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Sonntag, 14. Februar 2021

578. »Ein Paradoxon und sieben Welten«

Teil 578 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Adam ( nach Lukas Cranach d.Ä)
 

Das »Enkelparadoxon« wird gern angeführt, um die Unmöglichkeit von Zeitreisen zu beweisen: Ein Mann reist in die Vergangenheit und tötet seinen eigenen Großvater, bevor der ein Kind zeugen konnte. Dann kann der Vater des Zeitreisenden nicht geboren werden und der Zeitreisende selbst kommt nicht zur Welt. Es gibt also folgerichtig den Zeitreisenden gar nicht, der natürlich auch nicht seinen eigenen Großvater ermorden kann. Also wird dann der Vater des Zeitreisenden geboren, der Zeitreisende wird gezeugt, wird geboren und kann seine Reise in die Vergangenheit antreten.

Weniger blutig und aktueller ist ein aktuelleres Beispiel: Ein Wissenschaftler reist in die Vergangenheit und bewahrt den ersten Menschen, der mit dem Covid-19-Virus infiziert wurde, vor der Erkrankung. Der »Patient 0« wird also nicht vom Covid-19-Virus befallen und steckt folgerichtig auch niemanden an. »Covid-19« breitet sich nicht aus. Der Wissenschaftler hat sein Ziel erreicht: Er hat die »Covid-19-Pandemie« verhindert. Wenn es aber erst gar nicht zur »Covid-19-Katastrophe« kommt, dann wird unser Wissenschaftler nicht veranlasst, in die Vergangenheit zu reisen. Dann wird »Patient 0« nicht gerettet, folgerichtig steckt er dann doch andere Menschen an und »Covid-19« verbreitet gemeinsam mit Virologenpäpsten, Medien und Politik weltweit Angst und Schrecken.

Nach einer  angeblich wissenschaftlichen Studie  der »University of Queensland« (Brisbane, Australien) würden bei Zeitreisen derlei Paradoxa gar nicht auftreten (1): »Würde demnach ein Zeitreisender ein Ereignis in der Vergangenheit ändern wollen, wäre das Ergebnis in der Zukunft dennoch grob das gleiche.« Nach den »Berechnungen« von Wissenschaftlern der »University of Queensland« würde sich »die Zeitachse selbst korrigieren«, wenn ein Zeitreisender in der Vergangenheit etwas ändert.  Quintessenz der »wissenschaftlichen Studie«: »Wer die Vergangenheit ändert, bekommt im Grunde ein ähnliches Resultat in der Zukunft.«

Ich muss zugeben: Nachvollziehen kann ich das Konstrukt der Uni-Mathematiker nicht. Und dass sich die »Zeitachse selbst korrigieren« soll, das löst kein Problem, das schafft ein neues. Wer oder was ist diese »Zeitachse«? Und was soll sie wie veranlassen, sich so zu verändern, dass am Schluss immer ein zumindest ähnliches Ergebnis entsteht?

Zurück zum »Enkelparadoxon«. Ein Mann reist in die Vergangenheit und tötet seinen eigenen Großvater, bevor der Nachwuchs zeugen kann. Mit dieser Tat kreiert der Enkel eine Parallelwelt, eine weitere Realität. In der neuen Parallelwelt hat der ermordete Großvater keine Nachkommen, also wird in dieser Welt der Enkel nicht geboren. Parallel dazu tötet der Enkel versehentlich den Falschen. Der Großvater ist gar nicht der Vater des Zeitreisenden, der dann geboren werden und seine Zeitreise antreten kann.

In einer Realität der unendlich vielen Parallelwelten stellen Zeitreisen kein Paradoxon dar. In der Sagenwelt ist es möglich von einer Welt in eine Parallelwelt und wieder retour zu gelangen. Erkannten die Urheber diverser Sagen von »Felstoren« intuitiv die Wirklichkeit besser als sie im herkömmlichen Weltbild beschrieben wird? Ist die Wirklichkeit sehr viel phantastischer als so manche »Science-Fiction-Story«? Besteht sie aus unendlich vielen Welten, in denen alle denkbaren Zeiten und alle denkbaren Varianten zu allen Handlungsabläufen real sind? Dann kann für ein kleines Kind in einer Parallelwelt in einer »Höhle« die Zeit langsam dahin schleichen oder gar stehen, während sie in einer anderen förmlich dahin rast. Was das Ganze so faszinierend macht, das ist, dass nach der Sage eine Mutter ihr kleines Kind aus ihrer Welt in eine Parallelwelt bringt und nach einem Jahr wieder zurück holt.

Wer solche Überlegungen für müßige Fantastereien hält, sollte auf eine nähere Beschäftigung mit Max Tegmarks wissenschaftlichen Arbeiten verzichten. Denn Max Tegmark reist die engen Grenzen unseres Weltbildes ein. Besser gesagt: Er versucht es, denn die wenigsten von uns können seinen bizarr anmutenden Gedanken wirklich folgen. Was wir für die Realität zu halten bereit sind, das ist, so Tegmark, nur ein winziges Teilchen der Realität. Weil wir nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit verstehen (können), weigern wir uns über den Rest auch nur nachzudenken. Weil wir uns unsere Ahnungslosigkeit nicht eingestehen wollen, haben wir uns ein überschaubares Weltbild aufgebaut. Es ist wie ein winzig kleines Lummerland, eine Insel mit zwei Bergen, umgeben von einem tiefen weiten Meer. Dieses kleine Eiland soll uns als Realität genügen. Max Tegmark freilich fordert, dass wir unseren engen Horizont sehr viel weiter stecken (2): »Es scheint, als sei das immer tiefere Verständnis unserer Welt damit verbunden, dass wir die Realität immer aufs Neue ausweiten müssen!«

Max Tegmark hat sich auf die Suche nach dem Wesen der Wirklichkeit gemacht und »Unser mathematisches Universum«, so lautet der Titel seines vielleicht wichtigsten Werkes, entdeckt. Ich behaupte: Unsere Vorfahren haben intuitiv schon viel mehr vom Wesen der Wirklichkeit erkannt als der gebildete Mensch des beginnenden 21. Jahrhunderts. Leider belächeln viele Zeitgenossen die alten Beschreibungen einer Wirklichkeit, zu der Parallelwelten gehören, als unglaubwürdige Sagen. Leider können wir nicht erarbeiten, wie viel mysteriöses Wissen über alte Sagen wie über Brücken in unsere Zeit getragen wird. Eine systematische Sammlung der Sagen ist überfällig. Material muss gesammelt werden, systematische Überprüfungen sind erst dann möglich.

Max Tegmark entwirft ein Bild von der Wirklichkeit, das einem den Atem verschlägt. Unser Universum, das uns unvorstellbar groß zu sein scheint, erweiset sich als nur eines von unendlich vielen Paralleluniversen. Wir Menschen sind, gemessen an der Erdgeschichte, nur einen Wimperschlag auf Terra. Und doch haben wir schon viel Wissen erarbeitet. Wir haben unser Land erkundet bis wir am Meer angekommen sind. Wir haben den Ozean überwunden und die Kontinente erforscht. Wir haben erkannt, dass unser Heimatplanet nur ein kleiner Trabant unserer Sonne ist. Schließlich haben wir erfahren, dass unsere Sonne im Chor von Myriaden von Sonnen kaum wahrzunehmen ist. Und dann tauchten vor unserem Bewusstsein unzählige Galaxien auf, die uns als bedeutungslos erscheinen lässt. Mag Tegmark hat keine Angst vor fantastischer Wissenschaft. Er entwickelt eine kühne Kosmologie für unzählige Paralleluniversen, die er in vier Kategorien unterteilt. Die fantastische Realität des Max Tegmark hat Platz für Multiversen auf  Ebene I (4), Ebene II (5), Ebene III (6) und Ebene IV (7).

