Teil 576 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
»Unsere Augen glauben an sich selber,
unsere Ohren glauben anderen Menschen,
unsere Intuition glaubt der Wahrheit.«
(Urheber: unbekannt)
Dies ist der virtuelle Schreibtisch von Walter-Jörg Langbein, Sylvia B., g.c.roth und verschiedenen Gastautoren.
Teil 576 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
»Unsere Augen glauben an sich selber,
unsere Ohren glauben anderen Menschen,
unsere Intuition glaubt der Wahrheit.«
(Urheber: unbekannt)
Teil 575 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: Ruine auf dem »Großen Waldstein«.
Nach Erich von Däniken (*14.4.1935) sind Charles Hoy Fort (*1874; †1932) und der britische Schriftsteller Douglas Noël Adams (*1952; †2001) meine Lieblingsautoren. Von Douglas Noël Adams stammt die einzige vierbändige Romantrilogie in fünf Teilen: »Per Anhalter durch die Galaxis«.
1979 erschien Band 1 im englischen Original:»The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy«. Die deutsche Übersetzung »Per Anhalter durch die Galaxis« folgte 1981. 1980 schob Adams Band 2 nach: »The Restaurant at the End of the Universe«. Die deutsche Übersetzung (»Das Restaurant am Ende des Universums«) stand 1982 zur Verfügung. Diesem zweiten Band stellte Adams ein bizarr anmutendes Wort voraus (1):
»Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.«
In Band 5 der vierbändigen Trilogie – »Mostly Harmless«, 1992 erschienen – geht es um wirklich fantastisch Anmutendes. Die deutsche Übersetzung – »Einmal Rupert und zurück« (1993) – habe ich mir wieder zu Gemüte geführt, als ich mich intensiv mit der Sagenwelt des Frankenlandes beschäftigte. Douglas Noël Adams lässt Außerirdische die Reporterin Tricia McMillan von ihrem Heimatplaneten in ein Paralleluniversum entführen. Selbst eingefleischte Douglas-Adams-Enthusiasten wissen nicht, dass Entführungen in Parallelwelten schon in uralten Sagen vorkommen. Beschrieben wird der fantastische Sachverhalt freilich in der Regel nicht technisch-futuristisch, sondern poetisch-märchenhaft. Da wird bei der Burgruine Nordeck im schönen Frankenland ein junger Mann durch ein Felsentor in eine »Parallelwelt« entführt. Dort lockt »eine reizende Jungfrau in königlicher Tracht« einen Schäfer »auf dem Köterberg« durch ein Felsentor in eine Parallelwelt (2). Bei der »Ruine Blankenhorn« über Eibensbach (Baden-Württemberg) ist es eine »Jungfrau in Weiß«.
Ludwig Zapf (*1829; †1904) war Besitzer und Redakteur des »Münchberger Amts- und Wochenblattes«. Mit Akribie sammelte er Sagen aus dem Frankenland. 1873 fungierte er als Herausgeber eines Werkes über den »Sagenkreis des Fichtelgebirges« (3). 1886 folgte sein Sammelwerk »Waldsteinbuch«, randvoll mit Sagen über den »Großen Waldstein« im Fichtelgebirge. Der »Große Waldstein« ragt fast 900 m in den Himmel und macht so dem »Ochsenkopf« (1.000 m.) Konkurrenz. Er ist mit seinen bizarr anmutenden Felsverwitterungen als Filmkulisse geeignet. Hier könnten im Film irdische Astronauten eine ferne Planetenwelt erkunden. In verfallendem Gemäuer könnten Vampire hausen.
Der »Große Waldstein« muss schon vor Jahrtausenden Menschen angezogen haben. Auf dem Gipfel wurden bei Ausgrabungen steinzeitliche Mikroklingen, Schaber und durchbohrte Anhängerfragmente aus Jurahornstein gefunden. Jurahormstein kommt im Fichtelgebirge nicht vor. Wer auch hier siedelte oder nur kurz Rast machte, muss von weiter her gekommen sein. Aus Jurahornstein wurden in der Steinzeit scharfkantige Werkzeuge wie Schaber und klingen hergestellt.
