Sonntag, 5. Dezember 2010

46 »Das Wunder von Guadalupe«

Teil 46 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Die größte Pilgerkirche der Welt ist die Basilika von Guadalupe. Sie wurde gebaut, weil vor fast einem halben Jahrtausend ein armer getaufter Azteke eine Marienerscheinung hatte. Millionen Pilger strömen an den Ort des Geschehens und besuchen das Gotteshaus. Emsige Verkäufer bieten Souvenirs der religiösen Art an. Sie sind aber sehr zurückhaltend und keineswegs so aufdringlich wie an manch’ anderem sakralen Ort der Christenheit.

Händler vor der Basilika von Guadalupe
Foto: Walter-Jörg Langbein
Auf dem Weg zum Gottesdienst hatte Juan Diego eine geheimnisvolle Erscheinung. Die Gottesmutter sei ihm begegnet. Davon war der gläubige Azteke, der zum Christentum übergetreten war, überzeugt. An der Stätte der Erscheinung, so forderte es Maria, solle ein Gotteshaus errichtet werden. Juan Diego berichtete über den himmlischen Auftrag dem Bischof. Der aber war skeptisch und forderte einen Beweis.

Der Wunsch des skeptischen Kirchenmannes beunruhigte Juan Diego sehr. Wie würde Maria, so er sie denn überhaupt noch einmal sehen durfte, auf die doch wohl kränkende Skepsis reagieren? Die Erscheinung erwies sich zur Freude Juan Diegos, als sehr geduldig. Sie willigte ein. Juan solle am 12. Dezember 1531 erneut kommen. Dann werde sie einen unumstößlichen Beweis dafür liefern, dass sie – die Gottesmutter – tatsächlich mit ihm, einem einfachen Indio gesprochen habe.

An jenem 12. Dezember freilich erkrankte der Onkel Juan Diegos schwer. Juan Bernardino, so schien es, würde bald sterben. Sein Neffe solle nur rasch einen Priester herbeiholen. Juan rannte los, befürchtete aber, von der Jungfrau aufgehalten zu werden. So nahm er einen Umweg in Kauf, mied bewusst jene Stelle, an der er mehrfach die Erscheinung gesehen hatte. Die Erscheinung aber »schnitt ihm den Weg ab«, fragte, warum er denn nicht zu ihr gekommen sei, so wie man es doch abgesprochen habe.

Die Maria von Guadalupe
auf einem Heiligenbildchen
Foto: Walter-Jörg Langbein
Als die edle Frauengestalt von der Erkrankung des Onkels vernahm, da lächelte sie nur milde und erklärte, der Onkel sei durch ein Wunder genesen. Und genau das sei auch wirklich geschehen – behaupten zumindest glaubhafte Dokumente aus dem 16. Jahrhundert.

Juan Diego erhielt einen kurios anmutenden Befehl. Er solle umgehend jene Stelle, an der er zum ersten Mal die Erscheinung gesehen habe, aufsuchen und ganz bestimmte Knospen und Blüten einsammeln. Am angegebenen Ort fand der Indio aztekischer Herkunft tatsächlich Knospen und Blüten, obwohl ja Trockenzeit war, obwohl es also nichts Grünes, geschweige denn Knospendes oder gar Blühendes geben durfte. Eigentlich war der Befehl, den Juan Diego ausführen sollte, unsinnig. Und doch machte er sich auf den Weg.

Zu seinem Erstaunen fand er, mitten in der Trockenzeit, an der angegebenen Stelle ... ein Meer von Knospen und Blüten. Juan Diego pflückte sie gehorsam, und sammelte sie in seiner Tilma, einem schürzenähnlichen Umhang. Wieder suchte Bischof Juan de Zumarrage auf. Der Bischof und weitere hohe Würdenträger, zum Beispiel Bischof Don Sebastian Ramirez y Funeral, waren zugegen, als der getaufte Azteke seine Tilma öffnete.

Die Knospen und Blüten, die es eigentlich zu jener Jahreszeit gar nicht geben konnte, fielen zu Boden. Auf dem Umhang Juan Diegos war plötzlich ein wunderschönes Bildnis zu erkennen, »das geliebte Bild der Vollkommenheit, der heiligen Jungfrau Maria, der Mutter Gottes«. Das überzeugte Bischof Juan de Zumarrage. Er und seine Gäste knieten ergriffen nieder und beteten. Der Bischof erfüllte nun den Auftrag der Erscheinung. Auf seinen Befehl hin wurde am Erscheinungsort eine Kapelle errichtet.

