Mittwoch, 16. Juli 2014

Wiederaufnahme Gustl Mollath – 7. Tag: Das Spiel ist aus!

»Die Luftblase ist sofort zerplatzt!«
Mollath-Anwalt Gerhard Strate
über den Beweisantrag
der Nebenklage
Wer wenig Ahnung von Theaterdonner hat, lässt sich leicht von ihm beeindrucken. Möglichst laut und vor allem im richtigen Moment muss er ertönen, um den maximalen Effekt zu erzielen. Das dachte sich wohl gestern auch Nebenklageanwalt Jochen Horn, der die undankbare Aufgabe übernommen hat, eine angeblich Geschädigte zu vertreten, die nicht bereit ist, ihre Vorwürfe vor Gericht zu wiederholen. Besonders nach der mehr als bizarren Zeugenaussage des neuen Ehemannes der Mollath-Ex wird immer plastischer erkennbar, dass von sämtlichen Mollath zur Last gelegten Straftaten nicht mehr als heiße Luft übrigbleiben wird.  

Der siebte Prozesstag im Wiederaufnahmeverfahren Gustl Mollath beginnt deshalb so, wie es zu erwarten war: Weder bei der Staatsanwaltschaft Hannover noch bei der Polizei in Bad Pyrmont ist ein Ermittlungsverfahren gegen Gustl Mollath anhängig, verkündet die Vorsitzende Richterin Elke Escher gleich zu Beginn.  Damit hat der durchschaubare Versuch der Nebenklage, eine ablenkende Nebelkerze zu zünden, keine 24 Stunden überlebt. »Die Luftblase ist sofort zerplatzt. Was als Beweisantrag gestellt wurde, war Nichts!«, resümiert Mollath-Anwalt Gerhard Strate, während Nebenklagevertreter Horn versucht, zu retten, was nicht mehr zu retten ist: Er lege Wert auf die Feststellung, dass keine Straftaten behauptet, sondern lediglich Informationen ins Verfahren eingeführt worden seien, verkündet er. Ein Wort des Bedauerns erwartet man von ihm wohl vergebens.


Unklare Vorwürfe, starke Reizwörter und ein wenig Psychiatrie


So verstörend die Behauptung auf manche Prozessbeobachter gewirkt haben mag, Mollath habe zu Silvester 2013 einen heftigen Streit mit einer Frau gehabt und es sei deshalb eine neue Anzeige gegen ihn anhängig, so begrüßenswert ist der gesamte Vorgang. Er macht für die Öffentlichkeit nachvollziehbar, wie die Methode funktioniert, mit der man Mollath so lange kaltgestellt hatte: Man nehme ein paar unklare Vorwürfe, garniere sie mit starken Reizwörtern, mische sie mit ein paar psychiatrischen Fachbegriffen  und lasse das Ganze kurz aufkochen, indem man es auf scheinbar juristischem Wege in ein Verfahren einführt. Gerät man dann noch an eine Kammer, deren Mitglieder lieber Urlaubspläne schmieden, als sich mit Detailfragen herumzuschlagen, ist die Sache für den Beschuldigten gelaufen.