Wer den »Großen Waldstein« wandernd und kletternd erkundet, der wird immer wieder auf Mauerreste aus unterschiedlichen Epochen stoßen. So stand einst am nordöstlichen Fuß des Schüsselfelsens eine Burg. Sie wurde vor rund einem Jahrtausend gebaut, aber schon zwei Jahrhunderte später dem Verfall überlassen. Kleine Teile des Bergfrieds sind heute noch zu erkennen. Andere Ruinenreste gehen auf Mauern zurück, die womöglich im 8. Jahrhundert als Teil einer Verteidigungsanlage entstanden sind. Vieles bleibt rätselhaft.
Nach einer Sage, Ludwig Zapf hat sie aufgezeichnet, gibt es auch im »Großen Waldstein« ein Felsentor in eine andere Welt. Eine Mutter, so heißt es, war am Johannistag unterwegs mit ihrem Kind. Bei einer Felsgruppe gab es köstliche Beeren. Und plötzlich nahm die Frau das offene Tor im Fels wahr. Sie hob sich ihr Kind Auf Den Arm und erkundete das Tor. Hinter dem Tor tat sich eine Höhle auf.
Hans Seiffert erzählt (5): »Neugierig trat sie ein. Ringsumher lagen aufgehäuft blinkende Schätze. Drei weißgekleidete Jungfrauen winkten sie heran und forderten sie auf, von dem Golde zu nehmen, was sie mit einer Hand erfassen könne. Die Frau setzte ihr Kind nieder, raffte mit beiden Händen in den Goldhaufen und lief aus der Höhle, um ihren Schatz zu bergen. Als sie nochmals zurück wollte, um noch mehr zu holen, fiel die Höhle mit lautem Krachen zu. Entsetzt dachte sie an das Kind und tiefes Leid bedrückte ihr Herz. Tagtäglich stieg sie zum Berge, irrte um die Felsen und weinte. Die Höhle aber blieb verschwunden. – So war ein Jahr verflossen. Am Johannistage stieg sie wieder zum Waldstein empor und … und fand die Höhle offen. Sie eilte hinein. Ihr Kind saß am Boden und spielte mit einem roten Apfel. Freudig lachte es der Mutter entgegen. Diese riß das Kind an sich, herzte und drückte es und verließ, ohne sich umzusehen, die Höhle.«
Douglas Noël Adams hat eine bizarre Welt entwickelt und in seinen Bestsellern beschrieben. Nicht minder geht es in der Sagenwelt meiner oberfränkischen Heimat, und nicht nur da, zu. In den Romanen wie in den Sagen geht es um Reisen in Parallelwelten und retour. Wenn in alten Sagen von solchen Reisen berichtet wird, sind das Belege für die Existenz solcher Parallelwelten? Parallelwelten werden in der wissenschaftlichen Literatur durchaus ernst genommen. Der Physiker Bryce Seligman DeWitt (*1923; † 2004) zum Beispiel publizierte im seriösen Wissenschaftsmagain »physicstoday« einen in der Fachwelt heftig diskutierten Aufsatz zum Thema (6).
Er prägte den Ausdruck »Many-Worlds-Interpretation« (»Viele-Welten-Interpretation«). Hugh Everett III (*1930; †1982), studierter Physiker, brillierte mit einer Doktorarbeit zum Thema (7). Er kann als einer der Pioniere der Erforschung der Realität von Parallelwelten in Multi-Universen gelten. Ich muss aber zugeben, dass selbst populärwissenschaftlich erörterte Theorien über Quantenphysik und Parallelwelten für mich nicht wirklich nachvollziehbar sind, wenn es um vermeintliche Beweise geht. Es spielt dabei keine Rolle, ob diese Arbeiten nun in englischer oder in deutscher Sprache veröffentlicht wurden (8).
Kurz gesagt: Es gibt eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten zur Realität von Parallelwelten. Es gibt seriöse Befürworter in der Welt der Wissenschaft, die zu meinen scheinen, dass die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit nur wirklich logisch begründbar ist, wenn man von der Existenz von Parallelwelten ausgeht. Stephen Hawking (*1942; †2018), der geniale Physiker, ging jedenfalls von der Realität von Parallelwelten aus je länger er sich mit dem Thema beschäftigte. Bis kurz vor seinem Tod arbeitete er mit Thomas Hertog (*1975), Physiker an der »Katholischen Universität Leuven (KU Leuven)« in Belgien, an der sogenannten ›Multiversums-Theorie‹. Kurz vor seinem Tod soll Hawking seine vielleicht wichtigste, bahnbrechende Arbeit abgeschlossen haben. Worum geht es?