Von Plutarch (* um 45; † um 125) wissen wir, dass bereits vor rund zweieinhalb Jahrtausenden der Grieche Petron von Himera von der Existenz von Parallelwelten überzeugt war. Nach Petron von Himeras Überlegungen existiert eine endliche Zahl von Parallelwelten zur Erde. Auch wenn von den Schriften von Petron von Himera keine Originale erhalten sind, so hat doch Plutarch interessante Gedanken aus Himeras Kosmologie beschrieben. Erstaunlich modern ist die Vorstellung bei Petron von Himera, dass es aneinandergereihte Parallelwelten gibt, die sich berühren.  Demnach war der griechische Denker von der Existenz vieler Welt überzeugt, aber nicht im Sinne von vielen Planeten in den Weiten des Universums. Diese Welten lagen eng beieinander und berührten einander, auch die Erde. Man konnte aber die anderen Welten nicht sehen. Demnach müssen diese Parallelwelten auf unterschiedlichen Realitätsebenen gelegen haben. Heute würde man sagen, dass sich verschiedene Parallelwelten in unterschiedlichen Dimensionen nah beieinander befinden.

Zur Erinnerung: Nach Prof. Markolf H. Niemz sind Raum und Zeit Illusion. Alles geschieht gleichzeitig im Jetzt. Und der Raum hat keine Ausdehnung. Hat Petron von Himera intuitiv ein ganz ähnliches Weltbild beschrieben? Sein Bild von den einander berührenden Welten erinnert mich jedenfalls sehr stark an die Kosmologie von Prof. Niemz. 

Reisen von Parallelwelt zu Parallelwelt setzen eine Raumfahrt voraus, die sich von unserer heutigen Technologie grundlegend unterscheiden muss! Folgerichtig erscheinen auch alte Texte über Reisen von Welt zu Welt in einem ganz anderen Licht. Mir kommen die »Legenden der Juden« in den Sinn, die Louis Ginzberg (*1873; †1953) mit akribischer Sorgfalt gesammelt und publiziert hat. Band 1 von Ginzbergs  magnum opus »Legends of the Jews« wurde 1909 von »The Jewish Publication Society of America« in Philadelphia publiziert (8).


                                                            Foto 2: Adam ( nach Dürer).

Louis Ginzberg hat im Alleingang eine Art Konglomerat des Wissens unzähliger Weiser aus ganz unterschiedlichen Quellen geschöpft und in einem einzigartigen Sammelwerk veröffentlicht,  das vielfältige geistige Erbe seiner Vorfahren, das  im Verlauf von Jahrtausenden zusammengetragenen worden ist. Erst wurde der Schatz mündlich weitergereicht, später wurde es da und dort schriftlich festgehalten. 

Unser Heimatplanet, den wir »Erde« nennen, ist nicht die erste von Gott geschaffene Welt. Lesen wir nach bei Ginzberg (9): »Auch ist diese Welt, die der Mensch bewohnt, nicht eines der ersten Dinge, die Gott schuf. Er machte einige andere Welten vor der unseren, aber er zerstörte sie alle, weil ihm keine gefiel, bevor er die unsere schuf.« Auch Planet Erde wäre von Gott zerstört worden, hätte er nicht Gnade vor Recht ergehen lassen. »Terra« ist eine von sieben Welten (10), heißt »heled«. Die Namen der anderen Welten waren »erez«, »adamah«, »arka«, »harabah«, »yabbashah« und »tebel«. Ein eigenes Kapitel hat Louis Ginzberg den (11) »Bewohnern der sieben Erden (Welten)« gewidmet.

Liest man die »Legenden der Juden«, so stößt man zwischen theologischen Erörterungen und religiösen Ergänzungen zum »Alten Testament« immer wieder auf Hinweise auf fremde Welten, auf Parallelwelten, zwischen denen hin und her gereist wird. So heißt es, dass Adam von Planet »erez« (finster und unbewohnt) auf Planet »adamah« geschafft wurde. Die dort hausenden Lebewesen (12) »verlassen ihre eigene Erde, um sich auf die von Menschen bewohnte (Erde) zu begeben«.

Nach den »Legenden der Juden« herrschte reges Treiben auf den verschiedenen Parallelwelten. Da ermordete zum Beispiel Kain seinen Bruder Abel auf dem Planeten »adamah«. Das durfte nicht ungesühnt bleiben. Zur Strafe wurde Kain auf den Planeten »erez« verbannt. Offenbar wurde er von Gott genau beobachtet, vergleichbar einem Strafgefangenen, der auf Hafterleichterung hoffen darf.  Aber erst als Kain Reue zeigt, bringt ihn Gott auf eine andere Welt. So kommt er vom kosmischen Gefängnisplanet auf Planet »arka«. Über »arka« erfahren wir aus den »Legenden der Juden«, dass das Leben dort etwas angenehmer war als auf der unbewohnten Welt »erez«. »Erez« war der Sonne offensichtlich näher. So wird »erez« als die Welt beschrieben, (13) »die etwas Licht von der Sonne empfängt«. Die Welt »erez« war offensichtlich sehr viel weiter von ihrer Sonne entfernt, deshalb war es dort dunkel. Auf »arka« lebten die »Kainiten«, die das Land bebauten. Weizen, so heißt es, kannten sie nicht. In den »Legenden der Juden« wird überliefert (14): »Einige der Kainiten sind Riesen, einige von ihnen sind Zwerge.«


Fußnoten
(1) »Mathematiker: Zeitreisen ohne Paradoxon ist möglich«, »futurezone«, https://futurezone.at/science/mathematiker-zeitreisen-ohne-paradoxon-ist-moeglich/401046958?fbclid=IwAR0e47z4mI3k8d6r0nUmdMLcfCRAzE3FZz1Y4jvGf1OHwtRBUnfgdDzLM6s (Stand 30.09.2020)
(2) Grolle, Johann: »Unser Universum, ein Sandkorn am Strand«, »SPIEGEL WISSENSCHAFT«, 21.04.2014
(3) Tegmark, Max: »Unser mathematisches Universum/ Auf der Suche nach dem Wesen der Wirklichkeit«,  Berlin 2015
(4) Ebenda, S.185-203
(5) Ebenda, S. 203-228
(6) Ebenda, Kapitel 8, S. 273-336
(7) Ebenda, Kapitel 12, S. 461-514
(8) Ginzberg, Louis: »The Legends of the Jews: From Creation to Jacob« (zu Deutsch etwa: »Die Legenden der Juden: Von der Schöpfung bis Jakob«)
Printausgabe, Philadelphia 1909
(9) Ebenda, Seite 4, 6.-9. Zeile von oben. Übersetzung Walter-Jörg Langbein.
(10) Ebenda, Seite 10. Übersetzung Walter-Jörg Langbein.
(11) Ebenda, Seiten 113-115: »The inhabitants of the seven earths« (»Die Bewohner der sieben Erden«). Übersetzung Walter-Jörg Langbein.
(12) Seite 113, 3.+4. Zeile von unten: »they leave their own earth and repair to the one inhabited by men,..«. Übersetzung ins Deutsche Walter-Jörg Langbein.
(13) Ebenda, Seite 114, 7.+8. Zeile von oben: »…which receives some light from the sun.« Übersetzung ins Deutsche Walter-Jörg Langbein.
(14) Ebenda, Seite 114, 12. Zeile von oben: »Some of the Cainites are giants, some of them are dwarfs.«
 

Zu den Fotos
Foto 1: Adam ( nach Lukas Cranach d.Ä).
Foto 2: Adam ( nach Dürer).


579. »Sagen, Legenden und die Genschere (Gen-Schere)«,
Teil 579 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 21. Februar 2021

 

Sonntag, 1. März 2020

528. »Zehntausende von blitzenden Wagen hat Gott.«

Teil 528 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Kain...
von der Erde hinweggenommen....
Die Mordsgeschichte (1) im Telegrammstil: Adam und Eva haben zunächst zwei Söhne, Kain und Abel. Beide opfern ihre Gaben für Gott. Gott nimmt Abels Opfer an, das von Kain verschmäht er. Wütend ermordet Kain seinen Bruder. Die Strafe Gottes für Kain folgt. Gott spricht (2): »Und nun verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Wenn du den Acker bauen wirst, soll er dir hinfort sein Vermögen nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.« Kain beklagt sich bitter (3): »Siehe, du treibst mich heute aus dem Lande, und ich muß mich vor deinem Angesicht verbergen und muß unstet und flüchtig sein auf Erden.« Von besonderem Interesse ist der Anfang von Vers 14. Vergleichen wir verschiedene Übersetzungen!

