Sonntag, 18. November 2018

461 »Acht Drachen mit geringeltem Hinterleib«

Teil 461 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein



Foto 1: Die Abdinghofkirche von Paderborn

Stündlich fährt eine S-Bahn von Hannover über Hameln, Bad Pyrmont, Lügde und Altenbeken direkt nach Paderborn. Die S5 fährt – Stand Herbst 2018 – von Gleis 1 fünf Minuten zur vollen Stunde (4 Uhr 55 bis 21 Uhr 55) und erreicht ihr Ziel nach einer Fahrzeit von 1 Stunde und 51 Minuten. Wer gut zu Fuß ist, kann vom Hauptbahnhof den Marsch zum Dom antreten. Wer es gern etwas bequemer hat, nimmt sich ein Taxi und lässt sich zur Abdinghofkirche, direkt beim Dom gelegen, kutschieren.

Der Name »Abdinghofkirche« entstand erst im 13. Jahrhundert und lässt sich vom lateinischen »curia abbatis«, »Hof des Abts«, herleiten. Der »Abdinghof« war also der »Hof des Abts«. Mit anderen Worten: Die Ländereien gehörten dem Abt.

Foto 2: Bischof Meinwerk
Der Legende nach geht die Gründung der doppeltürmigen Abdinghofkirche auf Bischof Meinwerk von Paderborn (*um 975; †1036) zurück. Angeblich plante der Kleriker Großes. Vier bedeutende Kirchen im Stadtgebiet von Paderborn sollten die Eckpunkte eines riesigen Kreuzes ergeben. Den Mittelpunkt sollte im Zentrum der Dom markieren. An den vier Enden des Kreuzes sollten vier Klöster stehen. Allerdings kam es nur zur Gründung von zwei der vier geplanten Klöster: »St.Peter und Paul« (Abdinghofkirche) im Westen und das Kanonikerstift »St. Peter und Andreas« (Busdorfkirche/ Foto 3) im Osten. Angeblich wollte Bischof Meinwerk in seiner Stadt den »christlichen Erdkreis« darstellen.

Neuere archäologische Ausgrabungen (Foto 4) allerdings widerlegen die fromme Legende, Bischof Meinwerk habe den Grundstein des Abdinghofklosters gelegt. Nach aktuellem Kenntnisstand dürfte das Kloster erst einige Jahrzehnte nach Bischof Meinwerks Tod gegründet worden sein.

Die Geschichte des Abdinghofklosters weist Höhen und Tiefen auf. Fast ein Jahrtausend Geschichte könnten Bände füllen. Drei Spotlights sollen etwas Licht ins Dunkel der Vergangenheit bringen. Als menschenverachtende Periode muss die Zeit der Hexenprozesse bezeichnet werden. Der Hexenwahn wütete auch im Umfeld des Abdinghofklosters. Nüchtern stellt »historicum.net« fest (1): »Zwischen circa 1510 und 1702 sind Hexenprozesse gegen 260 Personen nachweisbar. Sie endeten in mindestens 204 Fällen mit der Hinrichtung oder dem Tod in der Haft, in 18 Fällen mit der Freilassung, der Ausgang der restlichen Verfahren ist unklar. 

Der Anteil der Frauen liegt bei rund 70 %. Kinder wurden nur vereinzelt angeklagt.« Besonders unrühmlich tat sich aus heutiger Sicht der Paderborner Theologieprofessor Bernhard Löper in den Jahren zwischen 1656 und 1659 hervor. Der Exorzist löste eine wahre Hexenjagd aus, um seine persönlichen Gegner zu bekämpfen (2).

Foto 3: Die Busdorfkirche von Paderborn

Anno 1803 wurde die Abdinghof-Abtei im Rahmen der Säkularisation aufgelöst. In den altehrwürdigen Klostergebäuden wirkten von nun an keine frommen Mönche mehr. Die Räumlichkeiten dienten dem preußischen Infanterie Regiment »Friedrich von Hessen« als Kaserne. Anno 1806 zog das Regiment ab, napoleonische Truppen rückten nach und verwandelten die Kirche in ein Futtermagazin und Pferdestall. 

Anno 1945 wurden die Abdinghofkirche und das Abdinghofkloster massiv von den Verbänden der »USAAF« bombardiert. Militärische Bedeutung hatten diese Ziele nicht. Uraltes Kulturgut wurde gezielt bombardiert. Hitlers »Deutsches Reich« war längst besiegt, als am 22. und 27. März 1945 eine Luftmine und Brandbomben Abdinghofkirche und Abdinghofkloster trafen und die sakralen Gebäude weitestgehend zerstörten.

