Sonntag, 25. November 2012

149 »Laguna Lejia«

Teil 149 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Laguna Lejia
Foto W-J.Langbein
Von der schillernden Welt der Salar de Atacama geht es hoch ... in Höhen, in denen man sonst nur Engeln oder Flugzeugen begegnet. Laguna Lejia ist unser Ziel ... in über 4300 Metern Höhe! In San Pedro de Atacama, einem bescheidenen Wüstenkaff, kann man sich in »nur« 2500 Metern über Normalnull akklimatisieren. Und das ist bitter nötig! Übertriebener sportlicher Ehrgeiz kann gesundheitsschädlich sein!

So habe ich erlebt, wie eine Gruppe von Mountainbikern aus einem Bus kletterte. Sie holten sich ihre Räder, der Bus fuhr voran und war bald außer Sichtweite. Und dann schwangen sich die Sportler auf ihre Bikes und trampelten ... in einer Höhe von 3000 Metern über Normalnull los. Eine junge Frau fiel zurück, versuchte die anderen einzuholen ... vergeblich. Auf einer Höhe von 4000 kippte sie schließlich vom Rad, blieb – von den anderen unbemerkt – liegen. Wir haben sie in unseren Bus getragen und zu ihrer Gruppe gefahren. Sie war vollkommen desorientiert ... zum Glück hatten wir Sauerstoff dabei!

Seltsame Gravuren in
der Wüste
Fotos: W-J.Langbein
Es geht vorbei an Steinen, die wer weiß vor wie vielen Jahrhunderten oder Jahrtausenden mit rätselhaften Gravuren versehen wurden. Ist es bedeutungslose Graffiti-Kunst? Oder konnten die Menschen einst diese Zeichen wie ein Buch lesen? Wurden hier Hinweise auf Gefahren in den Stein geritzt, symbolisch dargestellt, vergleichbar mit unseren Schildern am Straßenrand? Oder ging es vielmehr um astronomische Beobachtungen? Wurden besondere Himmelserscheinungen wie Kometen dokumentiert? Bislang wurden die sprechenden Steine von unseren Experten nicht wieder zum Reden gebracht.

Bis heute gibt es keine Bestandsaufnahme der gravierten Steine. Sie sollen viel älter sein als die Scharrzeichnungen in der Atacama-Wüste. Sie sind sehr viel abstrakter, weniger realistisch als die Bilderbücher im Wüstensand!

Es geht weiter an kleinen Dörfchen, die einen strahlend sauberen Eindruck machen. Mächtige Vulkane liefern das am häufigsten verwendete Baumaterial. Die Brocken aus Vulkangestein kommen beim Häuserbau ebenso zum Einsatz wie bei der Friedhofsmauer. Ein kalkhaltiger Putz wird aufgetragen ... oder die Steine werden mit dicker, kalkhaltiger Farbe bemalt. Die Menschen in dieser Region sind nach unseren Maßstäben sehr arm. Sie arbeiten hart für wenig Geld. Ihre bescheidenen Behausungen aber sind blitzblank. Sie erstrahlen geradezu hellweiß in der gleißenden Sonne.

Unterwegs zur Laguna
Lejia - Foto: W-J.Langbein
Manchmal kam es mir so vor, als sei die offizielle Religion – der Katholizismus – so oberflächlich wie die Kalkfarbe auf den Steinen aufgetragen. Ein Dorfgeistlicher erzählte mir resigniert-deprimiert: »Der alte Aberglaube lebt weiter. Christliche Missionare haben schon lange versucht, die Menschen davon abzubringen und wirklich für den christlichen Glauben zu gewinnen ... Vergeblich!« Woran das liegen mag, will ich wissen. Der Priester wiegt nachdenklich den Kopf. Er schweigt eine Weile.

»Mag sein,« so sagt der Gottesmann schließlich nachdenklich, »dass die mordenden und plündernden Eroberer Südamerikas nicht gerade glaubwürdige Vertreter der Religion der Nächstenliebe waren. Wer das Schwert schwingt und gleichzeitig von Nächstenliebe spricht ... wer predigt, dass es auf geistliche Werte ankommt und gleichzeitig durch Folter an versteckte Goldschätze kommen möchte ...« Der Geistliche verstummt. »Wir nehmen es hin, dass die Menschen in ihrem alten Götterglauben verwurzelt sind. Sie pilgern nach wie vor zu den Vulkanen, quälen sich in die Höhe, um den Göttern näher zu kommen. Dort opfern sie ihnen, wie schon vor vielen Jahrhunderten! Es sind heidnische Götter, die da angebetet werden, auch wenn die Wanderer auf uralten Prozessionswegen Kreuze tragen. Auch wenn christliche Geistliche mitmarschieren und dem Ganzen einen christlichen Touch zu geben versuchen!«

Steinerne Pyramiden begegnen uns auf dem Weg zur Lagune immer wieder in winzigen Dörfern. Oft sind es mehr kleine Gehöfte als Siedlungen. Die Symbole stehen, so erklärt mir ein einheimischer Reiseführer, für das uralte Weltbild der kosmischen Mächte hoch oben auf den Vulkankegeln. Einigen hat man das christliche Kreuz aufgesetzt ... »Aber die alten Götter sind noch präsent ...«

Pyramide und Kreuz
Foto W-J.Langbein
Die Menschen, so erfahre ich weiter, sehen keinen Widerspruch: Sie glauben an die himmlische Gottesmutter Maria, die hoch oben bei den Sternen thront ... und an zornige Götter, die im Erdinneren hausen und den Menschen Tod und Verderben bringen können, wenn Vulkane ihre glühende Höllenlava über Mensch und Tier ergießen lassen!