»Luther-Bibel« 1912: »Siehe, du treibst mich heute aus dem Lande.«
»Luther-Bibel« 2017: »Siehe, du treibst mich heute vom Acker.«
»Hoffnung für alle«: »Ach, Gott, du verstößt mich von dem Land.«
»Schlachter 2000«: »Siehe, du vertreibst mich heute vom Erdboden.«
»Zürcher Bibel«: »Sieh, du hast mich heute vom Ackerboden vertrieben.«
»Gute Nachricht Bibel«: »Du vertreibst mich vom fruchtbaren Land.«
»Elberfelder Bibel«: »Siehe, du hast mich heute von der Fläche des Ackerbodens vertrieben.«

Was genau geschieht nun mit Kain? Wird er aus dem Land geworfen? Oder wird er vom fruchtbaren Ackerland vertrieben? Im hebräischen Original steht אדמה , lies »'ădâmâh«. Das Wort kann »Land«, »Erdboden« und »Erde« bedeuten. In welcher Bedeutung wird »'ădâmâh« im konkreten Vers verwendet? Wenn es irgendwo eine klärende Antwort auf diese Frage gibt, dann ja wohl im Zohar. In diesem Werk, das eher eine Bibliothek als ein Buch ist, gibt es eine spannende Antwort (4): »Und siehe: Du hast mich vom Angesicht der Erde verbannt.« Vom »Angesicht der Erde«? Nach dem Zohar wurde Kain vom Angesicht der Erde hinweg genommen und nach »Arqa«, auf eine der sieben Planeten-Welten, gebracht!

Ich muss hier an die wahrhaft kosmische Reise erinnern, die Kain nach den »Legenden der Juden« absolviert hat: Nach den »Legenden der Juden« ermordete Kain seinen Bruder Abel auf dem Planeten »adamah«. Zur Strafe wurde er auf den Planeten »erez« verbannt. Erst als Kain Reue zeigte, brachte ihn Gott auf eine andere Welt. So kam er vom kosmischen »Alkatraz« auf Planet »arqa« (andere Schreibweise: »arka«).

Nach dem Zohar ist »Arqa« ein fremder Planet. Erzählt wird (5), dass Rabbi Chiya und Rabbi Yossi auf einer ihrer Reisen eine wundersame Begegnung mit einem Bewohner von »Arqa« hatten. Viele Jahre suchte ich im umfangreichen »Zohar« nach der geheimnisvollen Begegnung. Erich von Däniken gibt in seinem zweitem Weltbestseller »Zurück zu den Sternen/ Argumente für das Unmögliche« eine Konversation zwischen Menschen und einem Außerirdischen wieder (6): »Rabbi Yossé (Yossi) trat vor den Fremden und fragte ihn, von wo er denn sei. Der Fremde antwortete: ›Ich bin ein Bewohner Arqas.‹ « Der Rabbi reagierte überrascht und fragte nach (7): »›Es gibt also Lebewesen auf Arqa?‹ Der Fremde antwortete: ›Ja. Als ich Euch kommen sah, bin ich aus der Höhle gestiegen, um den Namen der Welt zu erfahren, auf der ich angekommen bin.‹«

Lange Zeit suchte ich nach dem Originaltext im »Zohar«, leider vergeblich. Schließlich begann ich eine intensive Recherche im Internet. Wieder sah es so aus, als würde meine Suche im sprichwörtlichen Sand verlaufen. Doch dann kam ein Kontakt mit Rabbi Mendel Adelman zustande. Rabbi Adelman wurde in Amherst, Massachusetts, geboren und wuchs dort auf.  Er studierte an den jüdische Hochschulen in New Haven, Connecticut, und Brooklyn, New York. Rabbi Adelman lebt in Atlanta, Georgia. Er publiziert zum Thema »jüdisches Recht« und hält viel beachtete Vorträge.

Rabbi Adelman erwies sich als sehr umgänglich, freundlich und hilfsbereit. So übersetzte er die entscheidenden Passagen aus dem Zohar (8) für mich. Rabbi Chiya und Rabbi Yossi vernahmen eine Stimme, die ihnen dringend davon abriet, einen bestimmten Weg einzuschlagen. Sie folgten den Anweisungen der Stimme und bestiegen schließlich einen Berg. Dort begegnete ihnen ein fremdartiges Wesen. Sie hielten inne und fragten dieses Wesen, woher es denn komme. 

Die Antwort lautete: Von Arqa. Erstaunt hakten Rabbi Chiya und Rabbi Yossi nach: »Leben dort Leute?« Das Wesen bejahte. Allerdings sähen die Bewohner von Arqa anders als die beiden Rabbis aus. Für die beiden Rabbis war die Begegnung mit dem Wesen von der Planeten-Welt Arqa etwas Wundersames, das sie aber durchaus akzeptieren konnten.

Ob sie, wie so manche Rabbis unserer Zeit, davon überzeugt waren, dass es im All unzählige Planeten-Welten gibt, auf denen die unterschiedlichsten Lebewesen beheimatet sind? Nach dem »Tikuney Zohar«, der fast vollständig in aramäischer Sprache verfasst wurde, gibt es »Sterne ohne Zahl und jeder Stern wird als separate Welt bezeichnet. Dies sind die Welten ohne Zahl«. Von 18.000 Welten ist die Rede, offenbar von belebten, bewohnten Planeten-Welten.

»Avodah Zarah« (zu Deutsch etwa »Götzendienst«) ist ein religiöses  Traktat aus dem Talmud, »Sefer Nezikin«) und behandelt religiöse Vorschriften für Juden, die unter Nichtjuden leben. Geregelt wird der Umgang mit nichtjüdischen »Götzendienern«.  Zu den »Nichtjuden«, so scheint es, werden auch die Bewohner fremder Planeten-Welten, sprich Außerirdische, gezählt. Für den Umgang mit Außerirdischen galten die gleichen Verhaltensregeln wie gegenüber nichtjüdischen Mitmenschen auf Planet Erde.

Gott bereist nach altem jüdischem Glauben weite Räume. Er fliegt zu sehr vielen Welten. So steht es im mysteriösen »Avodah Zarah«-Text (9). »Er reitet auf seinem leichten Engel und fliegt in achtzehntausend Welten.« Was mag mit Gottes »leichtem Engel« gemeint sein, auf dem er »reitet«?

Nach einem von mir konsultierten Rabbi beziffert »Avodah Zarah« die Zahl der »Wagen Gottes« auf insgesamt 20.000, von denen 2.000 »nicht präsent« seien. Soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass 2.000 dieser Wagen unterwegs zu fremden Planetenwelten waren? Wie dem auch sei: Es wird offensichtlich davon ausgegangen, dass Gott sehr viele fliegende Wagen zur Verfügung standen. Dazu passt ein Vers aus dem »Alten Testament«. Der 68. Psalm (nach griechischer Zählung der 67.) wird David zugeschrieben. Er gilt zumindest in seinem Grundbestand als einer der ältesten erhaltenen Psalmen. Zu finden ist er im zweiten Buch des Psalters. Im Lobpreis Gottes wird im Psalm (10) auf die Vielzahl seiner himmlischen Vehikel hingewiesen. Offensichtlich sind sich die diversen Übersetzer nicht einig, über wie viele fliegende Wagen Gott wohl verfügte. Allem Anschein nach weiß man nicht, wie denn die richtige Übersetzung lauten muss. Keinen Zweifel kann es aber daran geben, dass es tausende und abertausende Wagen waren. Ich habe eine ganze Reihe von Bibelübersetzungen konsultiert, die ich zur Diskussion stelle.