Was im Jahre 2006 in Nürnberg noch ein Kinderspiel war, funktioniert nun in Regensburg nicht mehr. Das Spiel ist aus! Nach dieser erfreulichen Klarstellung konnte der siebte Verhandlungstag denn auch zügig beginnen, der ganz im Zeichen der Sachbeschädigungsvorwürfe stand. Wann, wessen und welche Autoreifen Mollath wo und wie zerstochen haben soll: Die Antwort auf all diese Fragen ist gar nicht so einfach. Der erste Zeuge war denn auch Stefan G., der damals ermittelnde Polizeioberkommissar der Polizeiinspektion Nürnberg-Ost, auch bekannt als Oster-Wache oder Erlenstegenwache. Einen Täterhinweis könne er nicht geben, hatte der damals angeblich geschädigte Rechtsanwalt Wolfgang G. ausgesagt. In einem Schreiben an POK Stefan G. hatte er mehrere Vorkommnisse betreffend sowohl seinen als auch den Wagen seiner Frau aufgelistet, denn der Reifenstecher schien es in den Jahren 2004 und 2005 besonders auf ihn abgesehen zu haben. Die Vernehmung von Stefan G. bot denn auch Spannendes. So wundere es ihn schon, dass das Video weg sei, führte G. aus. Dabei habe man zu dessen Erstellung damals extra ein Spezialkommando angefordert, das gerade zufällig über freie Kräfte verfügt und eine Überwachungskamera aufgestellt habe. Und: Nein, Petra Mollath habe ihren Mann eben nicht zweifelsfrei auf dem Film identifizieren können, den er selbst ihr vorgespielt habe.


Strate: »Mit der Mütze hätte es auch Helmut Schmidt gewesen sein können!«


Heute gibt es von dem Video nur noch einzelne Lichtbilder. Diese zeigen eine offenbar männliche Gestalt, die fast nur schemenhaft erkennbar ist. Groß gewachsen und o-beinig wirkt die abgebildete Person auf den Betrachter. Ob das Mollath ist? – Keine Ahnung. »Mit der Mütze hätte es auch Helmut Schmidt gewesen sein können!«, spottet Rechtsanwalt Strate über den fragwürdigen Beweiswert der Aufnahmen.

Ob man das immer so gemacht habe, wenn Reifen zerstochen worden waren?, möchte die Vorsitzende Richterin wissen. G. verneint. Die Geschädigten seien über Mollath »in Verbindung« gestanden, außerdem seien Rechtsanwälte betroffen gewesen. Gesehen habe er die angeblich beschädigten Reifen nie, so G., sondern auf Berichte seiner Kollegen zurückgegriffen. Ob der Lebensgefährte Petra M.s ihn kontaktiert habe?, erkundigt sich der Beisitzer. G. weiß sofort, von wem die Rede ist: »Herr M., ja. Er hat auf Herrn Mollath hingezielt.« Woher M. von den Reifenschäden gewusst habe, fragt der Beisitzer weiter. »Die haben sich bestimmt untereinander abgesprochen, sie kennen sich alle«, gibt G. Auskunft.

»Sie bekommen eine ganze Reihe von UT-Anzeigen [Anmerkung: unbekannter Täter]. Wie ist Ihnen der Gedanke gekommen, es könnte ein und derselbe sein?«, fragt Oberstaatsanwalt Meindl. Diese Idee sei ihm zuerst auch nicht gekommen, doch dann habe er ein Schreiben erhalten, das ihm der angeblich geschädigte Rechtsanwalt G. zur Verfügung gestellt habe. Dieser teilte ihm mit, Mollath könne im Spiel sein. Der Name habe ihm bis zu diesem Zeitpunkt nichts gesagt, doch in der zentralen Vorgangsverwaltung habe er gesehen, dass Mollath bereits wegen Vorwürfen der Körperverletzung und Freiheitsberaubung aktenkundig gewesen sei. Der erste Täterverdacht sei demnach von Rechtsanwalt G. gekommen. Schließlich sei man von der Täterschaft Mollaths ausgegangen, da laut Aussage von dessen Ex-Frau alle Geschädigten mit ihr in Kontakt standen. Und überhaupt: Nach Mollaths Verhaftung hätten die Reifenstechereien aufgehört!, erinnert sich G. plötzlich, der noch kurz zuvor erklärt hatte, es gebe jedes Jahr »massenhaft« derartige Delikte, sogar »tagtäglich mehrere Fälle«. Letzteres dürfte eher der Wahrheit entsprechen. So berichteten die Nürnberger Nachrichten im Jahre 2007, als Mollath längst in Haft saß, von einer Reifenstecherserie in der Kleinweidenmühle mit mindestens 20 Betroffenen, einer davon wurde schwer verletzt. In dem Bericht heißt es:

»Das Perfide am Vorgehen des Täters: Durch den Stich mit einem spitzen Gegenstand geht den Reifen nur sehr langsam die Luft aus. Die Autobesitzer bemerkten in der Regel erst während der Fahrt, dass sie einen Platten hatten.«


»Da ist schon drüber gesprochen worden …«


Ob Druck ausgeübt worden sei, verstärkt in dieser Sache zu ermitteln?, erkundigt sich Meindl. G.s Antwort fällt kryptisch aus: Da sei schon darüber gesprochen worden. »Waren Sie damals überzeugt, dass Sie den Richtigen haben?«, insistiert der Oberstaatsanwalt. »Zu 90 %«, der Polizist nickt. Das Ermittlungsergebnis sei der Staatsanwaltschaft vorgelegt worden. Ein Abdruck sei an Amtsrichter Eberl gegangen. »Warum?«, möchte Meindl abschließend wissen. G. gibt an, dies sei im Zusammenhang mit der Begutachtung Mollaths an das Amtsgericht gegangen. Dass der Fall mit Einstellung und Einweisung in eine psychiatrische Anstalt ausgegangen sei, habe er erst später erfahren, so G.

Ob es üblich sei, Ermittlungsgruppen wegen Reifenstechereien zu bilden?, erkundigt sich Rechtsanwalt Strate. Ja, das habe es durchaus schon einmal gegeben, sechs oder sieben Jahre zuvor!, bestätigt G. Das werde gemacht, wenn ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Fällen erkennbar sei. Ob denn Martin M. schon einmal in der Dienststelle zugegen gewesen sei, fragt Strate weiter. G. gibt an, dass M. bei der Vernehmung der Ehefrau nicht zugegen gewesen sei: »Aber er wollte schon einwirken«, G. bleibt vage.

Auch auf den zuständigen Dienstgruppenleiter kommt die Rede, der laut G. nicht direkt in die Ermittlungen involviert gewesen sei: Werner W.s Name jedoch kommt Rechtsanwalt Strate bekannt vor. Ob der mit dem 1. FCN zu tun habe? – Nein, W. spiele aktiv Fußball im Postsportverein Nürnberg. »Noch besser!«, findet Strate. – Schließt sich der Kreis in diesem Sportverein, dessen Geschäftsführer Martin M. heißt und der jetzige Ehemann der Mollath-Ex ist?

Gustl Mollath selbst nutzt die Gelegenheit und fragt G., ob sein ehemaliger Pflichtverteidiger Thomas Dolmány kürzlich eine Sachbeschädigung angezeigt habe. Hintergrund war eine Aussage Dolmánys am 3. Prozesstag, ihm sei im vergangenen Sommer ein Autoreifen zerstört worden, als Mollath schon in Freiheit gewesen war. Eine entsprechende Anzeige sei ihm nicht bekannt, antwortet G.


Auf dem Boden der Tatsachen


Erneut als wohltuend erweist sich die Sachlichkeit der Fragen des technischen Sachverständigen Dipl.-Ing. Rauscher, der klipp und klar wissen möchte, in wie vielen Fällen Autos tatsächlich bewegt worden seien, sodass es überhaupt zu gefährlichen Fahrsituationen hätte kommen können. G. weiß es nicht. Ob man Tatorte in Augenschein genommen habe und wie sich Unterschiede in den Schilderungen angeblich Geschädigter erklären ließen. Ob das Fehlen von 0,5 bar bereits als platter Reifen betrachtet worden war, ob ein Messer oder ein rundes Stechwerkzeug verwendet worden sei, ob man jemals Fotos der Schäden gemacht habe und ob es in den gefilmten Situationen überhaupt zu einer Beschädigung gekommen sei.