»Der Schamane vermittelt schon immer zwischen den Welten, zwischen den Göttinnen und Göttern im Himmel ... und den Mächten, die in der Erde hausen. Das Christentum genügt vielen Menschen hier nicht, es ist ihnen zu simpel! Es soll nur einen Gott geben? Oder glaubt der Christ an mehrere Götter ... an Vater, Sohn und Heiligen Geist? So einfach verschwinden aber die mächtigen Götter nicht von den Vulkankegeln! Wer sie leugnet, bringt Unglück auf sich selbst und seine Familie!« Um Katastrophen zu vermeiden, gehen viele Einheimische auf »Nummer sicher«. Sie besuchen regelmäßig den katholischen Gottesdienst ... und pilgern zu den Göttinnen und Göttern.

Und die Göttinnen und Götter haben mit den einst heiligen Vulkanen zu tun. In Stein verewigt: ein Symbol, das an die christliche Dreifaltigkeit erinnert. Es könnte aber auch für drei Feuerzungen stehen, die aus einem Vulkan geschleudert werden. »In Europa hat man doch auch den Donner und den Blitz mit Göttern wie Thor in Verbindung gebracht! Hier, wo Vulkane das Landschaftsbild prägen, gelten Vulkanausbrüche als Strafe der Götter! Mancher ›Christ‹ fürchtet sich vor göttlicher Strafe: weil man sich zu sehr vom alten Glauben abgewendet hat!«

Uraltes Symbol alten
Volksglaubens
Foto: W-J.Langbein
Der Geistliche wird zornig: »Der religiösen Obrigkeit in Rom ist das egal! Dort ist vor allem wichtig, dass viele Menschen getauft und als Christen in den Statistiken geführt werden!« Beim Abschied murmelt er mir zu: »Wenn Sie wüssten, wie viele ›christliche‹ Geistliche den alten Göttinnen und Göttern der Vulkane näher stehen als dem biblischen Jahwe ...«, kopfschüttelnd zieht er sich in seine kleine Kirche zurück.

Man kommt dem Himmel wirklich näher, wenn man sich »Laguna de Lejia« nähert. Das Himmelsblau scheint klarer zu werden. Und in 4300 Metern scheinen sich blaues Wasser und blauer Himmel ineinander zu spiegeln. Und scheinbar überall recken riesige Vulkane ihre schneebedeckten Häupter gen Himmel. Da und dort scheint es in dem einen oder anderen Koloss zu rumoren. Steht ein Ausbruch bevor. Vulkan Lascar gehört zu den unmittelbaren »Nachbarn« der Lagune Lejia ... und ist der vermutlich aktivste Feuerberg der Anden. Der Lascar ist ein furchteinflößender Koloss. Mehr als 5600 Meter ragt er in den Himmel. Schon oft spie er Lavamassen und Asche hoch in die Atmosphäre. Sein aktiver Krater misst 800 Meter im Durchmesser und ist dreihundert Meter tief. Sechs Katastrophen hat er mindestens verursacht, der vulkanische Riese. Sechs zum Teil überlappende Kraterschlünde sind noch zu erkennen. Die Frage ist nicht, ob der Lascar wieder Feuer und Lava speien wird, sondern wann. Und die Bevölkerung vor Ort rechnet damit schon seit Jahren!















WJ Langbein: 2012 - Endzeit und Neuanfang


»Von Riesenköpfen und Monsterwesen«,
Teil 150 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 02.12.2012


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Sonntag, 18. November 2012

148 »Salar de Atacama«

Teil 148 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein

Bilderbücher im Wüstensand
Foto W-J.Langbein
So trocken wie die Wüste von Atacama, so langweilig war auch der Erdkundeunterricht: Öde Zahlen wurden vom desinteressierten Pädagogen heruntergeleiert. Dabei gehört das staubtrockene Land zu den exotischsten Reisezielen unseres Planeten! Damals, im Schulfach Geographie wäre ich vor Langeweile fast eingeschlafen. Ich hätte nie und nimmer geglaubt, dass ich diese surreale Landschaft einmal leibhaftig erleben würde!

Mich haben die teilweise riesengroßen Scharrzeichnungen in die Gefilde von San Pedro de Atacama gelockt. Von hier aus unternahm ich immer wieder Ausflüge zu den geheimnisvollen Bilderbüchern. Sie wurden vor vielen Jahrhunderten in den Wüstenboden gescharrt ... oder mosaikartig aus Steinbrocken in den Wüstenstaub gelegt. Wer sollte die Bilder sehen, die man oft am besten aus der Luft erkennt, wie den mysteriösen Riesen der Atacama-Wüste?

Immer wieder entdeckte ich eine Kombination von Steinhaufen, die miteinander durch Linien verbunden waren. Oft führte so eine Linie von Steinanhäufung zu Steinanhäufung direkt zu Berggipfeln. Verwiesen diese Wegweiser vor vielen Jahrhunderten auf besonders heilige Ziele, zu denen die Menschen durch die Wüste pilgerten? Legten die Verehrer längst vergessener Göttinnen und Götter die Scharrzeichnungen an, in der Hoffnung, die Himmlischen würden sie wie ein Buch lesen können?