»Future Zone« fasst zusammen (9): »Der berühmte Physiker Stephen Hawking hat in einer letzten Arbeit vor seinem allerdings Tod scheinbar belegen können, dass Paralleluniversen existieren.« Ob ihm das wirklich gelungen ist? Laut »Sunday Times«, das vermeldet »online focus« (10), haben die Wissenschaftler Hawking und Hertog die mathematische Grundlage entwickelt, um die Existenz von Parallelwelten zu beweisen. Stimmt das? Einigkeit scheint in der Welt der Wissenschaft über diese Frage nicht zu herrschen.
Mir kommt ein Zitat von Marie Curie (*1867; †1934), zweimal mit dem Nobelpreis für ihre Leistungen im Bereich der Chemie und der Physik ausgezeichnet, in den Sinn: »Ein Gelehrter in seinem Laboratorium ist nicht nur ein Techniker; er steht auch vor den Naturgesetzen wie ein Kind vor der Märchenwelt.« Kinder vernehmen ohne zweifelndes Staunen Berichte aus der Sagenwelt. Sie lehnen das Fantastische nicht ab, weil sie das scheinbar Fantastische für real halten können. Erwachsene hingegen bilden sich sehr viel darauf ein, vermeintlich kindliche Vorstellungen von der Realität abgelegt zu haben wie Kleidung, die ihnen zu klein geworden ist. So nehmen wir Erwachsenen aber nur noch einen Teil der Realität wahr. Fantastisch Anmutendes tun wir gern und sicher oft voreilig als »Science-Fiction« ab. Aber wie sagte Norman Mailer (*1923; †2007)? Der Verfasser von »Die Nackten und die Toten« (11):
»Was man heute als Science-Fiction beginnt, wird man morgen vielleicht als Reportage zu Ende schreiben müssen.« »Science-Fiction« mutete zu allen Zeiten recht märchenhaft an. Was gestern unmöglich zu sein schien, das wird morgen Realität und erscheint uns übermorgen als überholt. »Science-Fiction« wird in der Regel schnell von der Realität eingeholt, ja überholt. Wie lang mag es dauern, bis man sich zwischen Parallelwelten hin und her bewegen kann? In uralten Sagen ist das schon lange möglich! Ich frage noch einmal: Sind mysteriös anmutende Beschreibungen in der Sagenwelt Hirngespinste, Ergebnisse einer uferlosen Fantasie? Oder steckt Wahrheit in den alten Sagen über den »kleinen Grenzverkehr« zwischen den Welten?
Zu den Fotos
Foto 1: Ruine auf dem »Großen Waldstein«. Foto um 1911, Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Felsformation auf dem »Großen Waldstein« im Fichtelgebirge (vor 1914), Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Burgruine auf dem »Großen Waldstein« im Fichtelgebirge (vor 1914), Archiv Walter-Jörg Langbein
576. »Vom intuitiven Geist und vom rationalen Verstand«,
Teil 576 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 31. Januar 2021
Teil 574 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Wenn ich vor die Haustüre trete, sehe ich in einiger Entfernung den »Köterberg«. Hoch oben auf dem einstigen »Götterberg« ragen Beispiele heutiger »technischer Magie« in den Himmel. Für uns Heutige haben Funktürme und Sendeanlagen natürlich nichts mit Zauberei zu tun. Für Menschen, die vor wenigen Jahrhunderten lebten allerdings wäre heutige Technologie unbegreifbarer Zauber, vielleicht gar böses Teufelswerk.
