Sonntag, 5. Februar 2012

107 »Alten Rätseln auf der Spur«

Teil 107 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Make Make glotzt aus
dem gewachsenen Stein
Foto: W-J.Langbein
Die Osterinsel verdankt ihre Existenz gewaltigen Vulkanausbrüchen auf dem Meeresgrund. Gewaltige Lavamassen wurden aus dem Erdinneren empor gespien, formten den massiven Grundstock der Insel. Aus dem Lavagestein erkalteter Vulkane wurden die Kolosse und ihre gewaltigen Hüte gemeißelt. In Lavagestein ritzten Osterinsulaner schon vor Jahrhunderten religiös-mythologische Bilder ... an denen oftmals der Zahn der Zeit so intensiv genagt hat, dass sie kaum noch zu erkennen sind.

Wir begegnen Haien und Delphinen ... aber auch Göttern wie Make Make. Die altehrwürdigen Bildnisse scheinen, das ist mein Eindruck von mehreren Besuchen in der Südsee, immer schneller zu verwittern und ausgelöscht werden. Neben der Witterung tragen auch einheimische Führer dazu bei, die alten Kunstwerke zu beschädigen. Sie kratzen Moose weg, zeichnen mit Kreide nach. So verstärkt der Mensch Schäden, die Witterung findet noch mehr Angriffspunkte ... in den Stein geritzte Bildnisse verschwinden nach und nach ... von Gott Make Make, von Haien und Delfinen, Tintenfischen Wasserschildkröten.

Die Grenzen zwischen Realität und Fabelwelt verschwimmen in der Welt der Osterinsel. War Make Make ein reales, physisches Wesen? Wer oder was waren die geheimnisvollen Vogel-Menschen, Tier und Mensch zugleich? Auch ihre Bildnisse verwittern zusehends, werden bald nur noch in Form von Fotos oder Zeichnungen existieren.

Vogelmenschen
Foto: W-J.Langbein
Vor Ort zeigte man mir im Maßstab 1 zu 1 angefertigte zeichnerische Rekonstruktionen der alten Bilder ... Ein weiches, dünnes Spezialpapier wurde auf die Steingravur gelegt. Mit Spezialkreide wurde Zentimeter für Zentimeter jede Unebenheit auf das Papier übertragen. So wurde die Abbildung sehr viel klarer, deutlicher zu erkennen als das Original.

Wer waren diese Vogelmenschen? Sehr häufig scheinen sie vom Himmel herab auf die Erde zu springen. Oder sind es Taucher, die die Tiefe des Meeres erkunden? Wir kennen noch den Vogelkult. Von Orongo aus kann man die drei kleinen Inselchen sehen, die der Osterinsel vorgelagert sind. Von hier aus kletterten Anhänger des Vogel-Menschen-Kults die senkrecht abfallende Felswand in die Tiefe, schwammen aufs Meer hinaus zu den Inselchen. Es galt, das erste Ei einer dort brütenden Schwalbenart zu bergen ... Jeder Stamm ließ seine besten Sportler antreten. Unklar ist: Wurde der erfolgreiche Schwimmer, der mit einem Ei wieder die Steilwand emporgeklettert war, für ein Jahr zum religiösen Führer? Oder wurde diese Ehre dem Stammeshäuptling zuteil, dessen Athlet den gefährlichen Wettbewerb gewonnen hatte?

Umstritten ist, wann der mysteriöse Vogelmenschkult entstand. 800 n. Chr.? 1800 n. Chr.? Stand Gott Rongo im Zentrum, dessen heiliges Symbol der Regenbogen war? Ging es um kultisch-rituelle Zeremonien zur Erhaltung der Schöpfung? Die Wahrheit werden wir wohl nie erfahren. Wir können nur spekulativ versuchen, den Spuren alter Rätsel zu folgen.