Wegweiser durch die
Wüste - Foto:
W-J.Langbein
Viele Jahrhunderte lang konnte der Zahn der Zeit den uralten Bildnissen nichts anhaben. Heute trampeln neugierige Touristen auf den mysteriösen Wüstenzeichnungen herum, bedrohen die Existenz bis heute unverstandener Botschaften. Werden sie zerstört werden, bevor wir sie verstehen? In Chile hörte ich wiederholt die folgende Erklärung:

»Die weithin sichtbaren Linien führten einst die Wüstenbewohner zu Wasserquellen hin. Die Menschen mussten oft riesige Strecken zu Fuß zurücklegen, um an sauberes Trinkwasser zu kommen. Markierungen wiesen den Menschen den Weg. Am »Straßenrand« hinterließen sie Zeichnungen und Symbole. Mag sein, dass bestimmte Wege von bestimmten Stämmen als Eigentum angesehen wurden, die mit der Bilderschrift ihre Ansprüche verewigten. Mag sein, dass den nachfolgenden Wassersuchern wichtige Hinweise vermittelt wurden, etwa, dass da eine Quelle versiegt sei und dass dort eine andere Quelle wieder Wasser führe.« Beweise für diese These gibt es keine. Mir ist keine einzige Peillinie begegnet, die tatsächlich zu einem Brunnen oder zu einer Quelle führte ...

10.000 vor Christus sollen die ersten Menschen in die bizarre Wüstenregion gekommen sein. Regen gibt es in der Trockenzeit so gut wie keinen. Einzig nennenswerter, sichtbarer Hauptlieferant von Süßwasser ist der Fluss San Pedro. Es soll aber eine ganze Reihe von unterirdischen Zuflüssen geben.

Todeszone Wüste
Foto W-J.Langbein
In rund 2300 Metern Höhe erstreckt sich im Süden von San Pedro de Atacama die Salzwüste »Salar de Atacama« (auch »Solar de Atacama«). 3000 Quadratkilometer groß ist sie ... 3000 Quadratkilometer Planet Erde, die so fremdartig wirken, dass man sich auf einen fernen Planeten versetzt fühlt.

Nur mit kundigem Führer sollte man sich in die Wüste wagen ... und sich auf die Sonne vorbereiten und Sonnencreme mit höchstem Schutzfaktor rechtzeitig dick auftragen! Temperaturen von 50 Grad sind keine Seltenheit. Bei solcher Höllenhitze muss ausreichend getrunken werden. Richtwert: 1 Liter pro Stunde ... wenn man gemächlich schlendert. Schwer arbeitende Einheimische trinken täglich bis zu fünfzehn Liter Wasser!

Sollte man an einem kleinen Lokal vorbeikommen ... in irgendeinem Dörfchen ... dann ist es sehr riskant, Wasser mit Eiswürfeln zu konsumieren. Mag das eigentliche Trinkwasser im Glas noch so sauber sein, die Eiswürfel können aus für den Besucher ungenießbarem Wasser bestehen ... und zu horrendem Durchfall führen. Dieses Leiden kann einen Aufenthalt in der Wüste zur tödlichen Gefahr machen: Dem Körper wird viel zu schnell zu viel Wasser entzogen! Hitzschlag droht!

Wunderwelt Solar de Atacama
Foto: W-J.Langbein
Sportive Radler dürfen nicht einem folgenschweren Irrtum erliegen: Man könnte meinen, der Hitze des Tages in der Nacht entfliehen zu können. Die dann jedoch auftretenden eisigen Temperaturen machen aber das Radfahren nicht zu einem gemütlichen Sonntagsausflug!

Taxis bugsieren den interessierten Touristen zu erschwinglichen Preisen sicher an die interessantesten Plätze. Busse verkehren auch, aber oft gelangt man mit dem öffentlichen Verkehrsmittel nicht direkt ans gewünschte Ziel. Man muss dann oft noch erhebliche Strecken zu Fuß zurücklegen. Nicht unproblematisch ist das Fahrrad als Vehikel. Selbst sportliche Menschen mit guter Kondition können in der Atacama Wüste rasch an die Grenze ihrer Belastbarkeit kommen ... und setzen dann ihre Gesundheit aufs Spiel!

3000 Quadratkilometer groß ist Salar (auch Solar) de Atacama ... die vielleicht weltgrößte natürliche Produktionsanlage von Salz. In der Salar de Atacama sammelt sich stark mineralisches Wasser und verdunstet in der Sonnenglut. So lagert sich an der Oberfläche eine stetig wachsende Salzschicht ab, meist stark mit Lehmanteilen durchsetzt. Streckenweise glänzt das Salz geradezu blendend hell. Häufiger aber hat die Salzkruste gräulich-bräunliche Farbe.

Einsamer Wanderer im Federkleid
Foto: W-J.Langbein
Trinkwasser ist hier absolute Mangelware ... und wird doch aus Profitgier vergeudet. Schlummern doch im Wüstenboden wahre Schätze von unermesslichem Wert, die für die großen Industrienationen unseres Planeten immer kostbarer werden. Es geht großen Konzernen vor allem um Lithium. Fast die Hälfte der Lithiumbatterie unseres Planeten werden in der Atapuerca-Region vermutet. Gewaltige Wassermengen werden an die Erdoberfläche gepumpt und in flachen Becken zum Verdunsten gebracht. Kaliumchlorid und Kaliumsulfat lagern sich ab. Lithium bleibt noch im Wasser gelöst, wird in weiteren Schritten gewonnen. Folge: Der Grundwasserspiegel sinkt und sinkt. Wie schnell der Mensch das Ökosystem Atacama-Wüste zerstört, das ist nicht abzusehen.
Der Sonnenhölle der Atacama-Wüste geht in Soalar de Atacama über ... in eine noch bizarrere Welt, eingebettet in eine wahrhaft fremdartige Kulisse. Die Salzwüste gebiert dieses Ambiente ständig neu ... Wasser steigt auf, verdunstet ... überzieht die Landschaft mit harter Salzkruste. An manchen Stellen durchbricht das unterirdisch Brodelnde der Salz-Lehm-Panzer. Die salzig-schmutzige Lauge quillt glucksend ans Tageslicht. Es entstehen Wasserbecken, die den Flamingos Lebensraum bieten. Die Luft flimmert flirrend über über der Salzbrühe. Man möchte an eine Fatamorgana glauben. Da die Luft extrem trocken ist, reicht der Blick sehr weit. Im Hintergrund erkennt man schneegekrönte Vulkane.



