Samstag, 19. Juli 2014

Wiederaufnahme Gustl Mollath – 10. Tag: »Sammelsurium von Aspekten«

Prof. Dr. Wolfgang Eisenmenger
Der 10. Verhandlungstag in Regensburg beginnt in fast weihnachtlicher Atmosphäre: Oberstaatsanwalt Meindl präsentiert dem Gericht eine bunte Schachtel, die ihm im Zusammenhang mit dem Mollath-Prozess übersandt worden war. Die darin befindliche, recht umfangreiche Rolle mit verschiedenen Dokumenten macht unwillkürlich neugierig. Die im Saal wahrnehmbare Spannung löst sich jedoch, als Meindl verkündet, die Unterlagen seien seiner Auffassung nach nicht zuzuordnen.

Sodann erstattete der medizinische Sachverständige Prof. Dr. Wolfgang Eisenmenger sein Gutachten über das ärztliche Attest bezüglich der Verletzungen der Petra Mollath. Grundlage seiner Bewertung sind die Angaben im Attest selbst sowie die Aussagen, die Frau Mollath bei verschiedenen Vernehmungen zur Sache gemacht hatte.

Eisenmenger konstatiert, das Attest enthalte Abweichungen zu den Angaben, die der untersuchende Arzt Markus R. im dazugehörigen Krankenblatt vermerkt hatte. Besonders auffällig hierbei, dass R. es unterlassen hatte, die dort genannten Schürfwunden am Rücken im Attest festzuhalten. Offenbar, so Dr. Eisenmenger, habe der Arzt keine Vorstellungen davon gehabt, was ein Attest enthalten muss. Ein Attest sei der Definition nach eine schriftliche Niederlegung einer auf der ärztlichen Fachkunde beruhenden Aussage über einen tatsächlichen Zustand. Das vorliegende Dokument jedoch enthalte eine Reihe von Defiziten gegenüber den Aufzeichnungen des Krankenblatts. So habe Markus R. in seiner Anamnese Schläge mit der flachen Hand verzeichnet. Die anschließend diagnostizierten Hämatome aber passen laut Dr. Eisenmenger nicht dazu, denn bei Schlägen mit der flachen Hand seien streifige Rötungen zu erwarten, während Hämatome in runder Form in diesem Fall eher ungewöhnlich seien. Auch fehle eine Erklärung für die Wunde an der Schläfe.


Eine nachträgliche Begutachtung ist schwierig


Zu den von ihm so bezeichneten »Würgemalen« habe Markus R. keine Details beschrieben: »Wenn jemand Blutergüsse und Kratzer hat, muss das mitnichten ein Würgemal sein«, führte der Sachverständige aus. Eine nachträgliche Begutachtung sei diesbezüglich schwierig, wenn nicht gezielt nach Stauungsblutungen in Gesicht und Augenbindehäuten gesucht wurde. Diese könnten auch ganz fein sein (in Fachkreisen spreche man von »stecknadelspitzgroß«), von ihnen könne auch die Haut hinter dem Ohr oder in der Lippenumschlagsfalte betroffen sein. Diese Untersuchung sei zudem unbedingt notwendig, wenn es darum gehe, Dauer und Intensität eines Würgevorgangs beurteilen zu können.

Weiters fehle im Attest jede Beschreibung der Farbe der Hämatome. Diese hätte Rückschlüsse auf die Entstehungszeit zugelassen. Das Wissen von Markus R. zur Farbentwicklung von Hämatomen hatte Eisenmenger schon während der Zeugenvernehmung erfragt und eher marginale Antworten erhalten. In einem Attest erwarte man Farbangaben. Und auch die Größe der Hämatome habe Markus R. teilweise nicht angegeben sowie keinerlei Bilddokumentation vorgenommen. Nach Eisenmengers Auffassung lässt die »Exaktheit der ärztlichen Leistung zu wünschen übrig«. Dies sei gar nicht so selten, erklärt er, da der Hausarzt häufig gar nicht wisse, was Juristen und Rechtsmediziner später erwarten.


Zahlreiche Inkonsistenzen in den Schilderungen der Ex-Frau


In den verschiedenen Aussagen der Petra Mollath erkennt Eisenmenger zahlreiche Inkonsistenzen. So habe sie in ihrer frühesten Äußerung beim Arzt von Schlägen mit der flachen Hand berichtet, während sie in späteren richterlichen Vernehmungen von Faustschlägen gesprochen habe. Bei einer richterlichen Vernehmung in Berlin-Tiergarten habe sie bezüglich der Bissverletzung von einer Narbe gesprochen, sie glaube nicht, dass es geblutet habe. Eine Narbe könne aber nur entstehen, wenn vorher eine Wunde da war. Im Attest ist nur von einem »Abdruck« die Rede, weitere Ausführungen hierzu hatte Markus R. nicht gemacht. Außerdem unklar: Bei der Vernehmung am 22. April 2004 vor dem Amtsgericht Nürnberg hatte die Ex-Ehefrau angegeben, ihr Auge habe von den Schlägen wehgetan. Eine Aussage, die bei dieser Gelegenheit erstmals auftauchte und den Variantenreichtum der Schilderungen weiter vergrößerte.

