Sonntag, 15. Mai 2016

330 »Kuelap – Kultur aus dem Nichts«

Teil 330 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Der steile Pfad nach Kuelap

»2001 führte ich eine kleine Gruppe ins Reich der Chachapoyas in den nördlichen Anden Perus. Auf der strapaziösen Reise wollten wir gemeinsam das Erbe eines der geheimnisvollsten Völker unseres Planeten kennenlernen. Woher kamen die Chachapoyas? Niemand vermag das zu sagen. Rätselhaft ist auch ihr Verschwinden aus der Geschichte.« So berichtete ich in Folge 1 meiner Sonntagsserie »Monstermauern, Mumien und Mysterien«, erschienen am 17. Januar 2010.

Die Metropole der Chachapoyas, einst eine gigantische Wehranlage mit einer Monstermauer erstaunlichen Ausmaßes, stellt Touristenattraktionen wie Machu Picchu in den Schatten. Die Anreise freilich schreckt viele Menschen davon ab, das archäologische Mysterium in den Anden zu besuchen.

Wir flogen von Cuenca in Ecuador nach Piura in Nordperu. Per Bus reisten wir weiter bis nach Olmos. Von Olmos aus war ein Weiterkommen nur per Geländewagen möglich. Nach und nach näherten wir uns unserem Ziel: Via Laguna Pomacochas  im Tal des Rio Utcumbamba wagten wir uns nach Chillo bei Tingo, kamen allen Widrigkeiten zum Trotz in Magdalena an und fanden nach abenteuerlicher Fahrt das schlichte »Hostal el Chillo«. Eine Gemeinschaftsdusche spendete eiskaltes Wasser, vom Wirt Oscar selbst gebrannter Schnaps wärmte Leib und Seele. Und per Jeep machten wir uns endlich auf, um die Metropole der Chachapoyas, Kuelap, zu erkunden. Das letzte Stück des Wegs ab dem Dörfchen Quisango in recht dünner Luft – etwa 3.000 Meter über dem Meeresspiegel – war recht anstrengend, auf schmalem Pfad, teilweise steil bergan.

Foto 2: Ein Teil der Monstermauer von Kuelap

Die wirklich atemraubende Ruine mit ihrer bis zu 20 Meter hohen Monstermauer ist archäologisch bis heute erst zum Teil untersucht. Es fehlt am Geld. Geld bringen Touristen ins Land. Die »Süddeutsche Zeitung« vermeldete (1): »Nur wenige Touristen verirren sich in diese Gegend, die von den Peruanern ›Augenbraue des Amazonas‹ genannt wird. Dabei verbirgt sich 70 Kilometer von Chachapoyas entfernt an der Ostflanke der Anden eine der spektakulärsten und doch weitgehend unbekannten archäologischen Stätten Südamerikas: die altperuanische Festungsstadt Kuélap, die keinen Vergleich mit der Inkafestung Machu Picchu zu scheuen braucht, aber wegen der schwer zugänglichen Lage bislang wenig besucht wird.«


Foto 3: Tingo Nuevo, vorn, und Kuelap, oben

Bald soll Kuelap aus dem konservierenden Dornröschenschlaf geweckt werden (2). Die fantastische Ruinenanlage soll für den Massentourismus erschlossen werden. Die Regierung von Peru möchte Kuelap zu einer lukrativen Geldquelle machen. So ist seit dem 13. August 2015 eine Kabel-Kabinenbahn in Arbeit, die vielleicht schon bald etwa 100.000 Besucher direkt in die geheimnisvolle Stätte schaffen wird. In Tingo Nuevo sollen die Touristenmassen in luxuriöse Kabinen verfrachtet werden. Zwanzig Minuten sind sie dann unterwegs und reisen ein Jahrtausend in die Vergangenheit.

Tingo, Hauptstadt des Distrikts Tingo, wurde 1994 durch eine gewaltige Schlammlawine vollkommen zerstört. Tingo Nuevo, also »Neues Tingo«, wurde oberhalb des verschütteten Dorfes gebaut. Trotz der lokalpolitischen Bedeutung verlief das Leben beschaulich-gemächlich. Mit der ländlichen Idylle wird es freilich bald ein Ende haben, wenn Touristenströme auftauchen werden. Aus Sicht der Tourismusindustrie wird die Kabel-Kabinenbahn mit ihren modernen Gondeln ein Segen sein.

Ob diese Neuerung sich freilich auch für die Dörfler als Segen erweisen wird, halte ich für fraglich. Den Reibach werden wohl finanzstarke Investoren machen, die Einheimischen benötigt man allenfalls für niedere, schlecht bezahlte Arbeit. Ich fürchte auch, dass der Schaden für die zahlreichen kleineren Ruinen bis hin zur einstigen Metropole Kuelap selbst größer als der Nutzen sein wird. Allein die gewaltigen Stützpfeiler der Bahn werden massive Eingriffe in die bislang unberührte Landschaft bedeuten. Ob da Rücksicht genommen wird auf archäologisch bedeutsame Funde? Das bezweifle ich stark.

