Sonntag, 27. Oktober 2019

510. »Als Eva noch eine Göttin war«

Teil 510 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein

>> Buch »Als Eva noch eine Göttin war« jetzt bei amazon bestellen >>

Foto 1: »Als Eva noch eine Göttin war«. –
Erfolgstitel von Walter-Jörg Langbein
Die Geschichte von Adam und Eva ist die bekannteste der Bibel überhaupt. Auch der Koran kennt Adam. Im Koran werden die Menschen »Kinder Adams« genannt. In der Sure Al-Isra‘ (1) lesen wir: »Und wir waren gegen die Kinder Adams huldreich und haben bewirkt, dass sie auf dem Festland (von Reittieren) und auf dem Meer (von Schiffen) getragen werden, (haben) ihnen (allerlei) gute Dinge beschert und sie vor vielen von denen, die wir (sonst noch) erschaffen haben, sichtlich ausgezeichnet.«

Altes Testament und Koran bieten ganz ähnliche »Urgeschichte« der Menschheit, es gibt aber einen wesentlichen Unterschied. Der Gott des Alten Testaments setzt Adam als Gärtner ins Paradies. Der Adam des Korans freilich spielt eine sehr viel dominantere Rolle als sein jüdisches Pendant. Der Gott des Korans verkündet den Engeln vor der Erschaffung Adams, dass er den ersten Menschen als »chalīfa« einsetzen werde. Während meines Studiums der evangelischen Theologie in Erlangen, aber auch in Göttingen, hatte ich immer wieder Gelegenheit, mich mit Muslimen über die Problematik der richtigen Übersetzung des Korans zu unterhalten. Ein konkretes Beispiel: Adam bekommt von Allah die Position eines »chalīfa«. Wie aber übersetzt man »chalīfa« ins Deutsche? Ein »chalīfa« ist im Arabischen gewöhnlich ein »Stellvertreter« oder »Nachfolger«. Beide Ausdrücke tauchen in unterschiedlichen Übersetzungen auf. Rudi Paret (*1901; †1983)  formuliert es so (2): »

Ich werde auf der Erde einen Nachfolger einsetzen!« Die angeblich wortgetreue Übersetzung von Dr. Ullmann bietet an (3): »Ich will auf Erden einen Statthalter setzen.« Was also war Adam? »Nachfolger« oder »Statthalter«? Ich bin versucht, den Adam des Korans als eine Art »Papst« zu sehen, als »Stellvertreter« Gottes auf Erden. Diese hohe Stellung Adams in der Schöpfung nach dem Verständnis des Korans erklärt die Dominanz des Mannes im Weltbild der Muslime.

Die Engel sind von dieser Idee ganz und gar nicht begeistert und warnen Gott (3): »Willst du auf ihr (auf der Erde) jemand einsetzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergießt … ?« Offensichtlich lässt such Allah nicht von seinem Vorhaben abbringen und schlägt die mahnenden Worte der Engel in den Wind.  Betrachtet man die Weltgeschichte bis in die Gegenwart, so kann man nur konstatieren, dass sich die Prophezeiung der Engel bewahrheitet hat. Der Mensch richtet auf Erden in der Tat Unheil an und vergießt Blut.

Foto 2: Adam nach Albrecht Dürer. 
Briefmarke Vereinigte Arabische Emirate
(1971)
Im Alten Testament (4) wie im Koran (5) darf Adam die Tiere benennen. Mit dem Beim-Namen-Nennen erhält Adam, das ist eine uralte magische Vorstellung, Macht. Diese magische Vorstellung findet sich noch im Märchen von Rumpelstilzchen, der seine Macht verliert, sobald man ihn beim Namen nennt.

Im Koran benennt Adam nicht nur alle Dinge, er ruft auch die Engel, so wie von Gott befohlen beim Namen (6): »Er (Gott) sprach: ›O Adam, nenne ihnen ihre Namen!‹« Somit steht Adam über den Engeln, die sich, wieder auf Geheiß Gottes, vor Adam zu Boden werfen müssen. Das tun alle Engel, mit Ausnahme des hochmütigen Iblis. Iblis will Allah beweisen, dass die Menschen unwürdig sind, so dass man von ihm nicht erwarten kann, sich demütig vor den Menschen zu Boden zu werfen. Allah willigt ein und Iblis darf bis zum Jüngsten Tag versuchen zu beweisen, dass der Mensch unwürdig ist (7).

Die Geschichte von Adam und Eva ist die bekannteste der Bibel überhaupt. Auch der Koran kennt Adam. Im Koran werden die Menschen »Kinder Adams« genannt. Im Alten Testament wie im Koran wird Adam von Gott geschaffen. Freilich sind Adam und Eva sehr viel älter als der Koran und das Alte Testament. Nehmen wir die Spur auf!

Adam erhebt sich im Alten Testament über Eva. So wie er alle Tiere benennt und so Macht über sie erhält, so benennt er auch seine Frau (8): »Und er rief, Adam, einen Namen seiner Frau: Chawa, denn sie wurde die Mutter aller Lebenden.«

Foto 3:
Eva nach Albrecht Dürer.
Wirklich verständlich ist diese Erklärung für den Bibelleser nicht. Es drängt sich doch die Frage auf, wieso Adam seine Frau »Eva« genannt haben soll,  weil sie »die Mutter aller, die da leben« wurde. Der deutsche Text gibt keine Erklärung.