Für uns Heutige wiederum sind Berichte über Felsentore, die mit Magie geöffnet und geschlossen werden können, abergläubischer Unsinn. In die gleiche Kategorie ordnen wohl die meisten Zeitgenossen heute Blumen ein, die Felsentore öffnen. Aber sind mysteriös anmutende Beschreibungen in der Sagenwelt Hirngespinste, Ergebnisse einer uferlosen Fantasie? Oder steckt Wahrheit in den alten Sagen über den »kleinen Grenzverkehr« zwischen den Welten? Foto 1: Hoch oben auf dem
Es gehörte zu den Pflichten meines Großvaters Emil Langbein, im gesamten Dienstbereich in und um Michelau polizeiliche Präsenz zu zeigen. Auf langen Dienstgängen zu benachbarten Dörfern hörte sich Oberkommissar Langbein die kleinen und großen Sorgen der Landbevölkerung an. Wo er helfen konnte, tat er das gern. Die Menschen hatten Vertrauen zu ihm. Gern ließ er sich bei Dorffesten und Kirchweihen von den Älteren Sagen vortragen, die heute wahrscheinlich weitestgehend vergessen sind. Diese alten Überlieferungen interessierten mich sehr und so ließ ich mir einige mündlich tradierte Geschichten von meinem Großvater diktieren. Emsig notierte ich, was mein Großvater vorgetragen hat. Ein Beispiel: Beim Dörfchen Thelitz, südöstlich von Lichtenfels in einem Hügelland südlich des Mains gelegen erzählte ihm eine greise Bauersfrau eine Sage von der »Springwurz« (1):
»Ein Bauer ärgerte sich über das laute und ausdauernde Hämmern eines Spechts unweit seiner Schlafkammer. Manchmal klopfte der Specht auch an Balken des einfachen Häuschens. Schließlich wurde es dem Bauern zu bunt. Er legte sich auf die Lauer und fand so heraus, in welchem Baumstamm der Specht seine Nisthöhle angelegt hatte. Als der Specht wieder einmal weggeflogen war, schleppte der Bauer eine hohe Leiter an den knorrigen Baum und kletterte mit Nägeln, Hammer und einem Brett bewaffnet empor. Er nagelte mit wuchtigen Schlägen das Brett vor den Eingang zur Behausung des Spechts. Zufrieden und nicht ohne Schadenfreude wartete der Bauer die Rückkehr des Spechts ab. Dieser freilich wusste sich zu helfen. Der Specht entfernte sich wieder und kehrte bald darauf mit einer Springwurzel zurück. Mit der Springwurzel im Schnabel flog der Specht seine Behausung an und wie von Zauberhand bewegt schnellte das vorgenagelte Brett in weitem Bogen zu Boden. ›Da ist Zauberei im Spiel!‹, dachte der Bauer nicht ohne Angst. Von nun an ließ er den Specht gewähren. Auf dem Sterbebett hörte der Bauer, dass er dem Specht die Springwurz hätte abluchsen können. Mit der magischen Pflanze hätte er Tore in eine andere Welt öffnen und unvorstellbare Schätze bergen können. Dazu aber war es zu spät.«
Tatsächlich gilt in der Sagenwelt die »Springwurz« als magische Pflanze, die nur der Specht zu finden vermag. Die »Springwurz« kann, so heißt es, Verschlossenes wie ein Zauberschlüssel öffnen. Die Springwurz gilt seit Ewigkeiten als Zauberpflanze. Sie wurde schon von Eingeweihten im »Alten Indien« beschrieben, aber auch von Plinius im römischen Schrifttum und in hebräischen Werken über magische Wirkung von Pflanzen. König Salomo soll die Magie der Springwurz genutzt haben. Auf meinen Reisen habe ich immer wieder von der »Springwurz« gehört. Uneinigkeit herrschte dabei, ob es sich dabei um eine reale, existierende Pflanze handelt und wenn ja, um welche.
