St. Jakobus liegt im Dunkel der Nacht. Der weiße Putz erstrahlt im hellen Blitzlicht meines Fotoapparats. Ein 90-jähriger Greis überprüft, ob das immer noch wehrhafte Gotteshaus auch wirklich abgeschlossen ist. Einst bot es den Menschen Schutz bei Überfällen durch feindliche Truppen. Und in seinem Inneren gab es einen kostbaren Schatz, nicht aus Gold oder Silber, sondern aus Farbe.
Am Morgen schließt der greise Küster die Tür zu St. Jakobus auf. Ich betrete ein kleines Vorräumchen. Durch eine gläserne Tür kann ich ins Innere des Gotteshauses blicken. Sonnenlicht fällt durch schmale Fenster ins Innere, Finger aus Licht gleiten über die Wände. Die Farbenpracht der zahlreichen Bilder, vor vielen Jahrhunderten entstanden, beeindruckt mich. Die Farben sind die alten Originale! Auch wenn da und dort weiße Lücken klaffen, so sind doch unzählige Kunstwerke von ganz besonderem Reiz erhalten geblieben!
Biblische Szenen wurden von unbekannten Malern verewigt. Sie wirken auf uns seltsam vertraut ... und sind doch keineswegs immer so bibelkonform, wie man das eigentlich von christlichen Malereien erwartet. Wir alle kennen die Geschichte von Kain und Abel (1): Adam und Eva hatten zwei Söhne, Kain und Abel. Beide wollten Gott ein Opfer darbringen: Kain »von den Früchten des Feldes« und Abel »von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett«. Als Gott nur Abels Opfer annahm, erschlug Kain seinen Bruder.
Adam und Eva von Urschalling Foto: W-J.Langbein |
Wenn wir den biblischen Krimi von Kain und Abel lesen und mit den gemalten Illustrationen von Urschalling vergleichen ... dann fällt uns auf, dass der Künstler am Chiemsee Kain und Abel Gestalten zugesellte, die in der Bibel nicht vorkommen: Der fromme Abel bekommt einen Engel zur Seite gestellt, der Mörder Kain einen Teufel.
Was meist auch emsige Bibelleser nicht wissen: Einstmals war der »liebe Gott« gut und böse zugleich. Überspitzt ausgedrückt: Gott hatte eine teuflische Seite und zugleich die Charaktereigenschaften eines Engels. Gott war ursprünglich böse und gut zugleich. Der gut-böse Gott konnte durchaus sein Volk strafen, wenn ihm danach war. Ein besonders amüsant-pikanter Fall ... Gott veranlasst eine Volkszählung, um sein Volk zu piesacken. Bei Samuel (2) lesen wir: »Und der Zorn des Herrn entbrannte abermals gegen Israel, und er reizte David gegen das Volk und sprach: Geh’ hin, zähle Israel und Juda.«
Nun wird genau diese Geschichte in der Bibel ein zweites Mal erzählt, und zwar in den Chroniken. Hier heißt es (3): »Und der Satan stellte sich gegen Israel und reizte David, dass er Israel zählen ließe.« So banal die »Strafe« erscheinen mag, wichtig ist die Bedeutung der Veränderung der Geschichte: Erst war Gott der böse Strafende ... jetzt aber ist nicht mehr Gott die treibende Kraft, sondern Satan!
Kain opfert Früchte des Feldes Foto W-J.Langbein |
In der Geschichte von Hiob (5) wird Satan schon böser, aber durchaus im Einvernehmen mit Gott selbst. Gott hat wieder einmal sein »Gefolge« (6) um sich versammelt, da wird eine kritische Frage aufgebracht. Ob wohl der fromme Hiob gottesfürchtig bleiben wird, wenn es ihm schlecht geht? Wer wie die sprichwörtliche Made im Speck lebt, kann leicht fromm den Blick zum Himmel heben ... Es kommt nach kurzem Disput zwischen Gott und dem Engel Satan zu einer Art Wette: Gott gestattet es Satan, Hiob und seinen Angehörigen schlimmstes Leid zuzufügen. Armut, Elend und Tod lassen aber Hiob nicht von seinem unerschütterlichen Glauben abrücken. Gott – der Gute – behält recht. Der böse Engel – Satan – hat sich geirrt. Ausbaden musste es ... der fromme Hiob!