Die Vulkane Licancabur – fast 6 000 Meter hoch – und Vulkan Parinacota – 6300Meter hoch – sind atemberaubend schön ... und majestätisch. Sie waren von religiöser Bedeutung ... und sind es für die einheimische Bevölkerung auch heute noch. Noch heute pilgern sie zu den Riesen, die Himmel und Erde miteinander verbinden. Was für christlich geprägte Menschen einst der »Turm zu Babel« war, waren für Einheimische die riesigen Bergkegel der Vulkane. Von der Erde ausgespiene Türme, die Menschen der Welt der Göttinnen und Götter näherbringen können.

Keine Fatamorgana - Flamingos
in der scheinbaren Höhle
Foto: W-J.Langbein
Und durch die salzige Kruste watscheln und schreiten ... Flamingos. Sie filtern mit ihren Schnäbeln winzige Organismen aus dem Wasser. Die Flamingos sind sehr anpassungsfähig. Man trifft sie im Umfeld der Atacama-Wüste in Höhen von bis zu 4.000 Metern an!

Wüstenlandschaft mit fast steinharter Salzkruste ... Vulkane, die bis weit in den Himmel reichen ... in verschiedensten Farben schillernde Salzbrühe, die einen riesigen flachen »See« bildet ... durch den gemächlich-majestätisch Flamingos schreiten, meist mit gesenktem Kopf, Schnabel im Wasser ... Was für eine Szenerie! Sie könnte von einem Hollywoodgenie virtuell am Computer erschaffen worden sein, als Kulisse für einen fantastischen Science-Fiction-Film. Kein Kinofan würde sich über das Auftauchen von Sauriern oder Monstern aus dem All wundern. Oder sieht so die Erde nach der Apokalypse aus? Oder befinden wir uns in der Hölle, wo die Seelen der Sünder umherirren?

Mancher Kinobesucher würde vielleicht monieren, so eine Welt könne es doch in der Realität nicht geben! Das beschrieben Szenario liegt aber nicht auf einem fernen Planeten in den Weiten des Universums ... sondern auf unserem Heimatplaneten Erde, in Chile, an der Grenze zu Bolivien.

Der Grundwasserspiegel sinkt ...
Foto W-J.Langbein
Mit Grausen denke ich an den langweiligen Geographieunterricht vor rund einem halben Jahrhundert. Es war schon wieder fast eine meisterhafte Leistung, uns Schulkindern die faszinierende Welt der Atacama-Wüste mit ihren Bilderbüchern am Boden, den Vulkanen und Flamingos in salzigem Wasserspiegel in so drögem Ton und so langweilig-farblos zu schildern. Ich bin überglücklich, trotz der abschreckenden Schulstunden jene fernen Regionen aufgesucht zu haben!

Und ich bin traurig, weil der Geographieunterricht so spannend hätte sein können wie die Wirklichkeit ...

Buchtipp:

Hermann, Helmut: Traumstrassen - Träume. Romantik und Realität der Panamerikana, Markgröningen 1985

»Laguna Lejia«,
Teil 149 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 25.11.2012


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Samstag, 17. November 2012

Für Sie gelesen: »Alpendämonen«


Liebe Leserinnen und Leser,


heute möchte ich Ihnen den neuen NATIONAL GEOGRAPHIC-Bildband »Alpendämonen« vorstellen. Der vielfach preisgekrönte Fotograf Carsten Peter entführt uns in eine magische Bilderwelt mit schaurigen Wesen und rätselhaften Brauchtümern. Geheimnisvolle Mythen und Riten lautet der Untertitel dieses mit 160 Fotos ausgestatteten Hardcover-Bildbandes. Schon das Coverfoto lässt erahnen, was auf den Betrachter zukommt.

Schon auf den ersten Seiten begegnet mir St. Nikolaus, in Begleitung von furchterregenden Gestalten.  Eine Karawane Unholde stapft durch den Schnee, Nebel schafft eine gespenstische Atmosphäre.

Carsten Peter entführt uns in eine andere Welt. Seine Reise beginnt in Bayern, führt über Südtirol, in die Schweiz, nach Tirol, in das Salzburger Land, die Steiermark und Oberösterreich.


In der Nacht zu Nikolaus, der Klausennacht, treiben sich in Sonthofen Klausen in ihren zotteligen Fellen und kunstvollen Holzmasken in den Straßen herum. Ihre Aufgabe soll sein, die Dämonen des Winters und das Böse zu vertreiben. Zwei Tage vor diesem Ereignis schwärmen die Bärbele, auch Wildbärbele, aus, um symbolisch alles Schmutzige und Unanständige von den Straßen zu fegen. Tatsächlich stecken unter den Flickenkleidern und Masken aus Naturmaterialien Frauen.



Gesitteter gestaltet sich der »unsinnige Donnerstag« in Mittenwald. Die Schellenrührer setzen sich in Bewegung. Sie wollen die Lebensgeister des Frühlings wecken und die Totenstarre des Winters vertreiben.