Ist es »Salomons Siegel« aus der Familie der Spargelgewächse? Oder handelt es sich um eine Pfingstrosenart … oder um Johanniskraut? Ludwig Bechstein (*1801; †1860), ein deutscher Schriftsteller, Bibliothekar, Archivar und Apotheker, sammelte mit Begeisterung alte deutsche Sagen und Märchen. 1842 veröffentlichte er das Buch »Sagenschatz des Frankenlandes«. Seine wahrscheinlich wichtigste Publikation erschien erstmals 1845 in zwei Bänden: »Deutsches Märchenbuch«. War mir die »Springwurz« erstmals in der Sagenwelt meiner oberfränkischen Heimat begegnet, so verfolgte sie mich förmlich bis ins Weserbergland, wo ich seit vielen Jahren zuhause bin. Ludwig Bechstein hat die aufschlussreiche Sage vom Springwurz und dem Köterberg festgehalten (2):
»Der Köterberg an der Landscheide des paderbornschen, corveyschen und lippeschen Gebietes mag wohl ehedem Götterberg geheißen haben. Viel erzählt von ihm die Sage; daß er innen voll Schätze sei, daß an seinem südlichen bewaldeten Fuße eine Harzburg gestanden habe, deren Reste noch zu sehen, und bei Zierenburg, zwei Stunden von ihr, eine Hünenburg. Öfters haben die Hünen, die auf diesen Burgen wohnten, mit Hämmern herüber- und hinübergeworfen. Einem Schäfer, der auf dem Köterberge seine Herde hütete, erschien eine reizende Jungfrau in königlicher Tracht, die trug in ihrer Hand die Springwurz, bot sie dem Schäfer dar und sagte: Folge mir! Da folgte ihr der Schäfer, und sie führte ihn durch eine Höhle in den Köterberg hinein, bis am Ende eines tiefen Ganges eine eiserne Türe das Weitergehen hemmte. ›Halte die Springwurz an das Schloß!‹ gebot die Jungfrau, und wie der Schäfer gehorchte, sprang die Pforte krachend auf.
Nun wandelten sie weiter, tief, tief in den Bergesschoß hinein, wohl bis in des Berges Mitte. Da saßen an einem Tische zwei Jungfrauen und spannen, und unterm Tische lag der Teufel, aber angekettet. Ringsum standen in Körben Gold und Edelsteine. Nimm dir, aber vergiß das Beste nicht! sprach die Jungfrau zum Schäfer; da legte dieser die Springwurz auf den Tisch, füllte sich die Taschen und ging. Die Springwurz aber ließ er auf dem Tische liegen. Wie er durch das Tor trat, schlug die Türe mit Schallen hinter ihm zu und schlug ihn hart an die Ferse. Mit Mühe entkroch der Schäfer der Höhle und freute sich am Tageslichte des gewonnenen Schatzes. Als er diesen überzählte, gedachte er sich den Weg wohl zu merken, um nach Gelegenheit noch mehr zu holen, allein wie er sich umsah, konnte er nirgend den Ein- oder Ausgang entdecken, durch den er gekommen war. Er hatte das Beste, nämlich das beste Stück zur Wiederkehr, die Springwurz, vergessen.«
Bei der Burgruine Nordeck war es eine »Ährenkönigin«, die aus der anderen Welt in unsere Welt trat. Der »Schäfer vom Köterberg« hatte eine mysteriöse Begegnung mit einer »reizenden Jungfrau in königlicher Tracht«. Beide benützten Blumen zum öffnen des Felsentores in die andere Welt: die »Ährenkönigin« drei Lilien, die »Jungfrau in königlicher Tracht« die Springwurz. In einer anderen Sage, von der ich einige leicht voneinander abweichende Variationen hörte, öffnen Schlüsselblumen den Felseingang. Ein ähnliches Geheimnis hat Wallersberg, 453 m über dem Meeresspiegel auf einer Hochebene am östlichen Rand des malerischen Kleinziegenfelder Tals, gelegen. Hier sind es Kornblumen, die es einem Knaben ermöglichen, in eine fremde Welt hinter einem Felsentor zu gelangen. Nicht zu vergessen: Auch in den oberfränkischen Staffelberg kann man durch ein mysteriöses Tor gelangen, das sich alle 100 Jahre auftut.