Foto 4: Hier (Pfeile) haben Archäologen gegraben.

Die einstigen Klostergebäude aber extrem verwüstet und mussten 1952 abgerissen werden. Am 8. Mai 1945 endete der Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs. Das Bombardement von Paderborn hatte Ende des Krieges keine Berechtigung mehr. »Die Welt« urteilt (3): »Zu dieser Zeit ging es längst nicht mehr darum, mit den Angriffen eine Entscheidung herbeizuführen. Militärisch hatte Hitler-Deutschland schon längst verloren.« Evangelische wie katholische Christen unterstützten die fachkundigen Arbeitskräfte, so dass der Wiederaufbau zügig voranschritt. Am 17. März 1951 konnte die Kirche, am 25. Dezember 1957 die Krypta wiedereingeweiht werden.

111 Minuten benötigt die S5 von Hannover nach Paderborn. Wenige Minuten benötigt man, um in die »Unterwelt« hinab zu steigen. Von beiden Seitenschiffen aus führen Treppen hinab. Die Krypta des Gotteshauses ist meiner Meinung nach sehr viel wichtiger als beispielsweise das erst 2008 vom Axel Kebernik gestaltete Lesepult mit den Darstellungen der Apostel Paulus und Petrus an der Vorderseite. Die neuzeitlichen Figuren wirken älter als sie sind: Sie wurden sakralen Kunstwerken aus dem 19. Jahrhundert nachempfunden.

Der legendenhaften Überlieferung nach wurde die Krypta (zu Deutsch die »Verborgene«) der Abdinghofkirche am 2. Januar 1023 von Bischof Meinwerk dem Märtyrer Stephanus geweiht. Stephanus gilt als erster Märtyrer der Christenheit. Er wurde um das Jahr 40, also wenige Jahre nach der Kreuzigung Jesu, wegen seines Glaubens zu Tode gesteinigt. Aber stammt die Stephanus-Krypta auch von Bischof Meinwerk? Ließ der legendäre Kirchenmann wirklich den unterirdischen Raum komplett neu anlegen? Wohl kaum!

Mich fasziniert die »Stephanus-Krypta« mehr noch als der Dom zu Paderborn. Wann ich immer nach Paderborn komme, steige ich in die verborgene Welt hinab. Besonders krass ist der Kontrast an Markttagen, wenn man aus dem Getümmel von tausenden von Besuchern in die wohltuende Stille der Krypta gelangt. Die Krypta wurde als dreischiffige Halle mit Tonnengewölben angelegt. Auffällig sind die durchaus Vertrauen erweckenden Säulen. An der Südseite gibt es drei Vierpasssäulen, an der Nordseite zwei weitere Vierpasssäulen. Ich rate jedem Besucher dieser mystischen Unterwelt: Nehmen Sie sich ausreichend Zeit. Setzen Sie sich erst einmal in einer der Bänke und lassen sie die förmlich greifbare Stille auf sich wirken. Kommen Sie erst ein wenig zur Ruhe. Ihre Augen gewöhnen sich dann auch an das Halbdunkel des unterirdischen Raums.
Foto 5: Die Abdinghofkirche
Der Überlieferung nach wurde der Sarkophag von Bischof Meinwerk am 5. Juni 1036 in einer Nische der Krypta aufgestellt. 1958 wurde der steinerne Sarg in die Busdorfkirche, Paderborn, überführt. Unklar ist, wann die Krypta angelegt wurde. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde sie nicht erst für die Abdinghofkirche angelegt. Wir wissen, dass die einstige Abteikirche einen Vorgängerbau hatte. Fakt ist: Anno 1000 n.Chr. machte ein großer Stadtbrand einen Neubau des Gotteshauses erforderlich. Der Vorgängerbau und der Vor-Vorgängerbau dürften bereits über eine Krypta verfügt haben, die wohl kleiner war als die heute noch erhaltene. Häufig liest man, die Arbeiten an der Krypta hätten im frühen 11. Jahrhundert begonnen. Ich halte es für sehr viel wahrscheinlicher, dass damals umgebaut und erweitert wurde.