»Luther-Bibel 2017«: »Der Wagen Gottes sind vieltausendmal tausend.«
»Elberfelder«: »Der Wagen Gottes sind zehntausendmal Tausende.«
»Schlachter 2000«: » Gottes Wagen sind zehntausendmal zehntausend, tausende und Abertausende.«
»Zürcher Bibel«: »Die Wagen Gottes, vielmal tausend und abertausend.«
»Gute Nachricht Bibel«: » Zehntausende von blitzenden Wagen hat Gott, in ihrer Mitte der Herr selber, der Heilige in seiner Herrlichkeit.«
»Einheitsübersetzung 2016«: » Die Wagen Gottes sind zahllos, tausendmal tausend.«
»Neue Evangelistische Übersetzung«: »Zehntausende von blitzenden Wagen hat Gott.«
»English Standard Version« (11): »The chariots of God are twice ten thousand, thousands upon thousands.« (»Die Wagen Gottes sind zweimal zehntausend, tausende und abertausende.«)
»New International Version«: »The chariots of God are tens of thousands and thousands of thousands.« (»Die Wagen Gottes sind zehntausende und tausende von Tausenden.«)
»New International Readers Version«: »God has come with tens of thousands of his chariots. He has come with thousands and thousands of them.« (»Gott ist mit zehntausenden seiner Wagen gekommen. Er ist mit tausenden und abertausenden von ihnen gekommen.«)
»King James Version«: »The chariots of God are twenty thousand, even thousands of angels.« (»Die Wagen Gottes sind zwanzigtausend, sogar Tausende von Engeln.«)

Nur die »King James Version« bringt im Zusammenhang mit den Wagen Gottes »tausende Engel« ins Spiel. Reisen sie mit in Gottes Wagen? Kritiker werden einwenden, dass mit den »Wagen Gottes« keineswegs Flugvehikel, sondern höchst irdische, über Stock und Stein rumpelnde Wagen gemeint seien. Ich muss aber in Erinnerung rufen, dass laut »Avodah Zarah« Gott in achtzehntausend Welten fliegt. Mit erdgebundenen Wagen kann er das nicht bewerkstelligen.

Foto 2: Buchcover »Zurück zu den
Sternen« von
Erich von Däniken
Rabbi Hasdai ben Abraham Crescas (*um 1340 in Barcelona, Katalonien; † 1410/11 in Saragossa, Aragonien) gilt als einer der großen jüdischen Gelehrten. Er hat wohl eine ganze Reihe von Werken verfasst, von denen fast alle als verloren gelten müssen. Sein Hauptwerk »Or HaShem« über das »Licht des Herrn« bietet ein weites Spektrum theologischer Gedanken, aber auch Überlegungen zum Thema »außerirdisches Leben«. Rabbi Hasdai ben Abraham Crescas verweist auf die 18.000 Planeten-Welten, in die Gott nach dem  »Avodah Zarah« fliegt. Der Rabbi hielt es für ausgeschlossen, dass sich Gott mit unbewohnten Planeten-Welten abgibt. Zohar-Experte, Kabbalist und Physiker Aryeh Kaplan konstatierte seine dezidierten Ansichten über altjüdisches Schrifttum und die Frage nach der Existenz außerirdischen Lebens klar verständlich: »Die Grundvoraussetzung der Existenz außerirdischen Lebens wird vom Zohar nachdrücklich unterstützt.« Rabbi Kaplan wagte auch einen Blick in die Zukunft.

Für ihn ist es legitim, Aussagen des Zohar über das nahende messianische Zeitalter mit interstellarer Raumfahrt in Verbindung zu bringen. Sollen doch nach dem Zohar dereinst rechtschaffene Menschen von Planet Erde fremde Planetenwelten regieren (12). Das freilich würde interstellare Raumfahrt voraussetzen. Der Zohar, so argumentierte Rabbi Aryeh Kaplan, prognostiziert das Aufkommen der interplanetaren und der  interstellaren Raumfahrt und er liefert zumindest einen der Gründe, warum die Raumfahrt als Teil des Auftakts kommender Zeitalter unvermeidlich sein würde. Mit anderen Worten: Der Zohar weiß von den »Erinnerungen an die Zukunft«.

Fußnoten
(1) 1. Buch Mose, Kapitel 4, 1-16
(2) Ebenda, Verse 11 und 12
(3) Ebenda, Vers 14, in der Luther-Bibel von 1912 (Rechtschreibung wurde unverändert übernommen und nicht nach der Rechtschreibreform korrigiert.)
(4) »The Zohar: Pritzger Edition«, Band I, eBook-Ausgabe, Position 2610
(5) Zohar 1:157a
(6) Däniken, Erich von: »Zurück zu den Sternen/ Argumente für das Unmögliche«, Düsseldorf und Wien 1969, S. 239, 10.-7. Zeile von unten
(7) Ebenda, 5.-1. Zeile von unten
(8) E-Mail-Korrespondenz mit Rabbi Mendel Adelman vom 5., 6., 7. Und 11. Januar 2020.
(9) »Avoda Zara« 3b
(10) Psalm 68, Vers 18
(11) Die Übersetzung der Verse aus englischen Bibelausgaben ins Deutsche habe ich vorgenommen.
(12) »Sli'mos Rabbah« 52:3

Zu den Fotos
Foto 1: Kain... von der Erde hinweggenommen....Urschalling, Bayern. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Buchcover »Zurück zu den Sternen« von Erich von Däniken.

529. »Adam, Eva und das Gift Gottes«,
Teil 529 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 08. März 2020


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Sonntag, 23. Februar 2020

527. »Da traf er den Kain zwischen die Augen«

Teil 527 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein

Foto 1: Der blinde Lamech
schießt seinen Pfeil ab
Louis Ginzberg hat mit seiner Sammlung »The Legends of the Jews« sehr viel mehr als eine Vielzahl von Legenden der Juden zusammengetragen. Er hat so etwas wie ein Konglomerat des Wissens unzähliger Weiser aus ganz unterschiedlichen Quellen geschöpft. Das vielfältige geistige Erbe mag im Verlauf von Jahrtausenden zusammengetragenen worden sein. Erst wurde es mündlich weitergereicht, bevor es irgendwann da und dort schriftlich festgehalten wurde.

Sein bewundernswertes Mammutwerk bietet so viel Wissenswertes, dass heute noch unzählige Suchende so manches Geheimnis darin entdecken könnten, das auf den ersten Blick, bei oberflächlichem Lesen, verborgen bleibt.

Nach Jahrzehnten des Studierens und Forschens habe ich erkannt, dass ich auf eine Weise mehr als auf jede andere zur Aufklärung der großen Geheimnisse unserer Welt beitragen kann. Es muss mir nur gelingen, in so vielen Menschen wie nur möglich die Neugier auf das Wissens jenseits des Horizonts der ach so endgültigen vermeintlich unanzweifelbaren »Wahrheiten« zu wecken. Wissenschaften wie theologische Lehren versperren oftmals den Weg zu wirklich bahnbrechenden Erkenntnissen wie ein Paravent.

Eugène Ionesco (*1909; †1994) stellte fest: »Phantasie ist nicht Ausflucht. Denn sich etwas vorstellen, heißt, eine Welt bauen, eine Welt erschaffen.« Und Albert Einstein (*1879; †1955) beklagte: »Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Verstand ein treuer Diener. Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.« Manche Texte aus dem »Alten Testament« regen unsere Fantasie an. Können wir mit Hilfe der vernachlässigten Intuition manches besser verstehen? Suchen kann jeder für sich, in Werken wie Louis Ginzbergs, Paul Rießler und Emil Kautzsch.

Lamech gesteht, verkündet im »Alten Testament«, einen Menschen getötet zu haben. Das verkündet Prof. John Byron, Fachbereich »Neues Testament« am »Ashland Theological Seminary« (Oregon, USA), der sich intensiv mit dem Judentum und den Ursprüngen des Christentums beschäftigt. In der »Luther Bibel« von 2017 lesen wir (1): »Und Lamech sprach zu seinen Frauen: Ada und Zilla, höret meine Rede, ihr Frauen Lamechs, merkt auf, was ich sage: Einen Mann erschlug ich.« In der »Elberfelder Bibel« wird der gleich Vers so formuliert: »Fürwahr, einen Mann erschlug ich.« Wer soll das Opfer Lamechs gewesen sein? Prof. John Byron ist davon überzeugt, dass sich Lamechs Geständnis auf den Tod Kains bezieht. Diese Interpretation halte ich für fragwürdig, prahlt doch Lamech geradezu damit, nicht nur einen, sondern zwei Menschen getötet zu haben, ich zitiere den Vers vollständig (1): »Einen Mann erschlug ich für meine Wunde und einen Jüngling für meine Beule.« Meiner Meinung nach ist weder mit dem »Mann«, noch mit dem »Jüngling« Kain gemeint. Kain fügte Lamech keine Wunde zu und Kain, der Brudermörder, war bei seinem Tod ein alter Mann und kein »Jüngling«. Und eine Beule hat ihm weder Kain, noch dessen Sohn verpasst. Mein Fazit: Lamech gesteht im zitierten Bibeltext nicht, Kain getötet zu haben.

