Sonntag, 10. November 2019

512. »Als Adam und Eva Götter waren«

Teil 512 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Wie sah es im Paradies aus? Was spielte sich im Paradies ab? Wer kommt wie ins Paradies und wer nicht? Fragen wie diese versuche ich erst gar nicht zu beantworten.


Adam und Eva
Fotomontage gespiegelt
Links im Bild: Adam nach Lukas Cranach d.Ä.,
In der Mitte: Eva nach Rubens 
Rechts im Bild: Adam nach Dürer
Fotomontage gespiegelt

Stellen wir uns ein riesiges Puzzle vor. Wir wissen: Setzt man alle Einzelteile zusammen, dann entsteht ein Bild von der Vergangenheit unseres Planeten. Nun werden die Einzelheiten aber nicht sorgsam verpackt in einem Karton geliefert. Und wir wissen nicht, wie das fertige Bild aussehen wird. Wir müssen uns die einzelnen Puzzleteilchen mühsam zusammensuchen und hoffen, dass wir ein sinnvolles Bild aufbauen können. Mehr noch: Es soll auch das richtige Gesamtbild entstehen. Das aber ist so einfach nicht.

Sicher, da gibt es Menschen, die uns vorschreiben wollen, wie das Bild am Schluss auszusehen hat. Sie akzeptieren nur solche Puzzles als richtig zusammengesetzt, die ihren Vorstellungen entsprechen. Andere Sichtweisen sind zwar möglich, aber nicht erlaubt.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele Puzzleteilchen verlorengegangen sind. Wenn wir »unser« Puzzle zusammenfügen, werden – das ist unumgänglich – Lücken bleiben. Damit nicht genug! Wir werden feststellen, dass es nicht nur ein Bild gibt, das es zu rekonstruieren gilt. Vielmehr werden wir eine Vielzahl von Einzelteilchen finden, die eine ganze Reihe von verschiedenen großen Puzzlebildern ergeben, wobei wir nicht wissen, welches Teilchen in welches Puzzle gehört. Es besteht also die Gefahr, dass wir die falschen Teilchen ins falsche Bild einsetzen. Leicht sind Lücken in einem Bild mit Puzzleteilchen eines anderen Bildes aufgefüllt. Schnell entsteht so ein falsches Bild.

Stellen wir uns ein riesiges Puzzle vor. Es zeigt ein Bild aus frühen Tagen der Menschheit. Wir betrachten das Bild näher und stellen fest, dass große Teile des Bildes dort, wo Teilchen fehlten, mit viel Fantasie ausgemalt wurden.

Unser imaginäres »Bild Nummer 1« zeigt eine Szene aus dem Paradies mit Adam und Eva. Wir erkennen Adam und Eva und natürlich die Schlange. Wir betrachten das Bild und glauben sofort, dass wir die Geschichte kennen, zu der das Bild gehört. Die Schlange verführt Eva, Eva isst von der verbotenen Frucht und verführt nun Adam, der ebenfalls von der verbotenen Frucht isst. Adam und Eva werden aus dem Paradies gejagt. Sie und ihre Nachkommen müssen bis ans Ende der Tage leiden. Eva und ihre weiblichen Nachkommen müssen unter Schmerzen gebären, Adam und seine männlichen Nachkommen müssen bis ans Ende der Zeiten schuften. Ist das die Geschichte? Es ist eine Geschichte, die zum Bild erzählt wird.

Es gibt ein weiteres Bild und dazu eine andere, abweichende Geschichte. Unser imaginäres »Bild Nummer 2« ähnelt dem imaginären »Bild Nummer 1« sehr. Und doch gibt es entscheidende Unterschiede. Eva verführt nicht ihren arglosen Mann Adam. Eva ist nicht die Sünderin, die auch noch ihren Mann Adam ins Verderben reißt. Adam und Eva verstoßen gemeinsam gegen Gottes Verbot. Sie werden aus dem Paradies verbannt. Damit sind sie bestraft genug. Gott verzeiht Adam und Eva. Also kann es in diesem Bild keine Erbsünde geben. Folgerichtig ist auch kein Erlöser nötig.