Schon einige Jahre gab es Pläne, im Boden der Krypta einen Heizkörper einzubauen. Doch bevor man diese Annehmlichkeit für Besucher des Gotteshauses schaffen konnte, mussten Archäologen ans Werk. Sie sollten die Unterwelt unter der Unterwelt erkunden, bevor man mit dem Einbau der Heizung beginnen konnte. Es sollten ja keine Hinweise auf Vorgängerbauten beschädigt oder gar zerstört werden. Anno 2014 stießen Archäologen  im Auftrag des LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) unter dem Boden der »heutigen« Krypta auf Reste einer älteren Krypta. Und dabei gruben die Archäologen nur einen Meter tief. Was sie wohl in noch größerer Tiefe entdeckt hätten?

Ein Archäologe, der auch heute noch für die Kirche arbeitet, versicherte mir, dass im 11. Jahrhundert beim Wiederaufbau der abgebrannten Abdinghofkirche zumindest erhebliche Teile einer sehr viel älteren Ringkrypta zerstört wurden. Einige der Säulen, die heute kaum das Interesse eiliger Besucher auf sich lenken, könnten deutlich älter sein. 

Foto 6: Blick in die Krypta der Abdinghofkirche

Ring-Krypten gibt es heute so gut wie gar nicht mehr. Die älteste befand sich im Vorgängerbau des heutigen Petersdoms, in »Alt-St.Peter«, anno 324 von Konstantin dem Großen über dem vermuteten Grab des hl. Petrus errichtet. Die Ringkrypta wird auf das Jahr 590 datiert. Seltenes Beispiel:  die St.-Luzi-Kirche in Chur, Schweiz. Als Besonderheit der ehemaligen Klosterkirche gelten ihre beiden Krypten. Eine echte Rarität ist die karolingische Ringkrypta aus dem 8. Jahrhundert. Die zweite Krypta ist wesentlich jünger. Die romanische Hallenkrypta stammt aus dem 12. Jahrhundert. Die karolingische Krypta wurde als halbrunder, tonnengewölbter Gang angelegt. In seinen Wänden wurden Nischen eingelassen, vermutlich für die Gebeine von Heiligen oder bedeutenden Vertretern der hohen Geistlichkeit. Doch zurück nach Paderborn. Wann mag die Ringkrypta von Paderborn entstanden sein, auf deren Reste man erst vor wenigen Jahren stieß?

Foto 7: Der Altar in der Krypta der Abdinghofkirche

Und welche Teile der ältesten Krypta sind bis heute erhalten geblieben? Paderborn.de macht auf ein geradezu fantastisches Kuriosum in der Krypta aufmerksam. Direkt beim Altar der Krypta befindet sich eine Säule mit einer mehr als mysteriösen Darstellung auf dem Kapitell. Zum Glück kann der interessierte Betrachter die vier Seiten auf dem Kapitell in Augenhöhe genau studieren. Was sieht man da? Paderborn.de beschreibt den Sachverhalt sehr präzise und zutreffend (4):

»Das Tierkapitell zeigt acht Drachen mit geringeltem Hinterleib, Flügeln und einem kleinen Spitzbart am Kopf. Diese mythischen Drachen waren seit der Antike bis ins hohe Mittelalter Sinnbild für Naturkräfte, die hier vermutlich die Wasserquellen der Pader schützen sollten. Diese Schlangendrachen sind hier eine kunstgeschichtliche Kostbarkeit.«

Fotos 8a und 8b: Zwei der acht Drachen

Fußnoten
(1) https://www.historicum.net/de/themen/hexenforschung/lexikon/alphabetisch/p-z/ (Stand 21. September 2018)
(2) Decker, Rainer: »Die Hexenverfolgungen im Hochstift Paderborn«, in: »Westfälische Zeitschrift« 128 (1978) S. 315-356.
(3) https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article140674954/So-zerstoerten-Bomben-deutsche-Staedte-eine-Bilanz.html (Stand 21. September 2018)
(4) https://www.paderborn.de/tourismus-kultur/sehenswuerdigkeiten/Abdinghofkirche_Sehensw.php (Stand 21. September 2018)

Zu den Fotos
Foto 1: Die Abdinghofkirche von Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Bischof Meinwerk. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Die Busdorfkirche. Foto Walter-Jörg Langbein Foto 4: Hier wurde von Archäologen gegraben. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Hier (Pfeile) haben Archäologen gegraben, bevor die Heizung eingbeuat wurde. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Blick in die Abdinghofkirche. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Blick in die Krypta der Abdinghofkirche. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Der Altar in der Krypta der Abdinghofkirche. Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 8a und 8b: Zwei der acht Drachen. Fotos Walter-Jörg Langbein

462 »Mysteriöse Pflanzen und gefährliche Drachen«,
Teil 462 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 25.11.2018



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