Spuren von Mahiva
Foto: W-J.Langbein
Christlichen Missionaren war eine solche Spurensuche meist ein Gräuel. Voller Abscheu wandten sie sich ab, wenn die Einheimischen von übernatürlichen Wesen wie Geistern oder Göttern sprachen. Einst sollen solch mysteriöse Wesen Spuren hinterlassen haben, die heute weitestgehend verschwunden sind. So zog sich angeblich einst so etwas wie eine Schleifspur, stets dem Küstenverlauf folgend, um das gesamte Eiland. Dieser »Weg« wird der Gottheit Mahiva zugeschrieben. Mahiva, der Name wird gelegentlich als »Die Dunkelheit« übersetzt, soll auch für eine seltsame Spur im Stein verantwortlich sein.

Auf einer großen, ebenerdigen Steinfläche entdeckte ich bei ausgiebigen Wanderungen über die einsamste Insel der Welt unzählige nicht mehr zu erkennende Gravuren. Viele Meter zog sich über die plane Fläche ein Kuriosum: Es sieht aus, als wäre ein Vehikel mit Rädern über feuchten Zement gefahren ... und hat »Reifenspuren« hinterlassen. Natürlich handelt es sich bei der steinernen »Plattform« nicht um Beton. Die beiden parallel verlaufenden Spuren sind auch nur wenige Millimeter tief. Sie verlaufen quer über Risse im Stein. Nach dem sonntäglichen Gottesdienst hatte ich Gelegenheit mit dem Geistlichen zu sprechen. Der Gottesmann freute sich sehr über mein Interesse an der Osterinsel. Auf die mysteriöse Doppelspur angesprochen, reagierte er verärgert: »Das hat mit Mahiva und Aberglauben zu tun!« Abrupt brach er unser Gespräch ab.

»Reifenabdrücke« im Stein
Foto: Walter-Jörg Langbein
Verschwunden ist nicht nur »Ara Mahiva« (»Mahivas Straße«), die einst rund um die Insel führte. Verschwunden sind auch sorgsam gepflasterte Wege. Sie führten, das haben intensive Recherchen vor Ort bei mehreren Besuchen ergeben, nicht vom Steinbruch weg ... und auch nicht zu Plattformen mit Statuen.
Die Wege endeten sehr häufig ... bei aus Steinbrocken aufgetürmten Pyramiden. Im Museum erhielt ich die Erklärung, bei den Pyramiden habe es sich um einfache »Steinhaufen« gehandelt. Früher habe man die Lavaklumpen bei Aufräumungsarbeiten gesammelt und aufgetürmt. Sehr überzeugend ist diese Erklärung nicht. Es ist richtig: die Osterinsel ist von Millionen von kleinen bis großen Lava-Klumpen übersät. Selbst wenn man früher diese Brocken als störend empfunden und zusammengetragen haben sollte ... dann hätte man doch nicht die Wege zu den pyramidenförmigen Steinhaufen gepflastert.

Wahrscheinlicher ist, dass es sich um Mahnmale handelte – zu Ehren von in kriegerischen Auseinandersetzungen gefallenen Kämpfern. So soll es direkt bei den Pyramiden steinerne Podeste gegeben haben, auf denen die Toten aufgebahrt wurden, bevor sie in Ehren bestattet wurden ... etwa in oder unter den »Pyramiden«? Im Museum zeigte man mir einen stark ausgebleichten Druck, der angeblich nach einer »zeitgenössischen Darstellung gefertigt« wurde. Zu erkennen sind eine Pyramide, ein gepflasterter Weg und zwei runde Podeste, über die man eine Bahre mit einem Toten legte. Was ist aus den gepflasterten Wegen, was aus den Pyramiden geworden? Hat man sie als »Steinbrüche« missbraucht?

