»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: Apostel Paulus (Ikone) |
Die Zustände im 4. Himmel sind fantasiereich ausgeschmückt worden. Da werden Seelen aus dem Lande der Toten herbeigeschafft und von den Engeln für ihre Sünden ausgepeitscht. Sündige Seelen werden »hinabgeworfen«. Da klingt, meine ich, die Vorstellung einer Reinkarnation an (2): »Als die Seele diese Dinge gehört hatte, blickte sie zu Boden; sie war beschämt. Und dann blickte sie nach oben und wurde hinabgeworfen. Die Seele, die hinabgeworfen wurde, kam in einen Körper, der für sie bereitet worden war.« Diese Vorstellung von Reinkarnation findet sich auch im 4. Buch Esra (3), wird da aber sehr viel ausführlicher geschildert. Das 4. Buch Esra entstand im 1. Jahrhundert n.Chr. Die große Ähnlichkeit der in beiden Schriften verwendeten plastischen Bilder deutet meiner Meinung nach auf eine Entstehung beider Texte in der gleichen Zeit hin. Demnach dürfte es die »Apokalypse des Paulus« bereits im 1. Jahrhundert n.Chr. gegeben haben.
Die himmlische Reise wurde fortgesetzt (4): »Und ich sah einen großen Engel im fünften Himmel, der einen eisernen Stab in seiner Hand hielt; es waren drei weitere Engel bei ihm, und ich blickte in ihre Gesichter. Sie aber wetteiferten miteinander; mit Peitschen in ihren Händen trieben sie die Seelen zum Gericht.«
Vom sechsten Himmel aus sah Paulus etwas (5): »Dann kamen wir hinauf zum sechsten Himmel. … Und ich blickte hinauf zur Höhe und ich sah ein großes Licht bis in den sechsten Himmel hinunterscheinen.«
Foto 2: Auch Paulus wurde »entrückt« (Illustration aus einer Bibelhandschrift um 850 n.Chr., künstlerisch umgestaltete Collage). |
Schließlich wird der junge Abraham »entrückt«, er tritt eine »Luftreise« an (9): »Und es geschah bei Sonnenuntergang, da gab es Rauch wie Rauch aus einem Ofen. … So trug er mich bis an der Feuerflammen Grenzen. Dann stiegen wir hinauf, so wie mit vielen Winden, zum Himmel, der da ob dem Firmament war.«
Der junge Abraham wird also immer höher und höher in den Himmel entrückt, bis er eine fantastisch anmutende Beobachtung macht. Noch einmal lassen wir den Augenzeugen Abraham aus der Abrahamapokalypse zu Wort kommen und vergleichen damit die Aussage der »Apokalypse des Paulus«.
Abraham (10): »Ich sehe in der Luft auf jener Höhe, die wir bestiegen, ein mächtig' Licht, nicht zu beschreiben, und in dem Licht ein mächtig Feuer.«
Paulus: »Und ich blickte hinauf zur Höhe und ich sah ein großes Licht bis in den sechsten Himmel hinunterscheinen.«
Die Vermutung liegt nahe, dass Abraham und Paulus auf ihrer Himmelsreise das gleiche »mächtige Licht« in großer Höhe gesichtet haben. Beide reisen, begleitet von einem Engel begleitet, empor zu diesem mächtigen Licht. Im siebten Himmel wird Abraham von einem alten, weiß gekleideten Mann befragt. Wer war dieser alte Mann? Er saß auf einem Thron, der (11) »war siebenmal heller als die Sonne«.