Andreas Motschmann, profunder Kenner nicht nur der Sagenwelt des Frankenlandes, fasst in seinem Traktat über »Brauchtum in Deutschland« zusammen (3):
»Viele der alten Volkssagen sind sogenannte Erlösungssagen. Die Gemeinsamkeit dieser Sagenart liegt darin, dass sich beispielsweise am Johannistag – nur einmal im Jahr also – der Berg, beziehungsweise der Felsen öffnet und der Eintritt in die ›Anderswelt‹ gelingt. Dabei können nur an diesem Tage die dorthin Verbannten und so Eingeschlossenen von ihrem Schicksal erlöst werden. Der Zutritt gelingt oft nur mit einem symbolischen Schlüssel. Dieser ist meist eine ›Wunderblume‹, zum Beispiel eine Schlüsselblume, Springwurzel oder blühendes Farnkraut. Als Belohnung winken große Schätze. Geblendet vom plötzlichen Reichtum vergessen die Eindringlinge, trotz der Warnung: ›Vergiss das Beste nicht‹, das Wichtigste, eben den ›Schlüssel‹ wieder mitzunehmen, und damit ist die Chance vertan, die Verbannten zu erlösen.« Es gibt einen wahren Schatz an Sagen, die sich aber alle auf eine einzige Aussage kondensieren lassen:
Es gibt neben unserer Welt eine andere, eine Parallelwelt. Schon die Philosophen der Antike dachten darüber nach, ob es eine oder mehrere Parallelwelten gibt. Was viele Zeitgenossen heute noch als Science-Fiction abtun, das wird von Quantenphysikern ernsthaft erörtert. Werner Heisenberg (*1901; †1976), einer der bedeutendsten Physiker überhaupt, erhielt 1932 Nobelpreis für die Begründung der Quantenmechanik. So verwundert es nicht, dass sich Heisenberg ausgiebig mit der Quantenphysik beschäftigte. Seine Umschreibung des Begriffs Quantenphysik lässt mich an die mysteriösen Hinweise in der Welt der Sagen über »Anderswelten« oder »Parallelwelten« denken (4):
»Die Quantentheorie ist so ein wunderbares Beispiel dafür, daß man einen Sachverhalt in völliger Klarheit verstanden haben kann und gleichzeitig doch weiß, daß man nur in Bildern und Gleichnissen von ihm reden kann.« Die geheimnisvollen Sagen, in denen Menschen von der einen Welt durch ein Felsentor in eine andere Welt und wieder retour gelangen können, sind das Bilder und Gleichnisse? Ist die Basis dieser märchenhaft anmutenden Sagen ein uraltes, längst in Vergessenheit geratenes Wissen von der Existenz von Parallelwelten?
Der geniale Wissenschaftler Werner Heisenberg war davon überzeugt, dass es nur dann eine Weiterentwicklung zum Beispiel in der Physik geben kann, wenn altvertraute Wege verlassen werden (5): »Wirkliches Neuland in einer Wissenschaft kann wohl nur gewonnen werden, wenn man an einer entscheidenden Stelle bereit ist, den Grund zu verlassen, auf dem die bisherige Wissenschaft ruht, und gewissermaßen ins Leere zu springen. … Wenn wirkliches Neuland betreten wird, kann es aber vorkommen, daß nicht nur neue Inhalte aufzunehmen sind, sondern daß sich die Struktur des Denkens ändern muß, wenn man das Neue verstehen will. Dazu sind offenbar viele nicht bereit oder nicht in der Lage.«
Fußnoten
(1) Nach meinen handschriftlichen Notizen vom Frühjahr 1979 wiedergegeben.
(2) Bechstein, Ludwig: »Deutsches Sagenbuch«, Meersburg und Leipzig 1930, S. 205-206. (Die Rechtschreibung wurde unverändert übernommen!)
(3) Motschmann, Andreas: »Brauchtum in Deutschland/ Sommersonnenwende in Deutschland/ Brauchtum, Wetterregeln und Volksagen um den Johannistag«. http://www.cca-bolivia.com/wp-content/uploads/2014/06/Sommersonnenwende-in-Deutschland.pdf (Stand 18.9.2020)
(4 ) Heisenberg, Werner: »Physik und Philosophie«, 7. Auflage, Stuttgart 2006, S. 17 (Die Rechtschreibung wurde unverändert übernommen!)
(5) Werner Heisenberg: »Der Teil und das Ganze«, Kapitel 6, »Aufbruch in das Neue Land«, 9. Auflage, München, Februar 2012, Seite 88. (Die Rechtschreibung wurde unverändert übernommen!)
