Sonntag, 6. Januar 2013

155 »Die Treppe der Hieroglyphen«

Teil 155 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Maya-Codices wurden als
vermeintliches Teufelswerk
verbrannt. - Foto:
Archiv W-J.Langbein
»1549, sieben Jahr nach der partiellen Unterwerfung der Maya-Bevölkerung von Yucatán, kam Pater Diego de Landa nach Mérida, der Hauptstadt des Gebietes. Er gab sich alle erdenkliche Mühe, um Glauben und Bräuche des Volkes, unter dem er lebte, auszurotten und es zum Katholizismus zu bekehren. Zu diesem Zweck bediente er sich eines Verfahrens, das er für besonders zweckmäßig hielt: in einem gewaltigen Autodafé ließ er alle Bücher der Eingeborenen verbrennen. Damit waren Geschichte, Kultur und Tradition eines Volkes vernichtet.«

So beschreibt Pierre Ivanoff (1) die generalstabsmäßig durchgeführte, verbrecherische Auslöschung des uralten kulturellen Erbes eines ganzen Volkes. Für Pater Diego de Landa waren die Codices der Mayas Teufelswerk. Also mussten sie in die Flammen riesiger Scheiterhaufen geworfen werden, so wie die vermeintlichen »Hexen«.

Die Mayacodices waren keine Bücher im klassischen Sinn, sondern Schriftrollen. Weich geschlagene Feigenrinde war von Maya-Spezialisten sorgsam mit Harz imprägniert worden. Dann hatten sie eine hauchdünne Schicht gelöschten Kalks aufgetragen und schließlich mit Glyphen in mehreren Farben bemalt. So ein Codex war in der Regel rund fünfundzwanzig Zentimeter breit und mehrere Meter lang. Und zur enthusiastischen Freude krimineller Frömmler brannten sie lichterloh.

Auch heute noch
schlummern
geheimnisvolle
Bauten im
Verborgenen.
Foto: W-J.Langbein
1839 wurden die im sprichwörtlichen »Dornröschenschlaf« schlummernden Maya-Ruinen von Copán entdeckt. Rund einhundert Jahre dauerte es dann, bis sich die ersten Archäologen an die Überreste der einst stolzen Metropole wagten. In schweißtreibender Arbeit, häufig von billigen einheimischen Arbeitskräften erledigt, musste scheinbar undurchdringliches Gestrüpp beseitigt werden. Besonders großes Interesse weckte eine gewaltige Treppe. Die Angaben zu diesem imposanten Bauwerk variieren. Mal ist von »55 Stufen« die Rede, mal sollen es 63 sein. Mal zieren angeblich 2200 Hieroglyphen, mal 2500 Hieroglyphen die erstaunlich gut erhaltene Treppe.

Einigkeit besteht darin, dass der längste erhaltene Text aus Maya-Zeiten in die steinernen Treppenstufen gemeißelt wurde. Was er nun genau beschreibt, darin scheinen sich die Maya-Experten noch nicht einig zu sein. Ursprünglich konnte man diese Mammut-Inschrift wie ein Buch lesen. Dann aber kam es, vermutlich im 16, vielleicht auch im 17. Jahrhundert, zu einem Erdbeben. Nur die ersten fünfzehn Stufen blieben weitestgehend unbeschädigt. Alle übrigen Stufen wurden ein Opfer der gewaltigen Naturkatastrophe. Wie in einer Lawine aus Stein rutschten sie nach unten. So fanden die Archäologen sie vor: als einen ungeordneten Trümmerhaufen. Was meist verschwiegen wird: Bei der Rekonstruktion der Treppe wurden die Stufen oberhalb der fünfzehnten Stufe willkürlich zusammengesetzt, so dass ein Großteil des Textes heute nicht mehr entschlüsselt werden kann.

Die mysteriöse
Hieroglyphentreppe
von Copan - Foto: HJPD
Angeblich ging es im Text nicht mehr um Mythologisches aus dem Maya-Reich, sondern um kriegerische Auseinandersetzungen. Im unteren Bereich, so versicherte mir ein Archäologe vor Ort, gehe es um Astronomisches, um den »Heiligen Kalender« der Mayas. Wird ein wissenschaftlicher Disput zwischen Maya-Priester-Astronomen erörtert? Vergessen wir nicht, dass der größte Teil der Hieroglyphen-Story durch Erdbeben zerstört wurde und wohl nicht mehr rekonstruiert werden kann!

Keinen Zweifel gibt es, was den Zweck der Hieroglyphen-Treppe anbelangt: Sie führte zur Spitze eines pyramidenartigen Tempels empor. Genauer gesagt: Einst gab es einen sehr alten Tempel, der dann – und das scheint typisch für die sakrale Bauweise der Mayas zu sein – von einem jüngeren Tempel überzogen wurde. An der Spitze des pyramidenartigen Unterbaus gab es einen kleinen Tempel, der über die Hieroglyphen-Treppe erreicht wurde.