Wer die Bibel mit detektivischem Spürsinn, wer ihre versteckten Botschaften erkennt, der weiß: Vom einst gut-bösen Gott spaltete sich das Böse ab. Gott wurde zum nur-noch-guten Gott ... und Satan alias Luzifer wurde zum Bösen. Für ihn war kein Platz mehr im Himmel. Die Konsequenz war der Höllensturz aus dem Himmel. Und so sagt Jesus – wir finden das Wort bei Lukas (6): »Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.« Und so entstanden zwei polare Mächte: Gott und die guten Engel einerseits ... und Teufel und die bösen Engel andererseits. Dem aus dem Himmel gefallenen Engel Satan wurde ein böser Hofstaat beigestellt, aber nur in der Theologie. Diese seltsame, aber irgendwo auch logische Entwicklung wird in Urschalling sehr deutlich gemacht ... der »böse« Kain hat einen Teufel auf seiner Seite, der gute Abel einen Engel. So versuchte man sich »theologisch« die Welt zu erklären: Gott ist gut, aber es gibt dennoch das Böse auf Erden ... weil das Böse (der Teufel) den Menschen in Versuchung führen darf. Das Böse scheint oft zu obsiegen ... aber spätestens nach dem jüngsten Gericht siegt das Gute.
In Urschalling wird der Sieg des Guten über das Böse in einem für heutige Betrachter skurril anmutenden Freskogemälde: Wir sehen einen riesigen Walfisch mit weit aufgerissenem Maul. Er kann es nicht mehr schließen, weil Jesus sein Kreuz zwischen die Kiefer des Monsterwesen gestemmt hat. Aus dem Rachen des Wals steigen Menschen, ganz voran Johannes der Täufer (mit Heiligenschein) gefolgt von Adam und Eva. Die Bedeutung des Bildes aus christlicher Sicht: Jesus ist für die Menschen gestorben. Er hat durch seinen Tod und durch seine Auferstehung – so sieht es der Christ – die Menschheit gerettet. Nach dem »Jüngsten Gericht« folgt für die Gerechten das ewige Leben.
Im Kirchenführer »Urschalling« heißt es zum Wal-Bild (7): »Im Zeichen des Kreuzes werden sie (die Menschen) nun befreit, aus der Knechtschaft Satans herausgeführt in das neue Leben mit dem Auferstandenen beim Vater.« Auf dem Haupt des Wals von Urschalling steht, heute nur noch schlecht zu erkennen, Satan mit Klauenfüßen und spitzem Schwanz. Ein weiteres teuflisches Monster, mit Horn und Klauenpranke, schaut grinsend aus dem Maul des Wals. Wie ein sicherer Verlierer ... sieht es für mich nicht aus.
Urschalling vermittelt uns ein mittelalterliches Bild von der Welt, in der wir leben. Der Mensch wird vom Teufel bedroht, der vom Himmel gefallen ist ... und im Jenseits lockt das Paradies. Bei allem Respekt vor religiösen Weltbildern ... Unser Planet Erde wird von einem höchst irdischen und selbstgemachten »Teufel« bedroht! Und wir können nicht auf einen fernen Sankt Nimmerleinstag warten, bis wird von himmlischen Mächten von dieser Gefahr befreit werden! Wir müssen selbst tätig werden und eine höchst irdisch-reale »Bombe« entschärfen, bevor sie den gesamten Erdball zur Hölle macht!
Wir müssen so schnell wie möglich alles tun, damit das irdische Leben nicht durch ein künftiges globales Fukushima ausgelöscht wird. Religiöser Fundamentalismus welcher Art auch immer wird uns bei dieser Mammutaufgabe nicht helfen, ganz im Gegenteil!
Buchtipp:
Die Geheimnisse der sieben Weltreligionen von Walter-Jörg Langbein
Fußnoten
1: Das Erste Buch Mose Kapitel 4, Verse 1-16
2: Das zweite Buch Samuel Kapitel 24, Vers 1
3: Das erste Buch der Chronik Kapitel 21, Vers 1
3: Das erste Buch der Chronik Kapitel 21, Vers 1
4: Der Prophet Hesekiel Kapitel 28, Verse 12-15
5: Das Buch Hiob Kapitel 1, Verse 6-12
6: Das Evangelium nach Lukas Kapitel 10, Vers 18
7: Brugger, Walter und Bahnmüller, Lisa: »Urschalling«, Raublung, 3. Auflage 2003, S. 28
»Die Monstermauer von Ollantaytambo«,
Teil 83 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 21.08.2011
Teil 83 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 21.08.2011
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