Als weitere Unwägbarkeit kommt laut Eisenmenger die Variabilität des Menschen hinzu, da die physiologischen Folgen von Gewalteinwirkung sehr individuell seien. Schläge mit der flachen Hand hinterließen jedoch in der Regel keine Hämatome. Da es im fraglichen Zeitraum laut Ausführungen der Verteidigung möglicherweise auch noch einen Sprung aus einem fahrenden Auto gegeben habe, erklärt Eisenmenger, dass er die im Attest genannten Verletzungen nicht zuordnen könne. Mit milder Nachsicht zitiert der Gutachter die Ausführungen des Markus R., dass dieser »Kampfsport gemacht habe und Würgemale kenne« und lässt damit durchblicken, was er von dieser Art der Verifizierung hält.


Dr. Eisenmenger: »Sammelsurium von Aspekten«


In seiner Zusammenfassung spricht Eisenmenger von einem »Sammelsurium von Aspekten«, die sich nicht in Übereinklang bringen ließen. Beweisend für die geschilderten Vorgänge jedenfalls seien sie nicht, denn das Attest entspreche keinem guten Standard. Als medizinisch nicht erklärbar bezeichnet er die Bissverletzung, die nicht geblutet aber eine Narbe hinterlassen haben soll. Auch die Erinnerung der Ex-Frau an Tritte hält er für fragwürdig, da diese während bestehender angeblicher Bewusstlosigkeit gar nicht aufnehmbar seien. Eisenmengers Fazit: »Es kann so gewesen sein, aber beweisen lässt es sich keinesfalls. Eine Korrelation zu den Schilderungen lässt sich keinesfalls herstellen.«

Oberstaatsanwalt Meindl merkt an, auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft handle es sich um ein »völlig dilettantisches Attest«. Er möchte unter anderem wissen, ob die Bisswunde mit der Schilderung der Ex-Frau korreliere. Eisenmenger bejaht, jedoch mit der Einschränkung, dass die angebliche Wunde im Attest nur als Abdruck bezeichnet und der Arzt mit seiner Wortwahl (»Bisswunde«) eine Wertung vorgenommen habe. Meindl fragt, wie sich ein Biss in dieser Körperregion weiterentwickelt hätte, wenn es zu keinen Hautläsionen gekommen wäre. Hierzu führt Eisenmenger aus, dies sei abhängig von der Massivität, es hätte jedoch zu einer Ausbreitung des Hämatoms kommen müssen, bei gleichzeitigem Schwinden erkennbarer Details. Sodann erkundigt sich Meindl, ob die geschilderten Verletzungen durch einen Würgevorgang von hinten erklärbar wären. Der Sachverständige: »Aufgrund der Beschreibung wäre jede Form der Gewalteinwirkung erklärbar.« Auf die Frage, ob es denn möglich sei, ein eventuelles Angriffsverhalten von einer Notwehrsituation zu unterscheiden, antwortet der Sachverständige klipp und klar: »Mir nicht.«

Nebenklagevertreter Horn möchte unter anderem wissen, ob der Sachverständige in seiner langen Tätigkeit je gesehen habe, dass ein Mann sich gegen eine Frau durch Würgen gewehrt hätte. Hierzu führt Eisenmenger aus, dass er so vieles gesehen habe, dass er es nicht ausschließen könne. Eisenmengers Bewertung folgen zahlreiche allgemeine Ausführungen zu den physiologischen Folgen eines Würgevorgangs. Ein Würgegriff, der Hämatome hinterlässt, sei potenziell lebensgefährlich, da es sowohl zu einem Verschluss der Blutgefäße, als auch zu einer Unterbrechung der Luftzufuhr durch den Bruch von Kehlkopf- und Zungenbein kommen könne. Auch ein Herzstillstand durch einen Nervenreflex (carotis sinus oder nervus laryngeus superior) könnte in Betracht kommen.

Ob man sich selbst würgen könne, sodass es zu Hämatomen kommt?, möchte der Oberstaatsanwalt wissen. Das könne man provozieren, antwortet Eisenmenger.


Ein Sprung aus dem fahrenden Auto?


Hinsichtlich Mollaths Angaben, seine Ex-Frau habe sich im fraglichen Zeitraum bei ihrem Versuch verletzt, noch während des Bremsvorgangs aus dem Auto auszusteigen, erteilt der Nebenklagevertreter die Genehmigung, Erkundigungen bei der Sana-Klinik einzuholen, in welcher seine Ex-Frau sich Mollaths Angaben nach einer Untersuchung wegen dieser Sache unterzogen habe. Die Erlaubnis gelte für den fraglichen Zeitraum bis zum 14. August 2001. Hierzu sagt Verteidiger Gerhard Strate, dass die dortige Behandlung auch später erfolgt sein könne, weshalb er um eine Erweiterung des Zeitraums bis zum 30. oder wenigstens 15. September 2001 ersuche. Der Nebenklagevertreter sagt zu, dies mit seiner Mandantin abzuklären.

>> Wortprotokoll zum 10. Verhandlungstag



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1 Kommentar:

  1. Danke für den erneuten ausführlichen und gelungenen Bericht! Danke auch für die ganze Arbeit, die Sie sich in dieser Sache für uns interessierte Leser machen.

    Lieben Gruß TS

    AntwortenLöschen

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