»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Wenn die Kolosse reden könnten ... Foto: W-J.Langbein |
1862 lebten von einstmals 40.000 Menschen nur noch 3.000 auf der Osterinsel. Peruanische Sklavenjäger entführten 1.500 Männer und Frauen, die in den Guano-Minen Perus schuften mussten. Die Meisten dieser Geknechteten starben elendiglich. Internationale Proteste führten dazu, dass zwölf von 1500 Osterinsulanern in ihre Heimat zurückkehren durften. Sie brachten die Pocken auf das einsamste Eiland der Welt. Eine Pockenepidemie brach aus, der fast die gesamte Bevölkerung zum Opfer fiel. 1872 lebten nur noch 111 Menschen auf der Osterinsel.
1888 brachte Chile die Osterinsel in ihren Besitz. Die wenigen Überlebenden waren von nun an Gefangene. Sie wurden gezwungen, auf engstem Raum zu hausen und mussten für einen Hungerlohn arbeiten. Die Osterinsel wurde in eine Schaffarm verwandelt. Die einstigen Herren der Insel waren Knechte, die mit Naturalien »bezahlt« wurden. Schafe, später auch Ziegen und Pferde, fraßen die Insel leer. Bäume und Palmen gab es so gut wie keine mehr. Bodenerosion setzte ein. Die letzten Bäume (Hauhau und Toromiro) verschwanden. Aus einem einstig üppig blühenden Südseeeiland war endgültig eine karge Öde geworden ... dank der »zivilisierten Welt«.
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1914 kam es zu einem verzweifelten Aufstand der Nachkommen der Statuenbauer. Chile setzte Militär ein und ging brutal vor. Niemand interessierte sich für das Gemetzel im Pazifik. 1966 wurden die Osterinsulaner mit der chilenischen Staatsbürgerschaft »beglückt« Heute, rund ein halbes Jahrhundert später, leben etwa 4.000 Menschen auf »Rapa Nui«. Die Nachkommen der Urbevölkerung und Einwanderer aus Chile leben nicht unbedingt in vertrauensvoller Harmonie miteinander. Noch heute sehnen echte Rapa-Nui (1) Freiheit von Chile herbei. Das Eiland ist aber vollkommen abhängig vom »Mutterland«.
Wenn er nur sprechen könnte ... Foto: Anne Choulet |
Nach und nach erfolgt eine Rückbesinnung auf die eigene Geschichte: vor dem Erscheinen von Südamerikanern und Europäern. Nach und nach gewinnen alte Bräuche, alte Überlieferungen an Bedeutung. Man wehrt sich gegen eine Überfremdung. Mit Erfolg wurden bislang Touristenprojekte abgeblockt, die aus der Osterinsel eine Art Südsee-Disneyland mit bunter Plastikfolklore gemacht hätten. Touristenkasernen für Pauschalreisende sind ebenso wenig erwünscht wie Luxushochburgen.
Vertreter unserer »zivilisierten Welt« sind verantwortlich für »Ausbeutung und Unterdrückung«, wie Prof. Jared Diamond, Jahrgang 1937, Experte in Sachen Evolutionsbiologie, konstatiert (2). Wenn wundert es da, dass die Geheimnisse der Osterinsel – wenn überhaupt – nur sehr zögerlich Wissenschaftlern anvertraut wurden? Niemand kann erwarten, dass Wissende Besuchern aus der christlichen Welt die Osterinselschrift erklärten. Und wer erwartet, dass Sammlern nur echte »sprechende Hölzer« mit »echten Hieroglyphen« verkauft wurden, glaubt wohl auch an den Osterhasen und den Weihnachtsmann.
Koloss mit Hut - Foto: W-J.Langbein |
Was in den Hieroglyphentexten der Rapa Nui stehen mag? Wir sind auf Spekulationen angewiesen. Enthalten sie die Geschichte der Besiedlung der Osterinsel? Folgt man der mündlichen Überlieferung, dann erzählen die »sprechenden Hölzer« auch – wie ein Prequel im Kinofilm – was in der Urheimat geschah, die in einer Apokalypse im Meer versank.
Bei allem Respekt vor den todesmutigen Seefahrten Thor Heyerdahls ... seine These, die Osterinsel sei von Peru aus besiedelt worden, ist nicht haltbar. Thor Heyerdahl weist auf Ähnlichkeiten in den Bauweisen der Inka und der Osterinsulaner hin. In der Tat gibt es da scheinbar Ähnlichkeiten – zwischen megalithischen Mauerwerken aus dem Inkareich und besonders einer sauber gearbeiteten Mauer auf der Osterinsel. Allerdings trügt der Schein!