Imaginäres »Bild Nummer 2« erzählt die Geschichte, so wie sie im Koran steht. Wie im Alten Testament gibt es auch im Koran einen »verbotenen Baum« (1): »Und Wir (Gott) sprachen: ›O Adam, weile du und dein Weib in dem Garten, und esset reichlich von dem Seinigen, wo immer ihr wollt; nur nahet nicht diesem Baume, auf dass ihr nicht Frevler seiet.‹«

Die Verfehlung folgt auf dem Fuß im nächsten Vers (2): »Doch Satan ließ beide daran straucheln und vertrieb sie von dort, worin sie waren. Und Wir (Gott) sprachen: ›Gehet hinweg, einige von euch sind Feinde der anderen, und für euch ist eine Wohnstatt auf Erden und Nießbrauch für eine Weile.« Meiner Meinung wendet sich Gott hier ausschließlich an die Menschen. Nach Vertreibung aus dem Paradies dürfen sie noch weiter, allerdings zeitlich begrenzt, auf der Erde leben.

Übersetzungen des Korans ins Deutsche fallen manchmal relativ unterschiedlich aus. So lesen wir ein einer anderen Übersetzung (3) »›Der eine von euch sei des anderen Feind. Und ihr sollt auf der Erde Wohnstätten und Versorgung auf beschränkte Dauer haben.‹«

Sind nun einige der Menschen Feinde der anderen? Oder ist jeder Mensch des anderen Menschen Feind? In der vielleicht bekanntesten Version des Koran von Rudi Paret wird keine Feindschaft der Menschen untereinander angekündigt, sondern zwischen den Menschen einerseits und dem Satan andererseits (4): »Und wir (Gott) sagten: ›Ihr (d.h. ihr Menschen und der Satan) seid (künftig) einander feind.«

»Adam und Eva«
Fotomontage gespiegelt
Adam rechts und links außen: nach Lukas Cranach d.Ä.
In der Mitte Eva nach Dürer
Fotomontage gespiegelt

Das Paradies scheint sich in der Übersetzung von Paret im Himmel zu befinden. Gott befiehlt den Menschen (5): »Geht (vom Paradies) hinunter auf die Erde)!« Und noch einmal lesen wir bei Paret (6): »Wir (Gott) sagten: ›Geht allesamt von ihm hinunter (auf die Erde).« Auch in der Übersetzung von Simon Abram (7) befiehlt Gott: Raus aus dem Paradies und dann (7): »Geht (vom Paradies) hinunter! ... Geht hinunter von hier allesamt!« Geht –  von wo wohin? Von welchem Ort aus sollen die ersten Menschen zu welchem anderen Ort gehen? Wurden Adam und Eva aus einem Ort im Himmel hinunter auf die Erde geschickt? Konkreter: War das Paradies gar kein Ort auf der Erde, sondern im All? Oder war das Paradies gar kein räumlicher Ort, sondern ein Geisteszustand? So könnte man einen wichtigen Vers in der Koranübersetzung von Paret verstehen (8): »Da veranlaßte sie der Satan, einen Fehltritt zu tun, wodurch sie des Paradieses verlustig gingen, und brachte sie so aus dem (paradiesischen) Zustand heraus, in dem sie sich befunden hatten.« Sollte der Aufenthalt im Paradies lediglich ein »Zustand«, eine Geisteshaltung gewesen sein? Steht der Sündenfall im übertragenen Sinne für eine Abwendung der Menschen vom Glauben?

Nach christlicher Interpretation der Geschichte von Adam und Eva im Paradies verstoßen Adam und Eva gegen göttliches Gebot. Sie werden aus dem Paradies geworfen. Folge der Verfehlung der ersten Menschen ist die Erbsünde, die von nun an alle Menschen bis zum Jüngsten Gericht mit sich schleppen müssen. Erlösung bringt der Opfertod des Messias. Nach muslimischem Glaubensverständnis verzeiht Allah den Menschen unmittelbar nach der Vertreibung aus dem Paradies (9):

»Da empfing Adam von seinem Herrn Worte, worauf Er ihm verzieh; wahrlich, Er ist der Allverzeihende, der Barmherzige.« Eine »Erbsünde« ist im Koran nicht vorgesehen. Das heißt, es muss im Koran auch keinen Erlöser geben, der sich für die Menschen opfert und ermorden lässt.

Wenden wir uns einem dritten imaginären Bild zu! Es ist das älteste, das bislang bekannt wurde. Es hat womöglich jüngeren Bildern (Altes Testament, Koran!) als Vorlage gedient. Die niederländischen Theologen Professorin Marjo C. A. Korpel (*1958) und der emeritierte Theologieprofessor Johannes C. de Moor (*1935) haben dieses dritte »Bild« wieder entdeckt. Es entstand fast ein Jahrtausend vor der Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments und erzählt eine ganz andere Geschichte. Ihr penibel recherchiertes und fundiert begründetes Werk wurde von der »University of Sheffield«, Fachbereich »Biblische Studien« publiziert. Inzwischen liegt eine zweite Auflage in erweiterter Fassung vor (10).