Unheimlich wirken auch die Schnabelperchten, Wesen der Rauhnacht, die im Rauriser Tal, einen Tag vor »Heilig Dreikönig« am 5. Januar in die Häuser gehen, um dort nach Recht und Ordnung zu sehen.


Es freut mich sehr, dass es in diesen Bereichen keine Nachwuchsprobleme zu geben scheint. Dass sich junge Menschen den Traditionen verpflichtet fühlen, lässt die tiefe Verbundenheit und Bodenständigkeit der Menschen in diesen Regionen erahnen.

Carsten Peter schreibt in seiner Einleitung, dass er als professioneller Fotograf  an den exotischsten Plätzen der Welt extremen Naturphänomenen und außergewöhnlichen Kulturen auf der Spur war. Es hat ihn verblüfft, einer kulturellen Binnenexotik, wie er es nennt, quasi vor der eigenen Haustür zu begegnen. Versteckt, innerhalb extremer Landschaftsformen, haben Bräuche die Verfolgung durch die Kirche überlebt. Denn die Kirche und manche Regenten haben immer wieder versucht, diese »heidnischen Bräuche« zu verhindern und zu verbieten. Gut, dass es ihnen nicht überall gelungen ist.

Das Buch Alpen Dämonen: Geheimnisvolle Mythen und Riten aus den Bergen herausgegeben von NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND kann ich Ihnen sehr empfehlen.

Ihre
Sylvia B.


Copyright für alle Motive: Carsten Peter/NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND





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Sonntag, 11. November 2012

147 »Das falsche Gesicht?«

Teil 147 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Der stiernackige Riesenkopf von
Guatemala - Foto:
 Archiv W-J.Langbein
Eine der mysteriösesten Skulpturen unseres Planeten hat mich gut zwei Jahrzehnte beschäftigt. Bin ich einer Fälschung aufgesessen? Dr. Oscar Rafael Padilla Lara, Guatemalteke von Geburt, schickte mir vor zwanzig Jahren aus Florida interessante Unterlagen ... über eine Osterinselfigur, die man im Urwald von Guatemala entdeckt habe. Ich fasste die Angaben Dr. Laras für mein Archiv zusammen:

»Die Riesen der Osterinsel sind einmalig auf der Welt, heißt es auch heute noch in der Fachliteratur. Bereits 1951 wurde aber auf dem Gebiet der „Los Encuentros“-Plantage, San Felipe, Department Retalhulu, Guatemala, ein erstaunliches Monument gefunden. Es ist etwa acht Meter hoch und hat an der Basis einen Durchmesser von etwa vier Metern. Da starrt ein steinernes Gesicht á la Osterinsel gen Himmel. Seine Gesichtszüge wirken arrogant-hochnäsig. Wann und von wem wurde die Figur geschaffen? Etwa von den Langohren, die irgendwann in grauer Vergangenheit die Osterinsel verließen? Zogen sie nach Guatemala? Gibt es nur diese eine Figur? Oder harren noch andere, ähnliche im Urwald Guatemalas der Entdeckung? Untersucht werden kann der kuriose Fund wohl nicht mehr. Er wurde aktuellen Berichten zufolge in unseren Tagen von einander bekämpfenden Rebellen mutwillig zerstört.«

1995 stellte ich das Kuriosum aus Guatemala in meinem Buch »Bevor die Sintflut kam« in Wort und Bild vor. (1) Auch in meinem großformatigen Band »Ungelöste Rätsel unserer Welt« (2) ging ich auf den mysteriösen Koloss ein. Widersprüchliche Informationen kamen aus verschiedenen Quellen in Süd- und Zentralamerika. Die Angaben über die Größe der Figur variierten. Sie sei nur vier Meter hoch, behaupteten einige Informanten. Andere sprachen von »bis zu acht Metern«. Eine konkrete Information wurde immer wieder bestätigt: die Statue sei zerstört worden. Versuche, selbst zur Steinstatue vorzudringen ... scheiterten.

Der Guatemala-Kopf
(links oben) im Vergleich zu
 Riesenköpfen der Osterinsel
Betrachten wir die Kolossalfigur von Guatemala. Sie wurde aus Sandstein gemeißelt ... Die Osterinselskulpturen wurden aus Vulkangestein gefertigt. Vergleichen wir die Guatemala-Statue mit jenen der Osterinsel, so fallen weitere ganz gravierende Unterschiede auf. Ich muss zugeben: Ich habe sie übersehen, wohl weil ich gern im Urwald Guatemalas eine der berühmten Osterinselstatuen entdeckt hätte ...
Das Monument aus Guatemala weist vorwiegend rundliche Formen auf: Das Kinn ist rund, der Kopf ist insgesamt rund ... die Stirnpartie ist rundlich-oval. Kurzum: die Künstler von Guatemala haben sich offenbar um die naturgetreue Darstellung eines menschlichen Kopfes bemüht.

Vergleicht man nun das imposante Kunstwerk mit den weltberühmten Osterinselstatuen, so fällt eine im wahren Sinne des Wortes hervorstechende Gemeinsamkeit ins Auge: Es ist die durchaus kräftige, spitz zulaufende Nase. Es ist die Nase der Steinfigur aus Guatemala, die uns an die steinernen Kollegen der Osterinsel denken lässt. Die Nasen sind in der Tat sehr ähnlich ... aber eben nur die Nasen! Es überwiegen aber bei näherem Betrachten ganz eindeutig die Unterschiede!