Was er wohl alles gesehen hat? Foto: W-J.Langbein |
Der mündlichen Überlieferung nach kamen die ersten Siedler aus einem Atlantis der Südsee, westlich von der Osterinsel gelegen, nicht östlich (wie Peru!). Der Legende nach gefiel es einigen Erstbesiedlern nicht auf der Osterinsel. Sie wollten in ihre alte Heimat zurückkehren – und fuhren, von der Osterinsel aus, nach Westen.
Anno 1774 stattete James Cook der Osterinsel einen kurzen Besuch ab. In seiner Begleitung befand sich ein Mann aus Tahiti, der sich gut mit den Osterinsulanern verständigen konnte. Warum? »Osterinsulanisch« erwies sich als ein ostploynesischer Dialekt! Die Urheimat der Rapa Nui lag demnach in Polynesien, nicht in Peru.
»Wir haben polynesisches Blut in den Adern, kein peruanisches!«, das bekam ich bei allen meinen Besuchen auf der Osterinsel immer wieder zu hören. »Unsere Wurzeln sind polynesisch, nicht peruanisch!«
Besonders ältere Rapa Nui beklagten verbittert, dass so mancher »Forscher« Behauptungen über ihre Heimat aufstellte, ohne Einheimische zu befragen. Ein betagter »Messdiener« sagte mir sonntags nach dem Gottesdienst: »Bei manchem ›Wissenschaftler‹ hat man den Eindruck, dass die Herrschaften meinen, sie müssten uns beibringen, wie unsere Vorfahren nach Rapa Nui kamen und die Statuen errichteten!«
Richtig ist, dass die Rapa Nui vollkommen davon überzeugt sind, dass ihre Vorfahren aus dem polynesischen Raum kamen. Das stimmt wohl auch. So sah ich im »Bernice Pauahi Bishop Museum«, Hawaii Angelhaken, Sägen aus Koralle, Beile aus Stein und andere Werkzeuge von den Marquesas Inseln und im Vergleich dazu Pendants von der Osterinsel. Sie schienen von den gleichen Herstellern zu stammen.
Irreführend sind Hinweise auf genetische Ähnlichkeiten zwischen Osterinsulanern und Peruanern. Natürlich sind im Verlauf der letzten Jahrhunderte Peruaner, vor allem Chilenen auf die Osterinsel gezogen und haben genetische Spuren hinterlassen. Es kann aber keinen Zweifel daran geben, dass die Ur-Osterinsulaner aus Polynesien und nicht aus Südamerika stammen. Klipp und klar stellt Jared Diamond fest (4):
Trümmer erinnern an die stolze Vergangenheit des Eilands ... |
Blutspuren führen zurück in die Heimat der Ur-Rapanui: in den Westen des Eilands, in den westlichen Pazifik, zu den polynesischen Inseln und nicht nach Südamerika. »Wir haben polynesisches Blut in den Adern!« sagten mir sinngemäß viele Osterinsulaner. »Und wir haben unsere wichtigsten Nutzpflanzen mit aus der Heimat nach Rapa Nui gebracht ... Bananenen, Süßkartoffeln, Taro, Zuckerrohr!«
Die sprechenden Hölzer sind verstummt. Foto: Archiv W-J.Langbein |
1 »Rapa Nui« ist der eigentliche Name der Osterinsel, die Bewohner nennen sich »Rapa Nui«
2 Diamond, Jared: »Kollaps«, erweiterte Neuausgabe, Frankfurt am Main, Oktober 2011, S. 145
3 Diamond, Jared: »Kollaps«, erweiterte Neuausgabe, Frankfurt am Main, Oktober 2011, S. 123
4 Diamond, Jared: »Kollaps«, erweiterte Neuausgabe, Frankfurt am Main, Oktober 2011, S. 113
5 Deletion (Wikipedia): »Eine Deletion (engl. delete „›öschen‹), auch Gendeletion, ist in der Genetik eine Variante der Genmutation bzw. Chromosomenmutation (und damit eine Chromosomenaberration), bei der eine Nukleotidsequenz bzw. ein Teil bis hin zum gesamten Chromosom fehlt. Eine Deletion ist daher immer ein Verlust von genetischem Material. Jegliche Anzahl von Nukleinbasen können deletiert sein, von einer einzelnen Base (Punktmutation) bis hin zum Chromosom.«
»Kannibalismus«,
Teil 185 der Serie »Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 04.08.2013
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