Sonntag, 25. Oktober 2015

301 »Apostelin der Apostel«,

301 »Apostelin der Apostel«,
Teil 301 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein



Kreuzweg Kloster Corvey

»Nahe bei Corvey stand ehemals eine schöne Propstei. Von wem aber und wann solche er bauet, habe ich nirgends finden können!«, notierte Christian Franz Paullini (1643-1712) in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Freilich hat der studierte Theologe und Arzt Paullini speziell bei Historikern nicht unbedingt den besten Ruf. Manche halten ihn für einen Scharlatan, der vermeintlich wichtige mittelalterliche Quellentexte fälschte. Hat der gute Paullini also geflunkert, als er behauptete, gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Ruinen von »tom Roden« noch selbst gesehen zu haben?

Theologe und Arzt Paullini

Der Historiker Paul Wigand (1786-1866), der mit den Gebrüdern Grimm eng befreundet war, betonte immer wieder, vom ominösen Kloster »tom Roden« sei nicht mehr die kleinste Spur zu finden.  So entstand im 19. Jahrhundert ein regelrechter Historikerstreit, wo denn nun »tom Roden« gestanden haben mag. Erst 1976 wurde »tom Roden« wieder entdeckt, und das eher zufällig. (1)

So leicht ließ sich die Erde freilich die altehrwürdigen Mauern nicht entreißen. Nachdem man zunächst ohne größeren Erfolg mit Spaten und Schaufel ans Werk gegangen war, setzte man schließlich einen Bagger ein. Auf einem Areal von immerhin 4000 Quadratmeter Größe musste zunächst die Humusschicht abgetragen werden. Dann standen die Archäologen vor einer eher unansehnlichen Steinwüste. »Größere und kleinere Steinbrocken, Mörtel Stücke von Holzkohle und Reste von Wandputz breiteten sich wie eine dicke Decke über dem Gebiet aus. Für den Archäologen ist aus dieser Materialzusammensetzung erkennbar, daß es sich hier um Schutt handelt, der beim Abbruch steinerner Gebäude handelt. Aus dieser dichten Schuttdecke schauten an einigen Ecken Steinlagen hervor, die wie regelmäßig verlegt aussahen und die noch in einem Mörtelverband lagen. Von diesen Stellen her wurden die Arbeiten aufgerollt.«, vermeldet »Höxtersches Jahrbuch« anno 1981 (2). Kloster »tom Roden« war wieder entdeckt worden.

Kirche »Maria Magdalena« von »tom Roden«

Auch wenn das Mauerwerk der Klosterkirche »Maria Magdalena« und der dazu gehörenden Gebäude weitestgehend verschwunden ist, sprich weggeschleppt und wieder verarbeitet wurde, gab es einige sensationelle Erkenntnisse…. Sozusagen in der »Unterwelt« des Klosters.

So verfügte die Klosteranlage »tom Roden« vor mehr als einem halben Jahrtausend über eine Warmluftheizungsanlage, die den Mönchen die kalte Winterszeit doch erheblich erträglicher machte. Es war eine Art Fußbodenheizung… in einem Mönchskloster vor einem halben Jahrtausend.

Recht modern mutet die Wasserversorgung im Kloster »tom Roden« an. Offenbar gab es fließendes Wasser. Zum System gehörten ein Wasserbecken (Staubecken?),  eine Rohrleitung. Genutzt wurde, so wird angenommen,  ein »Drucksystem« (3). Mehr als fortschrittlich müssen für die damalige Zeit die »WCs« der Mönche gewesen sein. So durchlief den Ost-Trakt ein Kanal, in den ein Bach umgeleitet wurde. Wie Fußbodenheizung und hauseigener Kanal funktionierten, lässt sich im Detail leider nicht mehr vollständig rekonstruieren.

Reste eines praktischen Kanals...?

Gesundheitlich bedenklich waren die Bleirohre, die Trinkwasser führten. In wieweit es unter den Mönchen tatsächlich zu Bleivergiftungen und  frühzeitlichem Tod kam, ist meines Wissens bis heute nicht wissenschaftlich untersucht worden. Vielleicht werden ja noch die im Klosterbereich aufgefundenen Gebeine entsprechend analysiert. Sind es Mönche, deren Knochen bei Ausgrabungen im Kloster »tom Roden« gefunden wurden? Oder wurden auch Laien beigesetzt? Wurden Menschen, die sich um das Kloster besonders verdient gemacht hatten, durch Beisetzung im Kloster selbst geehrt?

Hinter diesen Mauern wurde Maria Magdalena verehrt

Das Kloster »tom Roden« war der Maria Magdalena geweiht. Maria Magdalena muss eine besondere Rolle für das Kloster gespielt haben. Leider wurden ja im »tom Roden« keine sakralen Kunstwerke gefunden, die auf die Stellung Maria Magdalenas im Glauben der Mönche Hinweise geben könnten. Was von Wert war, haben die Mönche natürlich beim Auszug aus dem Kloster mitgenommen. Das Siegel des Klostervorstands von »tom Roden« indes spricht eine deutliche Sprache. Man kann es – ohne ein einziges geschriebenes Wort – wie ein Buch lesen. Das Siegel hing an einer Urkunde von 1356. Dem Propst von »tom Roden« wurde gestattet, eine Landwehr einzurichten, um gegen angreifende Feinde gewappnet zu sein.