Heute ist man sehr um die mysteriöse Treppe besorgt. Sie befindet sich in keinem besonders stabilen Zustand. So darf sie nicht mehr von neugierigen Besuchern erklommen werden. Außerdem wird sie seit Jahren durch eine dicke Plane vor Wetterunbilden geschützt. Man muss auch davon ausgehen, dass zu Zeiten der Mayas der Aufgang zum Tempel nicht für das allgemeine Volk gedacht war. Vermutlich durfte nur ein kleiner Kreis Auserwählter jemals in den Tempel hoch oben empor steigen.
Mag sein, dass auf dem Weg nach oben immer wieder inne gehalten wurde, um heilige Texte zu rezitieren. Mag sein, dass bei in die Treppe eingebauten Statuen von Göttern längst vergessene Rituale abgehalten wurden. Was geschah oben im Tempelchen auf dem Hauptbau?

Heute ist die Treppe
der Hieroglyphen
geschützt.
Foto: Peter Andersen
Mich erinnert das zyklische Weltbild der Mayas an den vielleicht ältesten Kult der Menschheit: an die »Heilige Hochzeit«. Die Anhänger der »Heiligen Hochzeit« gingen – wie die Mayas – davon aus, das die Zeit zyklisch verläuft. Die Zeremonie der »Heiligen Hochzeit« wird abgehalten, um auf »magischem« Wege zu bewirken, dass auf das Ende eines Zyklus der Anfang eines neuen folgt. Anders ausgedrückt: Auf den Winter folgt wieder ein neuer Frühling. Und der Frühling wird wieder von Sommer Herbst und Winter abgelöst. Die Natur sollte aber nicht für immer im Winter erstarrt bleiben. Ein neuer Zyklus musste ausgelöst werden.

Diesem Zweck diente das Ritual der »Heiligen Hochzeit«, wie sie im Tempel, hoch oben auf dem legendären, aber realen »Turm zu Babel« zelebriert wurde. Auch der Tempel von Babel wurde über eine steile Treppe erreicht. Geschah ähnliches in jenem Tempel, zu welchem die Hieroglyphen-Treppe führte?

Bei den Mayas gab es – dargestellt in komplexester Mythologie – eine ständige Wiederkehr des Lebens, den Abstieg ins Totenreich, die Rückkehr in die Welt der Lebenden ... den ewigen Zyklus, wie in der Welt der »Heiligen Hochzeit«. Ich wiederhole meine Frage: Diente der Tempel am Ende der Hieroglyphen-Treppe der »Heiligen Hochzeit«? Bei den Ägyptern war die Leiter, aber auch die Treppe ein Symbol der Himmelfahrt. Manfred Lurker fasst in seinem »Lexikon der Götter und Symbole der alten Ägypter« zusammen (2):

Die ägyptische
Djoser-Pyramide ...
Treppe in den Himmel ...
wie die Hieroglyphenpyramide
der Mayas
Foto:
 W-J.Langbein
»Eine frühe Darstellung zeigt Osiris als ›Gott auf dem obersten Ende einer Treppe‹, womit seine Auferstehung nach dem Tode symbolisiert wurde. Wahrscheinlich stellt die Stufenpyramide des Djoser zu Sakkara eine Treppe dar, um so dem verstorbenen König den Aufstieg in den Himmel zu erleichtern. Auch der Urhügel, mit dessen Auftauchen aus dem Urozean die Weltschöpfung einsetzt, konnte als Treppe dargestellt werden. Ein dem Toten mitgegebenes Amulett war die Nachbildung einer Treppe.« Wie sich die Bilder gleichen: Der Maya-Gott Hurakan ließ mittels Magie das Land wieder aus den Fluten der Urflut emporsteigen.

Im zyklischen Weltbild gab es die Wiedergeburt: ein Hin und Her zwischen den Welten der Lebenden wie der Toten. Maya-Gott Chilan vermittelte zwischen »Mitnal« (»Diesseits«) und »Xibalba« (»Jenseits«). Und in Copán war der Aufstieg in den »Himmel« via Hieroglyphen-Treppe eben so möglich wie der Abstieg in die »Unterwelt«. Wie so manches Mal auf meinen Reisen zu den interessantesten Orten unseres Planeten kroch ich auch in Copán in die düstere Welt unter den steinernen Stelen und Pyramiden ...

Mysteriöse Bilder eines
Maya-Codex
Foto: Archiv
Walter-Jörg Langbein
Fußnoten
1 Ivanoff, Pierre: »Monumente großer Kulturen/ Maya«, Luxemburg 1974, S.88 oben
2 Lurker, Manfred: »Lexikon der Götter und Symbole der alten Ägypter«, erweiterte Neuausgabe München 1987, S. 214

»Abstieg in die Unterwelt«,
Teil 156 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 13.01.2013


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