Urgott Ilu schuf den Götterhimmel, die Erde als Zwischenwelt und die Unterwelt. Das Paradies liegt in der Zwischenwelt. Dor steht auch der »Baum des Lebens«. Im Himmel rebelliert Gott Horranu gegen Gott Kirtu. Der ungehorsame Horranu wird aus dem Himmel geworfen und auf die Erde verbannt.

Horranu will die Götter umbringen. Die Himmlischen müssen regelmäßig vom Baum des Lebens essen, damit sie unsterblich bleiben. Die zahlreichen Götter in himmlischen Gefilden leben also nur so lange sie regelmäßig vom Baum des Lebens naschen können. Zu diesem Zweck steigen sie regelmäßig aus dem Himmel zur Erde hinab.

Horranus perfider Racheplan: Er verwandelt sich in eine Schlange und vergiftet den Baum des Lebens. Die Welt überzieht er mit einem giftigen Nebel.

Gott Adammu, die »Urversion« des Adam, wird von den Göttern zur Erde geschickt. Sie gaben ihm totale Macht über die gesamte Erde, nicht nur über ein Flecken Erde namens Paradies. Er soll die Schlange im Baum des Lebens besiegen, damit die Götter endlich wieder Zugang zu den Früchten der Unsterblichkeit haben. Adammu wird von der Monsterschlange gebissen, verliert so im Kampf gegen den Schlangengott seine Unsterblichkeit und wird sterblicher Mensch. Die Götter machen die Muttergöttin Kubaba zur sterblichen Frau und schicken sie dem Ex-Gott Adammu, damit er nicht mehr einsam ist.

Auch auf unserem imaginären »Bild Nummer 3« sehen wir Adam und Eva. Aber beide werden als Ex-Götter gezeigt, die zu Menschen wurden. In der »Urversion« gibt es keine Schuld von Adam und Eva. Es gibt auch keine von Adam und Eva begangene »Erbsünde«.

Auf den Ugaritischen Tafeln rebelliert Gott Horranu im Himmel gegen Gott Kirtu. Ein anderer Name des Obergottes Kirtu war El. Und El begegnet uns auch im Alten Testament.

»Adam und Eva«
Fotomontage, gespiegelt
Links außen und rechts außen: Adam nach Lukas Cranach d.Ä. 
In der Mitte Eva nach Rubens
Fotomontage, gespiegelt
 


Fußnoten
(1) Sure 2, Vers 36 zitiert nach »Koran. Der Heilige Qur-ân: Arabisch / Deutsch Kindle Ausgabe von Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland KdöR (Autor), Hadhrat Mirza Masroor Ahmad (Herausgeber)«, Frankfurt 2013
(2) ebenda, Sure 2, Vers 37
(3) Sure 2, Vers 38, zitiert nach »Der Koran Muslim Bibel Deutsche Ausgabe«, Kindle-Ausgabe, Simon Abram (Herausgeber/ Übersetzer)
(4) Sure 2, Vers 36, zitiert nach »Der Koran/ Übersetzung von Rudi Paret«, Kindler Ausgabe. Die unterschiedlichen Übersetzungen des Koran weichen in der Verszählung geringfügig voneinander ab.
(5) Ebenda
(6) Bei Paret ist das in Sure 2, Vers 37 zu finden.
(7) Sure 2, Vers 38, zitiert nach »Der Koran Muslim Bibel Deutsche Ausgabe«, Kindle-Ausgabe, Simon Abram (Herausgeber/ Übersetzer), hier Verse 36 und 38
(8) Sure 2, Vers 36, zitiert nach »Der Koran/ Übersetzung von Rudi Paret«, Kindler Ausgabe. Die unterschiedlichen Übersetzungen des Koran weichen in der Verszählung geringfügig voneinander ab. Die Rechtschreibung wurde unverändert übernommen.
(9) Sure 2, Vers 37, zitiert nach »Der Koran Muslim Bibel Deutsche Ausgabe«, Kindle-Ausgabe, Simon Abram (Herausgeber/ Übersetzer)
(10) Korpel, Marjo C. A. und De Moor, Johannes C.: »Adam, Eve, and the Devil: A New Beginning«, 2. erweiterte Auflage,  Sheffield, 20. August 2015


513. »Unser Gott und seine Frau«,
Teil 513 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 17. November 2019



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