerstört wurde. Die kulturellen Wurzeln wurden von Eiferern gekappt ... die Tendenz zum »tröstenden Alkohol« wuchs. Mir scheint: die Missionierung war für die Menschen von Moorea alles andere als segensreich. Das einst heilige Tal wurde nach und nach geräumt. Die Natur überwucherte rasch die einstmals heiligen Plätze. Manche wurden zerstört und »landwirtschaftlich genutzt«.

Gezielt wurde das uralte Erbe der Insel zerstört. Die alten Überlieferungen, einst ehrfurchtsvoll von Generation zu Generation weiter gereicht, wurden verboten. Die Menschen im Paradies der Südsee verloren ihre Wurzeln, ihre Identität.

Die Bücher von Walter-Jörg Langbein

»Geheimnisvolles Opunohu-Tal«,
Teil 110 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 26.02.2012


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