Fast ein halbes Jahrtausend ist seit jenem denkwürdigen Ereignis vergangen... Ich habe nach ausgiebigem Literaturstudium zusammengefasst, was in dieser Zeit geschah!

1649: Nican Mophua übersetzt ältere Beschreibungen der Ereignisse von Guadalupe ins mexikanische Nahuatl. Die Kunde vom »Wunder« wird im ganzen Land bekannt. Immer mehr Pilger strömen an den mysteriösen Erscheinungsort.

1695: Die Kapelle am Erscheinungsort ist für den wachsenden Pilgerstrom viel zu klein geworden. Sie muss einer Kathedrale weichen.

1754: Papst Benedikt anerkannt das »Wunder der Jungfrau von Guadalupe« als echt.

1970: Die Kathedrale droht einzustürzen. Das Gebäude weist starke Schäden auf. Teile der Kathedrale haben sich deutlich gesenkt. Risse sind entstanden. Ein Besuch der Kathedrale wird immer gefährlicher. Man will nicht so lange warten, bis es zu einem Unglück kommt. Experten werden befragt. Sie halten erhebliche Renovierungsarbeiten für unbedingt erforderlich... als Minimallösung. Mit Nachdruck fordern sie aber einen Neubau.

Der Vorgänger der heutigen Basilika von
Guadalupe. Foto: Walter-Jörg Langbein


1976: Eine Basilika wird neben die Kathedrale gebaut. Sie bietet 40 000 Menschen Platz.

1981: Papst Johannes Paul II. besucht die Basilika.

1990: Neuerlicher Besuch des Papstes in Guadalupe. Ein großes Denkmal erinnert an den höchsten Repräsentanten der katholischen Kirche am Erscheinungsort.

Mehr als drei Jahrzehnte besuchte ich mysteriöse Stätten von Ägypten bis Vanuatu. Immer wieder hörte ich seltsame Erzählungen und märchenhafte Legenden. Ersinnt der fromme Mensch aus Sehnsucht nach Beweisen für seine Religion wundersame Geschichten, die mit der Realität nichts zu tun haben? Das »Wunder von Guadalupe« ereignete sich in einer für die katholische Kirche äußerst günstigen Zeit!

Mit den mordenden Eroberern aus Europa waren auch Missionare zu den Azteken gekommen. Sehr überzeugend waren die Geistlichen nicht. Verkündeten sie doch das Christentum als Lehre der absoluten Nächstenliebe ... während ihre Glaubensgenossen mit Grausamkeit gegen die Azteken vorgingen, um möglichst viel Gold zu erbeuten. Die Missionare wurden weitestgehend abgelehnt... bis sich das »Wunder von Guadalupe« ereignete. Plötzlich mieden die Einheimischen nicht mehr die Missionare. Sie suchten sie auf und baten, den christlichen Glauben annehmen zu dürfen. In kürzester Zeit ließen sich Millionen von Menschen taufen!

Das Bildnis der Maria von Guadalupe -
Wunder oder Fälschung?
Foto: Walter-Jörg Langbein
Die Überlieferung über das Wunder von Guadalupe mutet dem modernen, skeptischen Menschen von heute wie eine unglaubwürdige Legende an. Wunder machen dem »modernen« Rationalisten, auch wenn er das nicht zugeben mag, Angst. Der »aufgeklärte« Skeptiker lehnt Wundersames grundsätzlich ab. Er protestiert lautstark, aber letztlich ängstlich, gegen die Existenz von Unerklärbarem...

In Theologenkreisen wird unterstellt, sie entbehre jeder historischen Grundlage. Man habe die Story nur erfunden, um den Menschen Zentralamerikas eine »eigene« Maria bieten zu können. Und in der Tat: Nach dem »Wunder« wurden die Nachfahren der einst stolzen Azteken katholisch. Aber genügt dies als Beweis dafür, dass das »Wunder von Guadalupe« reine Fiktion ist? Was ist Tatsache, was ist Fiktion?

Das verehrte Bildnis, so höre ich immer wieder, sei auf ganz natürliche Weise entstanden, ein unbekannter Künstler habe es vor Jahrhunderten gemalt. Für viele Theologen sind »Wunder« heute nicht mehr vermittelbar. Zumindest glauben »moderne« Theologen, dass unsere so wissenschaftliche Zeit keine Wunder mehr anerkennen mag. Also muss die »Maria von Guadalupe« eine Fälschung sein.

Das aber ist falsch. Und: Es ist schon ein Wunder, dass wir heute die Maria auf Juan Diegos Tilma überhaupt noch bewundern können!


»Beweise für ein Wunder«,
Teil 47 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 12.12.2010

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