Abgeplatteter Kopf mit schmaler
Stirn ... Foto Anne Choulet
Archiv W-J.Langbein
Die typische Osterinselstatue hat vorwiegend kantige, eckige und keine rundlich-ovalen oder runden Formen! Ihr Kinn ist eckig und kantig, ähnlich wie bei der Comic-Figur Nick Knatterton. Ihr Mund ist geradlinig, gleicht in vielen Fällen eher einem scharf gezogenen Schnitt. Keine mir bekannte Osterinselstatue hat die gut ausgeprägten Lippen der Guatemala-Figur.

Die typische Osterinselstatue hat in der Regel einen kantigen Oberkopf. Darauf wurde ja ein zylindrischer »Hut« aus Tuffstein gesetzt. Mr. Osterinsel hatte eine schmale, kantige Stirn, die ganz und gar nicht verglichen werden kann mit der rundlich-ovalen Stirn der Figur aus Guatemala! Weitere Unterschiede: Die Osterinselkolosse haben leere Augenhöhlen für Augen aus Kalk. Guatemala: Das steinerne Wesen hat geschlossene Augen, man meint förmlich den runden Augapfel erkennen zu können. Schließlich sind die Ohren der Osterinselfiguren recht markant: lang und gerade reichen sie manchmal fast bis zum Kinn!

Vordergründig ist eine scheinbare Gemeinsamkeit: Sowohl auf der Osterinsel als auch im Urwald von Guatemala scheint so etwas wie eine Kopfskulptur gemeißelt worden zu sein. Doch während die Steinmetze in Guatemala wirklich nur ein Haupt auf massivem Hals schufen, kreierten die Künstler auf der Osterinsel Werke von ganz anderem Format. Die Statuen enden nicht am Hals, sondern knapp unterhalb der Gürtellinie.

Arme seitlich am Körper,
Hände am Nabel ...
Foto: W-J.Langbein
Die Hände der Osterinsel-Moai liegen seitlich am Körper. Sie ruhen eng am Körper. Bei vielen Osterinsel-Moai ragt nur der Kopf aus dem Erdreich. Der Leib unterhalb des Halses bis zur Gürtellinie ist aber dennoch vorhanden, er steckt nur oft – verborgen vor den Augen des Betrachters – im Erdreich! Die Hände der Osterinselkolosse sind unnatürlich rechtwinkelig abgeknickt, weisen mit den Fingern auf den Bauchnabel. Bei der mysteriösen Skulptur von Guatemala sucht man Ohren, Oberkörper, Arme, Hände und Nabel vergeblich. Kurzum: Osterinselstatuen und Guatemala-Riesenkopf stammen nicht von den gleichen Steinmetzen!

Dennoch habe ich immer wieder bei Reisen in Zentralamerika einen Besuch beim Riesen-Kopf von Guatemala eingeplant. Dazu kam es aber nie. Jetzt habe ich die mysteriöse Skulptur endgültig aus meinen Reiseplänen gestrichen. Sie wurde offenbar schon längst wirklich vollständig zerstört ... und es könnte sich um eine moderne »Fälschung« gehandelt haben!

Kolosse der Osterinsel,
Foto: Ingeborg Diekmann
Archiv W-J.Langbein
Untersucht wurde die Skulptur offenbar von archäologischer Seite nur ein einziges Mal: und zwar anno 1970, von dem inzwischen verstorbenen Archäologen Lee A. Parsons, wie das Fachmagazin »mysteries« (3) vermeldet. Entdeckt wurde die kuriose Figur angeblich – so berichtet »mysteries« weiter, anno 1941/42 von A. Ledyard Smith und Francis B. Richardson. Die Archäologen waren im Auftrag der »Carnegie Institution of Washington« unterwegs ... und sahen sich zufällig mit dem Steinkopf konfrontiert. Eine Metallplakette habe sich am Kunstwerk befunden: »E.G.M. 16 Abril 1936«. Handelt es sich bei dem Kolossal-Kopf also um ein Artefakt aus dem 20. Jahrhundert? Wurde er, wie Einheimische zu berichten wussten, von einem Leiter der Farm zu Ehren seiner dahingeschiedenen Frau geschaffen? Möglich ist das. Aber handfeste Beweise für diese »vernünftige Erklärung« gibt es nicht.

Aber gibt es nicht einen Hinweis aus Metall? Er ist nicht mehr greifbar!1970 war die Plakette jedenfalls – so es sie je gegeben hat – verschwunden. Und warum sollte ein trauernder Farmleiter seiner toten Frau mitten im Urwald ein Denkmal erstellt haben ... und nicht auf dem Friedhof?

Wenn sie nur reden könnten
Foto: W-J.Langbein
Anno 1941/42 sollen A. Ledyard Smith und Francis B. Richardson auf den Riesenkopf gestoßen sein. Wenn die Plakette »E.G.M. 16 Abril 1936« die Entstehungszeit der Skulptur wiedergibt ... dann war sie bei der Entdeckung durch die Archäologen anno 1941/42 gerade fünf Jahre alt. Warum konnten dann die Wissenschaftler nichts über den Ursprung des Monsterkopfes in Erfahrung bringen? Warum haben sie nichts vom angeblichen Denkmal für die verstorbene Farmersfrau gewusst?

Ich glaube nicht an die (nicht belegbare) These vom Denkmal für die Farmersgattin. Wenn ein trauernde Witwer wirklich so ein kolossales Bildnis hätte schaffen lassen ... dann wäre das noch viele Jahre später bei der Bevölkerung bekannt gewesen. Die aber wusste nur fünf Jahre später nichts von solch einem gewaltigen Kunstwerk!
Mein Fazit: Der Riesen-Kopf von Guatemala ist zerstört. Ein Rätsel aus Stein ist für immer verschwunden. Seine Geschichte wird sich nicht mehr erhellen lassen. Mit der Osterinsel aber hat der Koloss nichts zu tun ...