Foto 2:
Kain wird gleich
vom Pfeil
getroffen
In der sakralen Kunst gibt es diverse Darstellungen, die zeigen, wie Lamech seinen Urahn Kain mit Pfeil und Bogen erlegt. Im 12. Jahrhundert entstand ein Relief, das ein Säulenkapitell der Kathedrale von Saint Lazare, Frankreich, ziert. Es hält den Moment fest, da Kain vom Pfeil Lamechs im Hals getroffen wird.

Eine »Weltchronik« aus dem Jahr 1563 zeigt als Buchillustration just diese Szene: Lamech hat einen Pfeil abgeschossen, der offenbar gerade in Kains Leib eingedrungen ist. Aufbewahrt wird das kostbare Dokument aus dem 16. Jahrhundert in der Österreichischen Nationalbibliothek zu Wien (2). Das »Ökumensiche Heiligenlexikon« geht ausführlich auf Lamech ein (3). »Lamech«, erfahren wir dort, bedeutet im Hebräischen »kräftiger Mann«. Das Lexikon verweist auf »jüdische Legenden«, die vom Tod Kains erzählen: Lamech soll Kain bei einem Jagdunfall mit Pfeil und Bogen erschossen haben.

Das seriöse »Ökumenische Heiligenlexikon« zeigt eine weitere Darstellung vom Tod Kains, der auch hier dem Jäger Lamech zum Opfer fällt: »Mosaik: Lamech erschießt Kain und tötet Tubal-Kajin, 5. Jahrhundert, im Baptisterium San Giovanni in Florenz«.

Tatsächlich zeigt das Mosaik gleichzeitig zwei Szenen der alten jüdischen Überlieferung. Da sehen wir zunächst Lamech, stehend, mit dem Bogen in der Hand. Sein Sohn Tubal-Kain (Tubal-Kajin) hat dem greisen Vater offenbar die Richtung angegeben, wo das vermeintliche Wild im Gebüsch zu finden war. Kain steht, weitestgehend verdeckt, zwischen Gestrüpp.

Foto 3: Lamech stehend mit Bogen,
Lamechs Sohn stehend und liegend, Opfer Kain im Gestrüpp.

Nach der Überlieferung hat Lamech seinen Sohn, als der tragische Irrtum erkannt worden war, versehentlich erschlagen, nachdem er bereits versehentlich Kain erschossen hatte. Wir sehen Lamechs Sohn als »Schützenhilfe« und gleichzeitig tot am Boden liegend. Es wird also die gesamte Geschichte um Kains Tod in einem einzigen Mosaikbild »erzählt«. Anders als in einem Comicstrip werden zwei Bilder in einem dargestellt. In der großen Kathedrale von Monreale, Sizilien, findet der interessierte Besucher zahlreiche Mosaikdarstellungen biblischer Szenen, aber auch die Geschichte von Lamech und Kain. Lamech hat seinen Schuss bereits abgefeuert, Kain ist in der Brust getroffen. Seine Knie knicken ein, der Brudermörder wird im Fallen gezeigt. Lamechs kleiner Sohn deutet noch in Richtung Kain, der freilich ohne irreführendes Horn auf der Stirn dargestellt wurde.

In der »Österreichischen Nationalbibliothek«, Wien, wird eine wertvolle Buchmalerei aufbewahrt. Die Miniatur, entstanden etwa 1465 bis 1475, stammt aus einem Illustrations-Zyklus. Lamech hat auf dem Bild Kain bereits niedergestreckt und den tödlichen Fehler erkannt. Wütend erschlägt der blinde Jäger seinen kleinen Sohn mit dem mächtigen Bogen. Im krassen Gegensatz zum geringen Bekanntheitsgrad der Story von Lamechs Todesschuss in unserer Zeit steht die Fülle an Darstellungen eben jener Szene in alten Buchmalereien. Ein Beispiel von vielen sei noch genannt: Die berühmte »Maciejowski-Bibel«, alias »Kreuzfahrerbibel«, alias »Buch der Könige«, alias »Morgan-Bibel«, soll von Ludwig IX. von Frankreich um das Jahr 1245 in Auftrag gegeben worden sein. Auch hier findet sich eine Darstellung von Kains Tod.

Ich selbst sah ja vor Jahrzehnten ein Säulenkapitell in der Basilika von Vézelay, Frankreich, mit dem Todesschuss, von Lamech, abgegeben auf den Brudermörder Kain.

Das Motiv »Lamech tötet Kain« war vor Jahrhunderten in der sakralen Kunst offenbar weit verbreitet. Es stellt sich eine Frage: Worauf basieren diese Darstellungen, die nur in unwichtigen Details voneinander abweichen? Paul Rießler (*1865; † 1935) wurde 1907 Professor für alttestamentliche Bibelexegese an der Universität Tübingen. 1924 veröffentlichte er erstmals seine »Übersetzung des Alten Testaments«. Rießlers Monumentalwerk (4) »Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel« erschien erstmals 1928. Es ist als zuverlässige Quelle für altjüdisches Schrifttum auch heute noch unverzichtbar.

Foto 4: »Ephräm der Syrer«
Es enthält auch den apokryphen Text »Die Syrische Schatzhöhle«. Umstritten ist, wer als Verfasser verantwortlich zeichnete. Ein Kandidat ist Ephräm. Ephräm der Syrer (* um 306; †373), ein spätantiker Schriftsteller und Kirchenlehrer, lebte als Asket und unterrichtete viele Jahre in der Nähe der Stadt Edessa, heute Türkei. 1920 wurde er durch Papst Benedikt XV. zum Kirchenlehrer erklärt. Er wird auch heute noch in vielen Regionen als Heiliger verehrt. »Die Syrische Schatzhöhle« berichtet über Kains Tod so (5):

 »Lamech stützte sich auf seinen Sohn, einen kleinen Knaben,
und dieser Knabe lenkte ihm seinen Arm auf das Wild,
so oft er solches sah.
Nun hörte er die Stimme Kains, der im Wald umherstreifte,
weil er nirgends Ruhe fand.
Lamech, der Blinde, aber hielt ihn für ein Tier,
das im Wald umherjagt.
So hob er seinen Arm, hielt seinen Bogen bereit, spannte ihn
und schoß ihn gegen jenen Platz ab.
Da traf er den Kain zwischen die Augen, daß er hinfiel und starb.
Lamech aber glaubte, ein Wild getroffen zu haben
und sprach zu dem Knaben:
›Geh hin, daß wir das Wild sehen, das wir trafen!‹
Als sie hinkamen und nachsahen,
sprach zu ihm der Knabe, auf den er sich stützte:
›Wehe, mein Herr! Du hast den Kain getötet.‹
Da winkte er und schlug die Hände zusammen;
dabei traf er den Knaben und tötete ihn.«

Prof. John Byron ist davon überzeugt, dass frühe Interpreten altehrwürdiger sakraler Texte da und dort in den biblischen Schriften Lücken entdeckten. So bietet das »Alte Testament« geradezu ausufernde Informationen über zahlreiche biblische Gestalten an. Wir erfahren, wie alt die Männer wurden und in welchem Alter sie welche Kinder zeugten. Über Kains Tod indes scheint sich das »Alte Testament« auszuschweigen. Er verschwindet irgendwie, ohne dass wir etwas über seinen Tod erfahren. Dieses Defizit hat die alten Interpreten, so Prof. Byron, aktiv werden lassen. Sie schufen ergänzende Texte, die nicht in den Kanon der Bibel aufgenommen wurden. So wurden Lücken geschlossen. In apokryphen Texten zum »Neuen Testament« erfahren wir, wie Jesus als Kind war, worüber nichts im »Neuen Testament« zu finden ist. »Die Syrische Schatzhöhle« wartet mit einer doch unglaubwürdigen Story über Kains Tod auf.