Die Fragenliste ist lang, die Antworten umso kürzer und fast durchgehend von Unbestimmtheit gekennzeichnet. Unfälle oder Reifenplatzer habe es nicht gegeben. Ob Herr M. denn Drohungen ausgesprochen habe?, möchte Strate abschließend wissen. »M. hat schon angerufen …«, berichtet G. Am Ende der Befragung stellt Gerhard Strate den Antrag, den damaligen Dienstgruppenleiter und Fußball-Fan Werner W. als zusätzlichen Zeugen zu vernehmen.


»Der bekommt kein Wasser!«


Gustl Mollath
Der merkwürdige Eindruck der Arbeitsweise dieser Polizeiwache verdichtet sich bei der Vernehmung des nächsten Zeugen: Polizist Falko U., der an Mollaths Verhaftung im Frühjahr 2005 beteiligt gewesen war. Gustl Mollath selbst stellt ihm Fragen, die seine damaligen Nöte deutlich erahnen lassen: »Haben Sie mir ermöglicht, etwas mitnehmen zu können oder wurde ich gleich zum Auto geführt?« Und überhaupt: »Sie schildern die Situation so blumig. Doch es war schrecklich! Wo wurde ich hingefahren?« – »Auf die Polizeiinspektion Nürnberg-Ost.« – »Was ist dann geschehen?«, fragt Mollath weiter. – »Sie wurden bei uns verwahrt, dann weitertransportiert«, antwortet U. – »Wer war in den nächsten 24 Stunden für mich zuständig?« U. verweist auf die damaligen Dienstpläne, ehe Mollath seine letzten Fragen an diesen Zeugen stellt:

»Wurde unter Kollegen darüber gesprochen? Können Sie sich erinnern, dass ein Kollege sagte: „Der bekommt kein Wasser!“?« U. verneint. »Können Sie sich erinnern, dass eine Kollegin mir aus Mitleid einen Becher Wasser zuschob?«

Bericht und Bilder: Ursula Prem

>> Wortprotokoll 7. Verhandlungstag


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1 Kommentar:

  1. Auch von mir Dank und Anerkennung! Nach der Lektüre meint man tatsächlich, dabei gewesen zu sein.

    Erstaunlich, mit welcher Kaltschnäuzigkeit das Nürnberger Landgericht unter Leitung von Otto Brixner im Schnellst-Verfahren die offensichtlich gezielt konstruierten und nicht all zu schwer durchschaubaren falschen Tatvorwürfe gegen Mollath durch gewunken hat, um zur Unterbringung wegen angeblichen "Wahns" zu kommen!
    Die jetzt anlässlich der Beweisaufnahme auftauchenden „Merkwürdigkeiten“ wären damals sicher leichter feststellbar gewesen als im heutigen Verfahren - nach 8-jährigem Zeitablauf!
    Und besonders erschreckend ist, wie es gelingen kann, mit konstruierten Tatvorwürfen durch zu kommen, wenn man sie bei den „richtigen“ Leuten gezielt und nachhaltig anbringt, die sich für Derartiges all zu empfänglich zeigen und sich sogar unter Missachtung der einfachsten Regeln ihres Berufes bereitwilligst zur Verfügung stellen!
    In dieser Konstellation und an diesem Ort brauchte es einen Anwalt von der Spitzenqualität eines Dr. Strate, um das Gespinst aus Lügen und Manipulationen, aus Nachlässigkeiten und beflissenem Eifer, jemanden gezielt „aus dem Verkehr“ zu ziehen, zu durchhauen.

    Das LG Regensburg führt jetzt vor, dass und wie die Aufgabe der Strafjustiz auch ordentlich erfüllt werden kann – nach dem ersten völlig missglückten Anlauf der benachbarten Strafkammer unter Vorsitz von Bettina Mielke überrascht mich das besonders angenehm, insbesondere vor dem Hintergrund der lange Zeit jede Aufklärung abblockenden Grundhaltung der bayerischen Justiz einschließlich der damaligen Justizministerin Beate Merck.

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