Gepflasterter Weg zu einer Pyramide an der Küste
Foto: Archiv W-J.Langbein
1957 machte Thor Heyerdahl bei Ausgrabungen unmittelbar am »Rano Raraku«-Steinbruch eine sensationelle Entdeckung: eine einzigartige Statue! Alle übrigen Statuen stehen und haben die Arme seitlich an den Körper angelegt. Die Hände sind seltsam abgewinkelt und deuten auf den Nabel hin. Beine haben die Statuen nicht. Sie enden an der Gürtellinie.

Heyerdahls Ausnahme-Statue aber ist komplett bis zu den Füßen. Und sie steht nicht, sondern sie sitzt. Kurioseste Bezeichnungen wurden erfunden. Manche sehen in der Ausnahmestatue einen »sitzenden Buddha«, andere eine »alte Frau«. Wen oder was die seltsame Figur darstellt ... noch heute haben manche Insulaner Angst vor dem steinernen Wesen. Ein böser Geist beseele die Kreatur.
Warum wurde nur eine einzige »Ganzkörperstatue« in sitzender Position angefertigt? Warum wurde dieses Unikat vollkommen vergraben? Sollte sie den Steinbruch bewachen?

Hockende Statue
Foto: W-J.Langbein
Seit mehr als drei Jahrzehnten bin ich alten Rätseln auf der Spur. Eines habe ich lernen müssen! Skepsis ist immer angebracht, wenn lautstark verkündet wird, dass wieder ein archäologisches Rätsel gelöst worden sei. Thor Heyerdahl zum Beispiel behauptete, alle Geheimnisse um die Osterinselriesen aufgeklärt zu haben. In seinem Weltbestseller »Aku Aku«, 1957 erstmals in Oslo erschienen, schildert er, wie angeblich mit primitiven Mitteln die Steinriesen mit einfachen Steinfäustlingen aus dem Vulkan gemeißelt worden seien. Anschließend habe man sie mit primitiven Seilen über Land gezerrt und mit Holzstangen, Seilen und untergeschobenen Steinen aufgerichtet.

Thor Heyerdahl erweckt in Wort und Bild den Eindruck, es sei ihm mit einigen Insulanern gelungen, experimentell diese seine Theorie zu beweisen. So heißt es zum Beispiel als Bildunterschrift zu einem Foto, auf dem wackere Insulaner mit Steinfäustlingen auf eine Steinwand einschlagen (1): »Eine Statue wird im Steinbruch des Vulkans ausgehauen – zum ersten Mal wieder seit Hunderten von Jahren. Im Vordergrund liegen die Steinbeile und die Flaschenkürbisse, die die gesamte Ausrüstung bei dieser Arbeit darstellten.«

Heyerdahls Experiment misslang
Foto: W-J.Langbein
Die Realität sieht ernüchternd aus: Heyerdahls Experiment misslang, auch wenn er in seinem Buch das Gegenteil suggeriert! Die emsigen Steinmetze mussten nach Tagen mit blutigen Händen aufgeben. Es gelang ihnen eben nicht (anders als von Heyerdahl suggeriert), eine Statue aus dem Steinbruch zu schlagen. Allenfalls die Konturen des Kopfes sind, wenige Zentimeter »tief« gelungen. In diesem Zustand wartet noch heute die von Heyerdahls willigen Gehilfen erst begonnene Statue seit mehr als einem halben Jahrhundert auf Vollendung. Ich habe erhebliche Zweifel, dass das Werk je fortgeführt werden wird.

Wer alten Rätseln auf der Spur die Welt bereist, wird immer wieder feststellen, dass sich so manches Geheimnis einer raschen Aufklärung widersetzt. Steine lassen sich meist nicht wie ein Buch lesen ... Das aber macht für mich den besonderen Reiz der alten Mysterien aus.

Ritzzeichnung eines
großen Fisches
Foto W-J.Langbein
Fußnote
1) Heyerdahl, Thor: »Aku Aku«, Berlin 1972, rechts von Seite 104, Foto unten
.
.
»Die Steine von Moorea«,
Teil 108 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 12.02.2012

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