Wie aber starb Kain wirklich? Kam er bei der Sintflut ums Leben? Starb er überhaupt? Ein einzelner, unscheinbarer Vers in der biblischen Mordgeschichte von Kain und Abel kann eine geradezu fantastisch anmutende Geschichte erzählen: Demnach nahm Gott selbst Kain von der Erde hinweg.

Fußnoten
(1) 1. Buch Mose, Kapitel 4, Vers 23
(2) Inventarnummer Cod. Nr. 2823
http://www.aeiou.at/aeiou.history.docs/006596.htm (Stand 16.01.2020)
(3) https://www.heiligenlexikon.de/BiographienL/Lamech.html (Stand 16.01.2020)
(4) Rießler, Paul: »Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel«, Augsburg 1928, S.942-1013
(5) Ebenda, S.952+953, 8. Kapitel, Verse 3-10 (Die Rechtschreibung wurde unverändert von der Vorlage übernommen und nicht der heutigen Schreibweise unter Berücksichtigung der Rechtschreibreform angepasst.)

Zu den Fotos
Foto 1: Der blinde Lamech schießt seinen Pfeil ab (Basilika von Vézelay, Frankreich). Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Kain wird gleich vom Pfeil getroffen. (Basilika von Vézelay, Frankreich). Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Lamech stehend mit Bogen, Lamechs Sohn stehend und liegend, Opfer Kain im Gestrüpp. Foto Joachim Schäfer, Ökumenisches Heiligenlexikon, gemeinfrei.
Foto 4: »Ephräm der Syrer« (Ikone). Foto gemeinfrei

528. »Zehntausende von blitzenden Wagen hat Gott.«,
Teil 528 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 01. März 2020


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Sonntag, 9. Februar 2020

525. »Kain und der blinde Jäger«

Teil 525 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Der wohl bekannteste Mörder der Bibel ist wohl Kain. Das wissen auch Zeitgenossen, die nie in der Bibel lesen. Was aber ist das »Kains-Mal«? Es sollte Kains Leben schützen und wurde ihm zum Verhängnis.

Schon im 4. Kapitel des 1. Buches Mose wird der erste Mord geschildert. Die Geschichte lässt, so scheint es, keine Frage offen. Adam und Eva müssen wegen des ominösen Sündenfalls das Paradies verlassen. Der Engel mit dem Flammenschwert macht eine Rückkehr unmöglich. Adam muss zur Strafe auf dem Feld schuften, Eva Kinder gebären. So kommen Kain und Abel auf die Welt. Beide bringen Gott Opfer dar, Gott verschmäht Kains Opfergabe. Wütend tötet Kain seinen Bruder. In meiner wörtlichen Übersetzung liest sich das so (1):

Foto 1: Kain erschlägt Abel,
Genter Altar von Jan van Eyck, 1432,
gespiegeltes Foto

»Vers 1: Und er, Adam, erkannte Chawa (Eva), seine Frau, und sie empfing und sie gebar den Kajin und sie sprach: ich habe hervorgebracht einen Mann mit Hilfe Jahwes.
Vers 2: Und sie fuhr fort zu gebären: seinen Bruder, den Habäl (Abel), und der Habäl, er war ein Hirte von Kleinvieh und Kajin, er war bearbeitend den Acker.
Vers 3: Und es war am Ende der Tage, da brachte Kajin von den Früchten des Ackers eine Opfergabe für Jahwe.
Vers 4: Und Habäl, er brachte, von seinem Erstgeborenen seines Kleinviehs und von ihrem Fett und er sah, Jahwe, auf den Habäl und sein Opfer.
Vers 5: Aber auf Kajin und sein Opfer sah er nicht und er entbrannte (zu ergänzen? der Zorn?) dem Kajin und er senkte sein Gesicht.
Vers 6: Und er sprach, Jahwe, zu Kajin, warum entbrannte (dein Zorn) und warum ist gesenkt dein Gesicht?
Vers 7: Wenn du recht handelst, kannst du (dein Gesicht) erheben, wenn du nicht
recht handelst, dann lauert die Sünde vor der Tür.
Vers 8: Und es sprach der Kajin zu seinem Bruder Habäl (2) und es war auf dem Feld, da stand auf der Kajin gegen seinen Bruder Habäl und tötete ihn.

Kain hat Abel getötet und Gott fragt, wo denn Abel sei. Seltsam: Gott soll doch allwissend sein. Warum fragt er dann, wo denn Abel zu finden sei. Gott verflucht den Mörder Kain. Der zeigt Reue und hat Angst um sein Leben. Er befürchtet, dass ihn jeder, der ihn trifft, töten wird. Aber wer soll denn Kain nach dem Leben trachten? Nach Abel tot ist, gibt es damals nach dem Text der Bibel ja nur noch Adam und Eva. Weiter geht es im Text meiner wörtlichen Übersetzung:

»Vers 9: Und er sprach, Jahwe, zu Kajin: Wo ist Habäl, und der sprach: nicht weiß ich, bin ich etwa ein Hüter meines Bruders?
Vers 10: Und er sprach: was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders eine schreiende zu mir aus dem Acker!
Vers 11: Und nun, verflucht mögest du sein, weg von dem Acker, welcher aufriss seinen Mund um zu nehmen das Blut deines Bruders aus deiner Hand!
Vers 12: Ja, wenn du bearbeitest den Acker, nicht fährt er fort zu geben dir seine Kraft. Schwankend und heimatlos wirst du sein auf der Welt.
Vers 13: Und er sprach, Kajin zu Jahwe: groß (ist) mein Vergehen (oder: meine Sünde).
Vers 14: Siehe, du hast mich vertrieben vom Gesicht des Ackers und weg von deinem Gesicht verberge ich mich und bin schwankend und heimatlos und es wird ein jeder, der trifft mich an, (er) wird mich töten.
Vers 15: Und es sprach zu ihm, Jahwe: Alle, die Kajin töten – sieben mal sieben wird er gerächt! Und er setzte, Jahwe, dem Kajin ein Zeichen, damit nicht ihn töte ein jeder, der ihm begegnet.«

Nach dem Mord an seinem Bruder Abel zeugte Kain einen Sohn (3):»Und Kain erkannte seine Frau; die ward schwanger und gebar den Henoch. Und er baute eine Stadt, die nannte er nach seines Sohnes Namen Henoch.« Seltsam: Adam und Eva hatten zunächst zwei Söhne, nämlich Kain und Abel. Nach der Ermordung Abels gab es nur noch Adam, Eva, Kain und Seth (ein weiterer Sohn von Adam und Eva). Woher nahm dann Kain seine Frau, die im »Alten Testament« namenlos bleibt. Die anonyme Frau gebar Sohn Henoch. Jetzt gab es nach dem »Alten Testament« eine »Weltbevölkerung« von sechs Personen. Und jetzt baute Kain eine Stadt. Für wen? Für sich, seine Frau und ihren Sohn Henoch? Da wäre ein Häuschen vollkommen ausreichend gewesen! Zurück zum Brudermord!

Foto 2: Kain und Abel als Motiv einer Briefmarke.
Frankreich 1974

Gott verpasst Kain ein Zeichen zu seinem Schutz: Es macht Kain kenntlich und soll jeden davon abhalten, Kain zu töten. Wie dieses »Zeichen« ausgesehen hat, darüber findet sich kein Hinweis im »Alten Testament«. Das »Alte Testament« verschweigt auch, ob und falls ja, wie und wann Kain gestorben ist. Das ist seltsam. Finden sich doch von Adam bis Jesus konkrete Zahlenangaben zu jeder der biblischen Gestalten. Das »Kains-Zeichen« brachte mich auf die richtige Spur. Fündig wurde ich im »Ökumenischen Heiligenlexikon« (4):

»Jüdische Legenden erzählen deshalb: Lamech ging, als er im Alter schon blind war, auf die Jagd und ließ sich dabei von seinem jungen Sohn Tubal-Kajin leiten. Als der das Zeichen gab, schoss Lamech - doch es war nicht ein Wildtier, sondern Kain, der getötet wurde; Tubal-Kajin hatte das Kains-Zeichen, das hier als Horn beschrieben wird, mit dem Horn eines Tieres verwechselt. Verzweifelt schlug Lamech sich in die Hände und tötete so versehentlich auch Tubal-Kajin.«Konkrete Angaben zu den »jüdischen Legenden« sind freilich im »Ökumenischen Heiligenlexikon« nicht zu finden.