Ich hoffe aber, dass auch Geld in den Erhalt von Kuelap fließen wird. Bei meinem letzten Besuch verharrten die erstaunlichen Ruinen noch in einem stillen Dornröschenschlaf. Die einst stolze Festungsanlage, einst in drei »Etagen« angelegt, bot Schutz für mindestens 300 steinerne, runde Häuser. Ich bin die gesamte Stadt abgeschritten. Sie ist – nord-südlich ausgerichtet – fast 590 Meter lang und 110 Meter breit. Unklar ist bis heute, ob Kuelap durchgehend bewohnt war. Oder diente die Anlage nur als Fluchtburg? Oder war Kuelap weniger weltliche Siedlung als religiöses Zentrum? Strömten die Menschen vor einem Jahrtausend nach Kuelap, um dort ihren Göttern zu huldigen?

Foto 4: Baufälliges Mauerwerk von Kuelap

Schriftliche Zeugnisse haben die Erbauer und Bewohner von Kuelap nicht hinterlassen. So wissen wir kaum etwas über ihre Religion. Vermutlich war Kuelap auch so etwas wie ein Zentrum für astronomische Beobachtungen. Einzelne Bauten wie ein ruinös erhaltener Turm mögen der Beobachtung von Planeten und Sternen gedient haben. Einige Gravuren im Stein deuten womöglich auf einen Schlangenkult hin. Frauen, das ist überliefert, genossen hohes Ansehen bei den Bewohnern von Kuelap. Sie wurden auch bei militärischen Fragen konsultiert. Mag sein, dass matriarchalische Strukturen das Leben der Menschen bestimmten.

Foto 5: Mumiensarkophage von Kuelap

Die Toten von Kuelap wurden in Mumienbündeln an Steilwänden in Felsspalten deponiert. Oder sie wurden in Embryohaltung in Sarkophagen in Menschengestalt zur letzten Ruhe gebettet. Theologie-Professor Georg Fohrer, den ich konsultierte, erklärte mir: »In mutterrechtlich organisierten Gruppen wurde die große Göttin verehrt. Sie stand für den ewigen Kreislauf des Lebens. Wer als Mumie konserviert wurde, sollte dereinst neu geboren werden. Die Magie des Weiblichen, das Wunder von Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt stand im Zentrum.«


Foto 6: Autor Langbein vor Ort
Vermutlich, aber auch das ist ungewiss, tauchte das rätselhafte Volk der Wolkenmenschen im 9. Jahrhundert im Norden Perus auf, so hörte ich vor Ort immer wieder. Archäologische Funde würden das bestätigen. Heute freilich geht die Wissenschaft davon aus, dass Kuelap sehr viel älter ist. So konstatiert Hans Giffhorn, Professor i.R. für Kulturwissenschaften an den Universitäten Göttingen und Hildesheim: »Kuelap entstand fernab von allen anderen peruanischen Hochkulturen, nach neuesten Schätzungen irgendwann zwischen 100 vor und 400 nach Christus. Das war lange, bevor es die Inka gab.«

Wer auch immer Kuelap baute, ein »primitives« Volk war es nicht. So war die mysteriöse Stadt Kuelap mit einem erstaunlich modern wirkenden Abwassersystem ausgestattet. Die steinernen Rundbauten sind einzigartig, ja fremdartig. Sie wurden auch außerhalb der Monstermauer von Kuelap gefunden. In den schwer zugänglichen Wäldern um Kuelap fanden sich Reste, auch auf Bergen. Kurios ist, dass sich keine Entwicklung hin zu den runden Steingebäuden gegeben hat. Ja die Kultur von Kuelap hatte offensichtlich keinerlei Vorläufer. Sie taucht plötzlich aus dem Nichts auf. So schreibt auch Hans Giffhorn (4): »Schon die ältesten Funde zeigten die hochentwickelte Baukunst, wie sie zum Beispiel in der Festung Kuelap zum Ausdruck kommt. Plötzlich war diese Kultur da – scheinbar wie aus dem Nichts! Bis heute sind die wenigen Archäologen, die sich mit den Rundbauten Nordperus befassen, ratlos.«

Wenn Kuelap von Vertretern einer hoch entwickelten Kultur erbaut wurde, wo sind dann die Wurzeln dieser Kultur zu vermuten?

Fußnoten

Foto 7: Buchcover Giffhorn
1) »SZ.de, 18. März 2011, 11:18 Uhr: »Archäologie in Nord-Peru/ Kuélap – älter und größer als Machu Picchu«
2) Information von »Condor Travel«
3) Giffhorn, Hans: »Wurde Amerika in der Antike entdeckt?« München, März 2014. Zitiert habe ich die eBook-Ausgabe!
4) ebenda


Zu den Fotos

Foto 1: Der steile Pfad nach Kuelap. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Ein Teil der Monstermauer von Kuelap
Foto 3: Tingo Nuevo, vorn, und Kuelap, oben. Foto wiki commons/ i
Foto 4: Baufälliges Mauerwerk von Kuelap. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Mumiensarkophage von Kuelap: Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Autor Langbein vor Ort. Foto Ingeborg Diekmann

Foto 7: Buchcover Giffhorn. Foto Verlag

331 »Kamen die Kelten bis Peru?«,
Teil 331 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 22.05.2016


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2 Kommentare:

  1. Die Vorfahren kamen von Lemuria über das Meer von Westen.

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  2. Danke für den Kommentar. In der Tat, das ist denkbar. Das müsste vor sehr langer Zeit gewesen sein. Aber die ältesten Kulturen sind ja in sehr, sehr frühen Epochen anzusiedeln!

    AntwortenLöschen

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