Foto 3: Paulus |
Der Text der »Apokalypse des Paulus« ist Teil der altehrwürdigen Bibliothek von Nag Hammadi. In der »wissenschaftlichen Literatur« wird diese Textsammlung allgemein als »NHC« geführt. Theologen halten es für besonders wissenschaftlich, ihre Texte durch möglichst massiven Gebrauch von Abkürzungen möglichst schwer lesbar zu machen. Wer Abkürzungen, die in theologischen Werken Verwendung finden, im Internet nachschlägt, stellt häufig fest, dass die von Theologen genutzten Abkürzungen eigentlich schon »besetzt« sind. So steht »NHC« zum Beispiel für das »National Hurricane Center«. In diesem Zentrum, ansässig in Miami, Florida, werden tropische Wirbelstürme beobachtet und nach Möglichkeit wird zu berechnen versucht, wie sie sich weiterentwickeln und welche Regionen sie demnächst heimsuchen werden.
»NHC« hat schon manches Leben gerettet. Mancher, der auf einer der Inseln der ostfriesischen Küste Urlaub machte und dringend eines Notarztes bedurfte, wurde von »NHC« gerettet. Jetzt verbirgt sich hinter der Abkürzung »NHC« allerdings das in Emden ansässige Luftfahrtunternehmen »Northern HeliCopter GmbH«, das auch für die Offshore-Windindustrie in Nord- und Ostsee zuständig ist.
Foto 4: Apostel Paulus (Ikone) |
»NHC« bietet wenig konkrete Angaben zur Entrückung des Paulus. Über seine Reise in immer höhere Sphären ist so gut wie nichts Näheres zu erfahren, nur dass es eben immer höher und höher geht. Zwischendurch scheint Paulus seine auf der Erde verbliebenen Mitapostel – wie auch immer – zu sehen. Im Kern besteht der Text der »Apokalypse des Paulus« aus einer Entrückung eines Menschen in immer größere Höhen des Himmels (Weltalls?), angereichert durch theologische Ergüsse. Wir können sie nach fast zwei Jahrtausenden nicht mehr wirklich verstehen.
Foto 5: Buchcover von Dr. Zürners wichtigem Buch |
Dr. Bernhard Zürner hält schon den kurzen Text über die Himmelsreise des Paulus im »Neuen Testament« (14) für keinen echten Erlebnisbericht. Vielmehr, und da sieht er sich im Konsens mit einschlägigen Forschern, basierten Pauli Entrückungsdaten auf zeitgenössischem Hintergrund. Dr. Bernhard Zürner erkennt (15), dass es diverse Entrückungsberichte diverser Autoren gab, die Paulus beim Abfassen seines Textes als Vorlage dienten. So nennt Dr. Bernhard Zürner eines der wichtigsten Kapitel seines Buches (16) »Himmlisches nach Vorlage«. Er kommt zu einem eindeutigen Ergebnis (17): »Da niemand nach Vorlage erleben kann, muß er das Erlebnis nach Vorlage fingiert haben; nicht nur als Entrückter, auch als Entrückungsliterat hat er sich nicht besonders anstrengen müssen.« Dr. Bernhard Zürner hält die »Apokalypse des Paulus« so schreibt er weiter, ebenso für fiktiv.
Unbekannte Verfasser, so Dr. Bernhard Zürner, hätten (18) »Pauli Paradiesentrückung weiter ausgemalt«. Mit anderen Worten: Paulus griff auf Vorlagen zurück, um seinen kurzen Text zu formulieren. Und andere Autoren schmückten den Text des Paulus noch weiter aus und schufen die »Apokalypse des Paulus«.
Foto 6: Papyrus 46 mit einigen Versen aus dem 2. Korintherbrief. Foto wiki commons, gemeinfrei |
Ich glaube nicht, dass Paulus aus übertriebener Bescheidenheit ein eigenes Erlebnis einem Namenlosen zuschreibt. Paulus trat ja auch sonst nicht gerade bescheiden auf, sondern hat gern seine große Bedeutung für die junge Christenheit unterstrichen.