Das Geheimnis der Riesenstatuen
bleibt ungelöst - Foto: W-J.Langbein
Die Osterinselstatuen bleiben rätselhaft. Die Schriftzeichen der Osterinsel wurden nicht entziffert. Viele Holztäfelchen, mit unzähligen eingravierten Symbolen, wurden vernichtet. Und die, die erhalten blieben ... niemand kennt wirklich ihre Botschaft! Könnte man sie nur wie ein Buch lesen ... Dann wüssten wir wohl mehr! (4)

Fußnoten
1 Langbein, Walter-Jörg: »Bevor die Sintflut kam«, München 1995, Kapitel »Ausflug nach Guatemala«, S. 305-307
2 Langbein, Walter-Jörg: »Ungelöste Rätsel unserer Welt«, München 1997, S.34
3 »mysteries«, Nr.6/ November-Dezember 2011: »Riesenkopf von Guatemala: Für immer zerstört«, S.50 und 51
4 Siehe auch Folge 60 der laufenden Serie »Der geheimnisvolle Tote von Túcume«

»Salar de Atacama«,
Teil 148 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 18.11.2012


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Sonntag, 4. November 2012

146 »Das Geheimnis vom Leistruper Wald«

Teil 146 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Was schlummert unter dem
Gestrüpp bei Machu Picchu?
Foto: W-J.Langbein
In Zentralamerika kroch ich manches Mal durch dichtes Urwalddickicht ... auf der Suche nach steinernen Zeugnissen aus uralten Zeiten. In Ecuador quälte ich mich über schlammigen Morastboden ... auf der Suche nach verschollenen Pyramiden. Bei Machu Picchu in den Anden Perus spähte ich nach überwucherten Wegen zu vergessenen Heiligtümern. Und in der Bretagne bestaunte ich Tausende Menhire, die zu schier endlosen Reihen angeordnet worden sind ... vor Jahrtausenden.

In der Umgebung von Machu Picchu soll es noch unentdeckte Ruinen geben ... seit Jahrhunderten überwuchert ... Aber man muss nicht in die Ferne schweifen, um Rätselhaftes zu erkunden ...

Durch Zufall erfuhr ich, dass es sozusagen vor meiner Haustür einen Wald gibt, der bis heute ein steinernes Rätsel hütet ... Bekannt sind die Externsteine bei Detmold. Ein Touristenziel erster Güte ist das »Hermannsdenkmal«, das an den Sieg des Cheruskers über die Römer vor zwei Jahrtausenden erinnern soll. Wer aber kennt den Leistruper Wald bei Diestelbruch, wenige Kilometer östlich von Detmold? Wer weiß, dass hier einst Steinsetzungen errichtet wurden, die jenen in der Bretagne Konkurrenz machen konnten?

Leider wurde den uralten Zeugnissen einer vergangenen Kultur übel mitgespielt. Die Lipper nutzten sie als Steinbruch, zerschlugen so manchen Stein ... und schleppten tonnenweise Steine als Baumaterial in die umliegenden Dörfer. Das erschwert erheblich jeden Versuch einer Rekonstruktion der Steinsetzungen. Ein Besuch lohnt sich allemal. Es gibt einen schönen Rundweg von einigen Kilometern Länge. Der besonders Interessierte wird aber abseits der Wege ins Unterholz kriechen.

Die mysteriösen Externsteine
Foto: W-J.Langbein
Rund vier Quadratkilometer groß ist der Leistruper Wald. Wirklich erforscht wurde sein Geheimnis bis heute nicht. Für die Steinreihen, die heute zu einem erheblichen Teil kaum noch zu finden sind, gibt es eine banale Erklärung: Man habe sie vor gar nicht so langer Zeit errichtet, um das liebe Vieh fernzuhalten. Bis 1850 diente der Wald als Hude. Dann wurde die Hude verboten, das Vieh durfte nicht mehr im Wald grasen.

Als vor 1850 noch Vieh durchs Gehölz trampeln durfte, wurden angeblich Steinreihen geschaffen, um die Rinder und Kühe fern zu halten. Diese »Erklärung« hat mit der Realität nichts zu tun. Wenn verhindert werden soll, dass Vieh in einen Wald eindringt ... genügen einfachste Maßnahmen. Man nagelt oder bindet Querbalken an Bäume, schafft so einen Zaun. Mit Leichtigkeit lassen sich so rasch Waldgebiete absperren. Völlig absurd ist die Behauptung, man habe viele Tonnen an Gesteinsbrocken in langen Reihen verbaut, um dem Vieh Einhalt zu gebieten! Zudem hätten die heute noch vor Ort liegenden Steine keine Kuh daran gehindert, ins verbotene Gehölz zu marschieren ... über die Steine hinweg.

Reste der »Monstermauer« Ende des 20. Jahrhunderts
Foto: Archiv W-J.Langbein
Weitestgehend zerstörte »Hünengräber«, einst aus den gleichen Steinbrocken gebaut, beweisen, dass vor 5500 Jahren emsige »Steinzeitmenschen« sehr aktiv waren. Aus der gleichen Epoche – davon bin ich überzeugt – stammen auch die Steinreihen.