Wolfgang Stuch schrieb im Januar 2020 zwei interessante Kommentare bei facebook zu einem Beitrag von mir: »In den Apokryphen Schriften wird Kain versehentlich durch einen Pfeil getötet. … Sucht einfach mal im Netz nach Kains Tod. ... In jüdischen Legenden kommt da eine Passage vor.« Wenn es um »jüdische Legenden« geht, ist für mich das siebenbändige »Legends of the Jews« die erste Quelle, die ich zu Rate ziehe. Als sehr hilfreich hat sich die eBook-Aushabe von Ginzbergs monumentalem Werk in Sachen »Kains Tod« erwiesen. In Band 1 entdeckte ich im Kapitel »Die Nachkommen von Kain« die kuriose Beschreibung vom Tod Kains, wird der doch das Opfer eines blinden Jägers (5):

»Das Ende Kains überkam ihn in der siebten Generation der Menschen, und es wurde ihm zugefügt von der Hand seines Urenkels Lamech. Dieser Lamech war blind und wenn er zum Jagen ging, da wurde er von seinem jungen Sohn geführt, der seinen Vater darüber informieren würde, wenn Wild in Sicht kam, und Lamech würde dann mit Pfeil und Bogen darauf schießen.
Eines Tages gingen er und sein Sohn auf die Jagd, und der junge Bursche machte etwas Gehörntes in der Ferne aus. Natürlich hielt er es für irgendein Tier und er teilte dem blinden Lamech mit, er könne seinen Pfeil fliegen lassen. Der zielte gut und die Beute fiel zu Boden. Als sie dem Opfer nahe kamen, rief der kleine Junge aus: ›Vater, du hast etwas getötet, das in jeder Hinsicht einem Menschen ähnelt, mit Ausnahme des Horns auf der Stirn!‹
Lamech wusste sofort was geschehen war – er hatte seinen Ahnen Kain getötet, der von Gott mit einem Horn gekennzeichnet worden war. Voller Verzweiflung schlug er die Hände zusammen, wobei er dabei versehentlich seinen Sohn tötete.«

Brudermörder Kain, versehentlich von einem blinden Jäger mit Pfeil und Bogen erlegt? Ich suchte nach einer Illustration zur Geschichte vom blinden Jäger Lamech, der seinen Urahnen mit einem Pfeil erlegte. Genauer gesagt: Ich hatte vor meinem geistigen Auge ein Bild von Lamech, wie er gerade seinen Pfeil auf Kain abfeuerte. Irgendwann hatte ich dieses Bild irgendwo gesehen. Ich suchte in meinem Fotoarchiv. Ich wälzte diverse kunsthistorische Fachbücher, grub mich durch Berge von Kirchenführern. Vergeblich. Eines Nachts Anfang Januar 2020 wachte ich auf und erinnerte mich plötzlich sehr genau. Ich hatte das ominöse Bild vor vielen Jahren als Kind gesehen.

Mein Vater Walter Langbein sen. Unterrichtete am »Meranier-Gymansium Lichtenfels« Englisch und Französisch. Er bereiste England, Frankreich und die USA, arbeitete auch in Frankreich und in den USA als Lehrer. Intensiv sind meine Erinnerungen an die Basilika von Vézelay.

Vézelay ist eine kleine französische Gemeinde mit etwa vierhundert Einwohnern im Département Yonne in der Region Bourgogne-Franche-Comté. So wenige Menschen in Vézelay auch leben, so ist der Ort weltweit als einer der Ausgangspunkte des Jakobswegs (Via Lemovicensis) bekannt. Ich war als Kind mit meinem Vater vor Ort und kann mich nur noch an die Basilika von Vézelay erinnern. Das mächtige Gotteshaus empfand ich als bedrohlich. Wie eine furchteinflößende Kreatur thronte es auf einer Anhöhe über dem kleinen Dörfchen Vézelay. Das Riesenbauwerk hat sich mir als eine riesige Verschachtelung von Monstermauern, die wohl Mumien und Mysterien bieten würden, eingeprägt.

Gruselig war ein kurzer Besuch in der Krypta. Beim schwachen Schein einzelner Glühbirnen war die Wirklichkeit unheimlich wie ein alter Stummfilm über das »Phantom der Oper«. Spinnen hatten wohl schon vor Ewigkeiten ihre Netze aufgegeben, in denen sich längst keine Insekten mehr verfingen. Von irgendwo her kamen Geräusche von tropfendem Wasser. Ob es noch weitere, bislang unentdeckte Räume gab, hinter dicken steinernen Mauern? Würde man dort die Gebeine verschmachteter Gefangener finden, die irgendwo lebendig eingemauert worden waren?

Der wuchtige Turm beeindruckte mich sehr. Ausführlich erklärte mir mein Vater  die kunstvollen Kapitelle, die alle in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden sind.

Fußnoten
(1) Genesis, Kapitel 4, übersetzt aus dem hebräischen Text der »Biblia Hebraica«
(2) Hier ist der hebräische Text wohl unvollständig überliefert! Was sagte Kain zu Abel? Die Aussage Kains fehlt. Vermutlich fordert Kain seinen Bruder auf, aufs Feld zu gehen.
(3) 1. Buch Mose Kapitel 4, Vers 17
(4) »Ökumenisches Heiligenlexikon«, Stichwort »Lamech«. https://www.heiligenlexikon.de/BiographienL/Lamech.html Stand 8.1.2020
(5) Ginzberg, Louis: »The Legends of the Jews: From Creation to Jacob«, zu Deutsch etwa: »Die Legenden der Juden: Von der Schöpfung bis Jakob«
Die Printausgabe von Band 1 erschien erstmals 1909, S. 116, 14. Zeile von oben – S.117, 1. Zeile von oben

Zu den Fotos
Foto 1: Kain erschlägt Abel, Genter Altar von Jan van Eyck, 1432, gespiegeltes Foto, Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Kain und Abel als Motiv einer Briefmarke. Frankreich 1974, Foto Archiv Walter-Jörg Langbein

526. »Die zwei Tode eines Mörders«,
Teil 526 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 16. Februar 2020



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Sonntag, 14. August 2011

82 »Engel, Teufel und ein Wal«

Teil 82 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein

St. Jakobus birgt so
manches Geheimnis
Foto: W-J.Langbein
St. Jakobus liegt im Dunkel der Nacht. Der weiße Putz erstrahlt im hellen Blitzlicht meines Fotoapparats. Ein 90-jähriger Greis überprüft, ob das immer noch wehrhafte Gotteshaus auch wirklich abgeschlossen ist. Einst bot es den Menschen Schutz bei Überfällen durch feindliche Truppen. Und in seinem Inneren gab es einen kostbaren Schatz, nicht aus Gold oder Silber, sondern aus Farbe.

Am Morgen schließt der greise Küster die Tür zu St. Jakobus auf. Ich betrete ein kleines Vorräumchen. Durch eine gläserne Tür kann ich ins Innere des Gotteshauses blicken. Sonnenlicht fällt durch schmale Fenster ins Innere, Finger aus Licht gleiten über die Wände. Die Farbenpracht der zahlreichen Bilder, vor vielen Jahrhunderten entstanden, beeindruckt mich. Die Farben sind die alten Originale! Auch wenn da und dort weiße Lücken klaffen, so sind doch unzählige Kunstwerke von ganz besonderem Reiz erhalten geblieben!

Biblische Szenen wurden von unbekannten Malern verewigt. Sie wirken auf uns seltsam vertraut ... und sind doch keineswegs immer so bibelkonform, wie man das eigentlich von christlichen Malereien erwartet. Wir alle kennen die Geschichte von Kain und Abel (1): Adam und Eva hatten zwei Söhne, Kain und Abel. Beide wollten Gott ein Opfer darbringen: Kain »von den Früchten des Feldes« und Abel »von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett«. Als Gott nur Abels Opfer annahm, erschlug Kain seinen Bruder.