Dr. Bernhard Zürner konstatiert (19): »Das heidnische Muster, das er benutzte und recht genau einhielt, brauchte er nur … abzuändern.« Paulus (oder sein »Ghostwriter«) hat, davon bin ich überzeugt, sehr viel ältere Texte gekannt und deren Muster strikt folgend seinen »Entrückungsbericht« verfasst. Im Gegensatz zu Dr. Zürner, den ich menschlich wie fachlich sehr schätze, glaube ich, dass der fiktiven Entrückung des Paulus sehr viel ältere reale Begebenheiten zugrunde liegen, die wirklich physisch erfolgt sind.
Foto 7: Auch Paulus wurde »entrückt« (Illustration aus einer Bibelhandschrift um 850 n.Chr.) Farblich verändert/ Collage/ Montage |
(1) Lüdemann, Gerd und Janßen, Martina: »Bibel der Häretiker/ Die gnostischen Schriften aus Nag Hammadi«, Stuttgart 1997, Seite 285, »Das Seelengericht«
(2) Ebenda, Seite 285, 26.-29. Zeile von oben
(3) 4. Buch Esra Kapitel 7, Verse 75-101
(4) Lüdemann, Gerd und Janßen, Martina: »Bibel der Häretiker/ Die gnostischen Schriften aus Nag Hammadi«, Stuttgart 1997, Seite 286, 1.-5. Zeile von oben
(5) Ebenda, Seite 286, 7., 9. Und 10. Zeile von oben
(6) Philonenko-Sayar, Belkis und Philonenko, Marc: »Die Apokalypse Abrahams«, erschienen als »Band V Lieferung 5« der Buchreihe »Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit«, Gütersloh 1982
Rießler, Paul: »Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel übersetzt und erläutert von Paul Rießler«, Augsburg 1928, Seiten 13-39
(7) Rießler, Paul: »Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel übersetzt und erläutert von Paul Rießler«, Augsburg 1928, Ebenda, Seite 20, 10. Kapitel,1+2
(8) Ebenda, Seite 21, X, 5
(9) Ebenda, Seite 25, XV 1, 4 und 5
(10) Ebenda, Seite 25, XV, 6
(11) Lüdemann, Gerd und Janßen, Martina: »Bibel der Häretiker/ Die gnostischen Schriften aus Nag Hammadi«, Stuttgart 1997, Seite 286, 17. Zeile von oben
(12) Ebenda, Site 287, 8.-1 Zeile von oben
(13) Zürner, Dr. Bernhard: »Die Pauluslegende/ Hundert Enthüllungen«, Ulm ohne Jahresangabe
Zürner, Bernhard: »Paulus ohne Gott«, Bonn 1996
(14) 2. Korintherbrief Kapitel 12, Verse 1-6
(15) Zürner, Dr. Bernhard: »Die Pauluslegende/ Hundert Enthüllungen«, Ulm ohne Jahresangabe
(16) Ebenda, »Himmlisches nach Vorlage«, Seiten 93-102
(17) Ebenda, Seite 97, 11.-8. Zeile von unten
(18) Ebenda, 4. Und 3. Zeile von unten
(19) Ebenda, Seite 101, 15.-13. Zeile von unten
Fotos 1,3 und 4: Apostel Paulus war über Jahrhunderte hinweg ein beliebtes Motiv vieler Ikonen. Fotos Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Auch Paulus wurde »entrückt« (Illustration aus einer Bibelhandschrift um 850 n.Chr., künstlerisch umgestaltete Collage). Foto Archiv Walter-Jörg Langbein.
Foto 5: Buchcover von Dr. Zürners wichtigem Buch. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein.
Foto 6: Papyrus 46 mit einigen Versen aus dem 2. Korintherbrief. Foto wiki commons, gemeinfrei
Foto 7: Auch Paulus wurde »entrückt« (Illustration aus einer Bibelhandschrift um 850 n.Chr.) Farblich verändert/ Collage/ Montage
555. »Der Kardinal, der Biologe und der liebe Gott«,
Teil 555 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 06. September 2020
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