Bereits 1872 fasste ein Oberst Scheppe die Ergebnisse seiner Jahrzehnte währenden Forschungen im Leistruper Wald zusammen. Seine Arbeit trug den Titel »Verschiedenes aus dem alten Sachsenland«, wurde aber nie gedruckt. Scheppe hatte das Gehölz Meter für Meter abgesucht, Stein für Stein sorgsam in umfangreiches Kartenwerk eingetragen. Die Karten sind verschollen. Fast ein Jahrhundert später gelang Walter Knaus der Nachweis, dass die Steinsetzungen vom Leistruper Wald nach astronomischen Gesichtspunkten erfolgt sind. Am 26. Mai 2006 hielt der sachkundige Schweizer für den »Arbeits- und Forschungskreis Walter Machalett« in Horn einen vielbeachteten Vortrag:

»Ein Dornröschenschlaf geht zu Ende«. Die Steinreihen waren keine Schutzmauern gegen Vieheinfall. Sie gehörten vielmehr zu komplexen Kultanlagen. Einst war nicht nur Deutschland, sondern Europa überzogen von »heiligen Straßen« und »sakraler Linien«, über deren Bedeutung viel zu wenig recherchiert wird. Verbanden sie in Vergessenheit geratene Kultorte, zu denen die Menschen vor Jahrtausenden pilgerten? Stellen sie Sternbilder dar, die für die Menschen vor Jahrtausenden als heilig galten?

Reste einer
Steinreihe
Foto: W-J.Langbein
Walter Knaus jedenfalls betonte die Bedeutung der mysteriösen Steine vom Leistruper Wald. Sie gehörten einst in ein großes Schema, das fortgeschrittene Kenntnisse in Kartographie bezeugt. Offenbar gab es einst eine Verbindung zwischen den Externsteinen und den Steinreihen im Leistruper Wald. Unsere Vorfahren waren ganz und gar nicht tumbe Gesellen, die mit Keulen bewaffnet durchs Gehölz zogen. Sie verfügten über ein Wissen, das wir ihnen nach wie vor nicht zubilligen möchten!

Im Leistruper Wald errichteten sie einst eine »Monstermauer«, von der kaum etwas übrig geblieben ist. 1872 soll sie noch vorhanden gewesen sein. Vor Jahrtausenden haben die Menschen im Leistruper Wald harten Stein bearbeitet. Sie versahen Steinbrocken mit Rillen und Löchern. Jene Steine mögen als Opfersteine gedient haben, als Altäre in den Jahrtausenden vor Christi Geburt.

Vor rund 75 Jahren führte Prof. Julius André bei den Externsteinen Grabungen durch. Die von dem gelehrten Mann sorgsam verpackten Artefakte schlummern – bislang nicht wissenschaftlich untersucht – irgendwo in den Kellerräumen des Landesmuseums zu Detmold, wenn sie nicht in den vergangenen Jahren »entsorgt« worden sind. Noch trauriger sieht es um die Erkundung und Erforschung der Steinreihen im Leistruper Wald aus. Sorgsam erarbeitete Karten könnten als Vorlage dienen, um die Bedeutung der Steinsetzungen zu erforschen. Längst verschleppte Brocken waren auf diesem Kartenwerk noch verzeichnet ... die Karten aber sind verschollen.

Bearbeiteter Stein
Foto: W-J.Langbein
Ein Privatforscher aus Detmold, er möchte anonym bleiben, stellte mir die Unterlagen seiner Recherchen zur Verfügung. Ich darf die Ergebnisse zusammenfassen:

Im Leistruper Wald gab es eine Versammlungsstätte aus weit vorchristlichen Zeiten. Steinwälle grenzten den als heilig angesehenen Ort ab. In unmittelbarer Nähe wurden vornehme Stammesmitglieder in Hünengräbern beachtlicher Größe beigesetzt. Womöglich wollte man die Versammlungen bewusst in der Nähe der verdienstvollen Toten abhalten.

Die Gräber wurden längst schon geplündert und abgetragen. Heute sind sie kaum noch als Grabanlagen zu erkennen. In einem der Gräber müssen wiederholt große Feuer gebrannt haben, wobei sehr hohe Temperaturen entstanden. Der lehmhaltige Boden wurde geradezu zu Backstein gebrannt. An manchen Stellen soll der Stein an der Oberfläche so hohen Temperaturen ausgesetzt worden sein, dass es zu Verglasungen kam.

Warum wurde in einem der Hünengräber Feuer entfacht, dessen Temperaturen geradezu höllisch waren? Gab es einen Feuerritus zur Einäscherung besonders verehrter Toter? Könnte man doch die traurigen Überreste der Steinanlagen wie ein Buch lesen ... Dann wüssten wir, ob die sogenannten »Opfersteine« wirklich auch Opfersteine waren ... oder ob sie einem ganz anderen Zweck dienten!

Ein »Opferstein«
Foto Alexander Leischner
Mehrere sehr lange Steinreihen verliefen im Leistruper Wald parallel. Eine Steinreihe bildete eine Kreis. Von diesem Kreis ist noch weniger erhalten als von den geradlinig verlaufenden Wällen.

Wälle, Steinreihen, Steinkreis, Hünengräber ... das alles gehörte zu einem großen sakralen Zentrum, das im Lauf der vergangenen Jahrhunderte beschädigt, verwüstet und weitgehend zerstört wurde. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es kein echtes Interesse an der Erforschung dieses Zentrums. Es verschwinden angeblich auch heute noch Steine aus den einstigen Kultanlagen ... Schwere Maschinen seien zum Einsatz gekommen ...




»Das falsche Gesicht?«,
Teil 147 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 11.11.2012


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