Zu den Fotos
Foto 1: Hoch oben auf dem »Köterberg«... Technische »Magie« heute. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Auch der Staffelberg hat Geheimnisse. Foto Ansichtskarte (vor 1926). Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
575. »Per Anhalter zu anderen Welten?«,
Teil 575 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 24. Januar 2021
Teil 573 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Was wissen wir von der Wirklichkeit? Wie viel Wirklichkeit können wir erkennen? In Platons berühmtem »Höhlengleichnis« sehen die Menschen nicht die Wirklichkeit, sondern nur den Schatten eines Teils der Wirklichkeit. Was nahmen unsere Vorfahren und unsere Vorvorfahren als »Realität« wahr? Der moderne Mensch glaubt, dass der Jetztmensch von heute mehr von der Wirklichkeit weiß als alle Generationen vor ihm. Aber ist das wirklich so?
Gewiss, das wissenschaftliche Weltbild unserer Tage ist sehr viel faktenreicher als vor Jahrhunderten. Aber wie war das vor Jahrtausenden? Wird uns Wissenschaft eines Tages verstehen lassen, was wir heute noch nicht begreifen können? Was wäre, wenn wir dann erkennen müssen, dass wissende Weise schon vor Jahrtausenden in bis heute verkannten oder missverstandenen Werken die Ergebnisse modernster Wissenschaft formulierten? Texte, die vor Jahrtausenden verfasst würden, dürfen aber kein wissenschaftliches Wissen bieten, das womöglich das unsere weit übertrifft! Das ließe sich mit unserer Eitelkeit nicht vereinbaren. Wir möchten uns als die Menschen wissen, die mehr von der Welt verstehen als alle Menschen vor uns.
Fußnoten
(1) »Parallelwelt«, wikipedia-Artikel. https://de.wikipedia.org/wiki/Parallelwelt
Stand 16.09.2020
(2) Hürter, Tobias und Rauner, Max: »Die verrückte Welt der Paralleluniversen«, München und Zürich 2011
(3) Vaas, Rüdiger: »Tunnel durch Raum und Zeit«, 6., erweiterte Auflage, Stuttgart 2013
(4) Reiser, Rudolf: »Götter und Kaiser«, München 1995, Seite 33 unten, Bildkommentar (Rechtschreibung wurde unverändert übernommen!)
Brief Heidi Stahl an Walter-Jörg Langbein vom 13. September 2020
(5) Gemeinde Michelau i.Obfr. (Herausgeber): »800 Jahre Michelau in Oberfranken/ Vergangenheit und Gegenwart einer fränkischen Gemeinde«, »Schriften des Deutschen Korbmuseums Michelau Nr. 3«, Michelau 1994, Seite 132, rechte Spalte unten und Seite 133, linke Spalte oben
(6) Ebenda, Seite 133, linke Spalte unten
(7) Siehe auch Langbein, Walter-Jörg: »Monstermauern, Mumien und Mysterien«, Band 2, 2. überarbeitete und aktualisierte Fassung, Alsdorf September 2019, Kapitel 19, »Der Steinerne Riese von Thelitz«, Seite 131-139
(8) Siehe auch Langbein, Walter-Jörg: »Monstermauern, Mumien und Mysterien«, Band 9, Alsdorf Januar 2020, Kapitel 27, »Vom Ochsenkopf zur unverwüstlichen Maria«, Seite 196-203
Zu den Fotos
Foto 1: »Maria im Ährenkleid«, vermutlich von Rueland Frueauf d. Ä. um 1500
Fotos 2 + 3: Mein Großvater Emil Langbein, links in Polizeiuniform, rechts in Zivil. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein.
Foto 4: Der Ochsenkopf im Winter um 1950. Der Ochsenkopf im Winter um 1950
574. »Durch Felsentore in andere Welten«,
Teil 574 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 17. Januar 2021
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Foto 1: »Maria im Aehrenkleid«. Gemälde von Hinrik Funhof (um 1480). |
Foto 2: Sigrid Radunz: »Der Staffelberg«. |
Foto 3: Der mysteriöse Staffelberg, historische Aufnahme. |
Foto 4: Der Staffelberg – sagenumwoben. |