Adam und Eva von Urschalling
Foto: W-J.Langbein
Bis heute ist unklar, warum Gott die Opfergaben von Kain, dem Ackermann, ablehnte. Lag es daran, dass Gott den Acker verfluchte, als er Adam und Eva aus dem Paradies vertrieb? Verschmähte er Kains Ernteopfer, weil die Früchte vom verfluchten Acker stammten? Die Bibel gibt uns darüber keine Auskunft.

Wenn wir den biblischen Krimi von Kain und Abel lesen und mit den gemalten Illustrationen von Urschalling vergleichen ... dann fällt uns auf, dass der Künstler am Chiemsee Kain und Abel Gestalten zugesellte, die in der Bibel nicht vorkommen: Der fromme Abel bekommt einen Engel zur Seite gestellt, der Mörder Kain einen Teufel.

Was meist auch emsige Bibelleser nicht wissen: Einstmals war der »liebe Gott« gut und böse zugleich. Überspitzt ausgedrückt: Gott hatte eine teuflische Seite und zugleich die Charaktereigenschaften eines Engels. Gott war ursprünglich böse und gut zugleich. Der gut-böse Gott konnte durchaus sein Volk strafen, wenn ihm danach war. Ein besonders amüsant-pikanter Fall ... Gott veranlasst eine Volkszählung, um sein Volk zu piesacken. Bei Samuel (2) lesen wir: »Und der Zorn des Herrn entbrannte abermals gegen Israel, und er reizte David gegen das Volk und sprach: Geh’ hin, zähle Israel und Juda.«

Nun wird genau diese Geschichte in der Bibel ein zweites Mal erzählt, und zwar in den Chroniken. Hier heißt es (3): »Und der Satan stellte sich gegen Israel und reizte David, dass er Israel zählen ließe.« So banal die »Strafe« erscheinen mag, wichtig ist die Bedeutung der Veränderung der Geschichte: Erst war Gott der böse Strafende ... jetzt aber ist nicht mehr Gott die treibende Kraft, sondern Satan!

Kain opfert Früchte
des Feldes
Foto W-J.Langbein
Anders ausgedrückt: Das Böse des Gut-Bösen Gottes wird von Gott abgetrennt und zum bösen Satan. Versuchen wir uns in einer Begriffserklärung: Unser Wort »Teufel« hat eine griechische Wurzel, nämlich »diabolos«. »Diabolos« wiederum ist die Übersetzung des hebräischen »STN« oder – mit Vokalen versehen – »Satan« . Satan alias »Luzifer« wurde im »Alten Testament« ursprünglich sehr positiv gesehen. Er wird bei Hesekiel (4) in höchsten Tönen gelobt: »Du bist ein reines Siegel, voller Weisheit und über alle Maßen schön, du bist im Garten der Götter mit allerlei Edelsteinen geschmückt ... und warst ohne Tadel in deinem Tun von dem Tage an, da du geschaffen warst.« Der »Teufel« war also ursprünglich ein Engel ... und zwar ein sehr guter! Wie viele andere Engel gehörte er zum unmittelbaren Hofstaat Gottes.

Abel opfert Tierisches
Foto: W-J.Langbein
In der Geschichte von Hiob (5) wird Satan schon böser, aber durchaus im Einvernehmen mit Gott selbst. Gott hat wieder einmal sein »Gefolge« (6) um sich versammelt, da wird eine kritische Frage aufgebracht. Ob wohl der fromme Hiob gottesfürchtig bleiben wird, wenn es ihm schlecht geht? Wer wie die sprichwörtliche Made im Speck lebt, kann leicht fromm den Blick zum Himmel heben ... Es kommt nach kurzem Disput zwischen Gott und dem Engel Satan zu einer Art Wette: Gott gestattet es Satan, Hiob und seinen Angehörigen schlimmstes Leid zuzufügen. Armut, Elend und Tod lassen aber Hiob nicht von seinem unerschütterlichen Glauben abrücken. Gott – der Gute – behält recht. Der böse Engel – Satan – hat sich geirrt. Ausbaden musste es ... der fromme Hiob!

Wer die Bibel mit detektivischem Spürsinn, wer ihre versteckten Botschaften erkennt, der weiß: Vom einst gut-bösen Gott spaltete sich das Böse ab. Gott wurde zum nur-noch-guten Gott ... und Satan alias Luzifer wurde zum Bösen. Für ihn war kein Platz mehr im Himmel. Die Konsequenz war der Höllensturz aus dem Himmel. Und so sagt Jesus – wir finden das Wort bei Lukas (6): »Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.« Und so entstanden zwei polare Mächte: Gott und die guten Engel einerseits ... und Teufel und die bösen Engel andererseits. Dem aus dem Himmel gefallenen Engel Satan wurde ein böser Hofstaat beigestellt, aber nur in der Theologie. Diese seltsame, aber irgendwo auch logische Entwicklung wird in Urschalling sehr deutlich gemacht ... der »böse« Kain hat einen Teufel auf seiner Seite, der gute Abel einen Engel. So versuchte man sich »theologisch« die Welt zu erklären: Gott ist gut, aber es gibt dennoch das Böse auf Erden ... weil das Böse (der Teufel) den Menschen in Versuchung führen darf. Das Böse scheint oft zu obsiegen ... aber spätestens nach dem jüngsten Gericht siegt das Gute.

Jesus, der Wal und
zwei Teufel
Foto: W-J.Langbein
In Urschalling wird der Sieg des Guten über das Böse in einem für heutige Betrachter skurril anmutenden Freskogemälde: Wir sehen einen riesigen Walfisch mit weit aufgerissenem Maul. Er kann es nicht mehr schließen, weil Jesus sein Kreuz zwischen die Kiefer des Monsterwesen gestemmt hat. Aus dem Rachen des Wals steigen Menschen, ganz voran Johannes der Täufer (mit Heiligenschein) gefolgt von Adam und Eva. Die Bedeutung des Bildes aus christlicher Sicht: Jesus ist für die Menschen gestorben. Er hat durch seinen Tod und durch seine Auferstehung – so sieht es der Christ – die Menschheit gerettet. Nach dem »Jüngsten Gericht« folgt für die Gerechten das ewige Leben.

Im Kirchenführer »Urschalling« heißt es zum Wal-Bild (7): »Im Zeichen des Kreuzes werden sie (die Menschen) nun befreit, aus der Knechtschaft Satans herausgeführt in das neue Leben mit dem Auferstandenen beim Vater.« Auf dem Haupt des Wals von Urschalling steht, heute nur noch schlecht zu erkennen, Satan mit Klauenfüßen und spitzem Schwanz. Ein weiteres teuflisches Monster, mit Horn und Klauenpranke, schaut grinsend aus dem Maul des Wals. Wie ein sicherer Verlierer ... sieht es für mich nicht aus.

Urschalling vermittelt uns ein mittelalterliches Bild von der Welt, in der wir leben. Der Mensch wird vom Teufel bedroht, der vom Himmel gefallen ist ... und im Jenseits lockt das Paradies. Bei allem Respekt vor religiösen Weltbildern ... Unser Planet Erde wird von einem höchst irdischen und selbstgemachten »Teufel« bedroht! Und wir können nicht auf einen fernen Sankt Nimmerleinstag warten, bis wird von himmlischen Mächten von dieser Gefahr befreit werden! Wir müssen selbst tätig werden und eine höchst irdisch-reale »Bombe« entschärfen, bevor sie den gesamten Erdball zur Hölle macht!

Wir müssen so schnell wie möglich alles tun, damit das irdische Leben nicht durch ein künftiges globales Fukushima ausgelöscht wird. Religiöser Fundamentalismus welcher Art auch immer wird uns bei dieser Mammutaufgabe nicht helfen, ganz im Gegenteil!

Buchtipp:

Fußnoten
1: Das Erste Buch Mose Kapitel 4, Verse 1-16
2: Das zweite Buch Samuel Kapitel 24, Vers 1
3: Das erste Buch der Chronik Kapitel 21, Vers 1
4: Der Prophet Hesekiel Kapitel 28, Verse 12-15
5: Das Buch Hiob Kapitel 1, Verse 6-12
6: Das Evangelium nach Lukas Kapitel 10, Vers 18
7: Brugger, Walter und Bahnmüller, Lisa: »Urschalling«, Raublung, 3. Auflage 2003, S. 28

»Die Monstermauer von Ollantaytambo«,
Teil 83 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 21.08.2011

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