Das Siegel hat ovale Form, läuft oben und unten spitz zu.  Im Zentrum steht ein Baum. Links vom Baum erkennen wir eine hohe, männliche Gestalt mit angedeutetem Heiligenschein. Rechts vom Baum kniet eine weibliche Gestalt. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind hier Jesus und Maria Magdalena dargestellt. Die Szene spielt am Grab Jesu (4):

»Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten.


Himmel über »tom Roden«
Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 
Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.

Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.

Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!

Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.

Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.«

Auf dem Siegel sehen wir Jesus neben einem Baum. Dargestellt ist eine der - meiner Meinung nach -  wichtigsten Textstellen des Neuen Testaments. Eben noch hat Maria Magdalena Jesus für den Gärtner gehalten. Jesus aber gibt sich jetzt zu erkennen. Um als Apostel anerkannt zu werden, muss ein Mensch die Auferstehung Jesu vom Tode bekunden können und von Jesus einen Auftrag erhalten. Nach  dem nach Johannes benannten Evangelium war es Maria Magdalena, die den Jüngern im Auftrag Jesu mitteilt, dass er gen Himmel auffahren wird. Demnach war Maria Magdalena die Apostelin der Apostel!

Jesus und Maria Magdalena auf dem Siegel...Zeichnung Langbein

Unter der Jesus-Maria-Magdalena-Szene kniet ein Mensch, vermutlich soll Propst Heinrich von Spiegel zum Desenberg dargestellt werden, der Jesus und Maria Magdalena seine unterwürfige Referenz erweist. Ganz offensichtlich genoss Maria Magdalena im Kloster »tom Roden« höchste Verehrung.

Stundenlang bin ich in der Klosterruine von »tom Roden« umhergegangen, habe fotografiert. Ich bin in die Reste des Kanals gekrochen, habe das Mauerwerk der alten Fußbodenheizung untersucht. Wichtiger aber als technische Errungenschaften der Mönche von »tom Roden« scheint mir die altehrwürdige Ruine als Symbol für den Glauben zu sein.

»tom Roden« als Symbol...

Da ragen Mauerteile aus dem Boden, da klaffen Lücken. Genauso bruchstückhaft erscheint mir unser wirkliches Wissen in Sachen Ursprünge des Glaubens. Was wissen wir wirklich? Was ist uns über die Bedeutung von Maria Magdalena für den christlichen Glauben bekannt, die auch heute noch heruntergespielt wird?

Günter Weber, er war als Direktor des »Katechetischen Instituts Aachen« mit der Ausbildung und Weiterbildung von Religionslehrerinnen und Religionslehrern beauftragt, fordert (5): »Alles Lebendige muss immer wieder seine alte Gestalt hinter sich lassen, um in neuer Gestalt weiterleben zu können. Sonst bleibt es nicht lebendig. Dem Glauben geht es nicht anders.«
    

Manchmal muss aber der Glaube Verfälschungen ablegen und zu seiner alten, ursprünglichen Form zurückfinden. Im konkreten Fall ist es unbedingt erforderlich, dass Maria Magdalena im Christentum als Apostelin der Apostel anerkannt wird.

Der große Augustinus nannte Maria Magdalena »Apostelin der Apostel« und unterstreicht so ihre besondere Rolle für das Christentum. Mit Maria Magdalena könnte die über fast zwei Jahrtausende verdrängte weibliche Seite des Christentums den christlichen Glauben endlich wieder vollständig werden lassen. Wird zu Beginn des dritten nachchristlichen Jahrtausends endlich entdeckt, dass Maria Magdalena eine Schwester der modernen Frau von heute war, selbstständig, selbstbewusst und aktiv?

Fußnoten

Loderte hier das Feuer für die Heizung?
1) Siehe hierzu auch… Stephan, H.G.: »Archäologische Studien zur Wüstungsforschung im südlichen Weserbergland. Münstersche Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte«, Hildesheim 1978
2) »Höxtersches Jahrbuch«, »Band VI/ 1981«, herausgegeben vom »Heimat- und Verkehrsverein der Stadt Höxter e.V.«, Höxter 1981, S.4
3) ebenda, S. 24
4) Das Evangelium nach Johannes Kapitel 20, Verse 11 bis 18
5) Weber, Günter: » Ich glaube, ich zweifle«, Zürich, Düsseldorf 1996, Rückseite

Zu den Fotos:

Theologe und Arzt Paullini - zeitgenössisches Porträt. Gemeinfrei 

Jesus und Maria Magdalena auf dem Siegel: Meine Zeichnung zeigt nur den oberen Teil des Siegels, es fehlt die kniende Gestalt unter der Jesus-Maria-Magdalena-Szene

ALLE ÜBRIGEN FOTOS: Walter-Jörg Langbein



302 »Maria Magdalena, Räuber und Widukind II«,
Teil 302 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 01.11.2015



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