Die »Hoffnung für Alle«-Ausgabe der Bibel versucht dem Laien den Zusammenhang zu verdeutlichen, indem eine »Übersetzung« von »Eva« angeboten und in Klammern eingefügt wird: »Adam gab seiner Frau den Namen Eva (›Leben‹), denn sie sollte die Stammmutter aller Menschen werden.«

»Eva«, so meint der Laie verstehen zu müssen, heißt also Leben. Und weil Eva die »Stammmutter aller Menschen« wurde, nannte ihr Mann Adam sie in prophetischer Weitsicht »Eva«, eben »Leben«.
Die Brisanz des Originaltextes geht allerdings in sämtlichen Übersetzungen verloren. Im hebräischen Original steht nämlich, wortwörtlich ins Deutsche übertragen: »Und der Mann nannte seine Frau Eva, denn sie war die Mutter aller lebenden Dinge/ alles Lebendigen.« Im Originaltext ist Eva nicht nur Stammmutter aller künftigen Menschen, sondern alles Lebendigen. Dazu gehören nach uralter Vorstellung die Pflanzen, die Tiere, die Menschen – und die Götter. Eva erhält also ihren Namen, weil sie als wirkliche Urmutter von Tieren, Menschen und Göttern und nicht nur von den Menschen angesehen wurde!

Was vordergründig als eine sprachwissenschaftliche Haarspalterei erscheinen mag, birgt geradezu die Brisanz eines Sakrilegs: Eva war demnach weit mehr als die erste Frau und Mutter aller Menschen, die nach ihr lebten. Sie war die »Mutter alles Lebendigen«. Sie trug damit einen uralten Ehrentitel, den es schon im Sumerischen gab, lange bevor die Bibel geschrieben wurde. »Eva« entspricht der sumerischen Göttin »nin.ti«. »Nin.ti« wurde nicht nur »Herrin des Lebens«, sondern auch »Herrin der Rippe« genannt. Das sumerische »Herrin der Rippe« lässt sich auch mit »Herrin/ Göttin, die Leben erschafft« übersetzen!

Jetzt erscheint die Aussage der Bibel, dass Eva aus Adams Rippe kreiert wurde, in ganz anderem Licht! Eva, die Urmutter alles Lebendigen, war ursprünglich viel mehr als die erste Frau. Sie war eine Göttin, die alles Leben schuf!

Foto 4:  Eva greift nach dem Apfel,
Fotomontage nach einem Motiv
von Maarten van Heemskerck.

Wie Eva wurde die Göttin Ninhursag (alias »Mami« und »Nintu«) auch »Mutter alles Lebenden« genannt, das allerdings schon Jahrtausende vor Entstehung der Bibel. Göttin Ninhursag trug eine Art Ehrentitel: wahre und große Herrin des Himmels. Klingt das nicht auch nach Maria, Jesu Mutter, genannt die »Gottesmutter«?

Eva ist die zum Menschen degradierte einstige »Göttin der Rippe«, die alles Leben schuf. Sie ist die von den biblischen Theologen entmachtete Göttin Ninhursag der Sumerer, die einst als mächtige Erd- und Muttergottheit angebetet wurde. Als Göttin der Fruchtbarkeit bestimmte sie über das Schicksal der Erde. In Tempel-Hymnen wird sie als »wahre und große Herrin des Himmels« gepriesen.

Foto 5: Eva nach
Lucas Cranach d.Ä.
Professor Isaac M. Kikawada (*1937; †2018) war an der Universität von Berkeley, Kalifornien, Experte für die Urgötter des Nahen Ostens. Er veröffentliche die fundierten theologische Bücher »Jesus in the Gospels« (Jesus in den Evangelien) und »Before Abraham was« (Bevor es Abraham gab). Übersetzungen ins Deutsche liegen leider nicht vor. Wirklich brisant sind seine Forschungsergebnisse über Eva, die er im »Journal of Biblical Literature« veröffentlichte. Damit hätte er weltweit heftigste Diskussionen auslösen müssen. Aber anscheinend nimmt man in der »wissenschaftlichen Theologie« kontroverse Meinungen offiziell überhaupt nicht zur Kenntnis, auch dann nicht, wenn sie aus seriöser Quelle stammen. Prof. Isaac Kikawada identifizierte Eva als die Göttin Mami, als die »Herrin aller Götter«.

In der Welt des Vorderen Orients gab es eine Vielzahl von Göttinnen. Genauer gesagt: Es sind unzählige Namen von Göttinnen überliefert, die eine ganz besonders große Rolle in den Glaubenswelten der Menschen gespielt haben müssen. Verfolgen wir die Spur der Göttinnen zurück in die graue Vorzeit! Rasch erkennen wir, dass sie alle einen gemeinsamen Ursprung haben. Am Anfang war nicht der männliche Schöpfergott. Am Anfang war nicht der männliche Urheber allen Seins, sondern die Göttin. Vielfältig wie die unterschiedlichen Namen der Göttinnen, scheinen auchdie ältesten Überlieferungen über den Ursprung allen Seins zu sein.

Foto 6:
Die legendäre
sumerische Göttin
Ninhursag.
Der Schein aber trügt, wie der Anthropologe, Orientalist und Bibelforscher Raphael Patai (*1910; †1996), feststellt (9): »Die ältesten Antworten auf die berühmte Frage nach dem Woher wiederholen immer wieder in mannigfaltiger Form die gleiche Idee: Es war der Körper der Urgöttin, aus dem entweder das Weltenei erschien oder aus dem die Erde geboren wurde. Oder es war der Körper der Göttin selbst, aus dessen Materie die Erde geformt wurde. So beginnen die ältesten Kosmologien mit der Urgöttin.« Schon 1930 kam der Theologe Wilhelm Schmidt (*1868; †1954) in seinem Werk  »Ursprung und Werden der Religion« zur Erkenntnis, dass uralte Kulturen das höchste Wesen häufig als Göttin sahen. Schmidt, ein deutsch-österreichischer römisch-katholischer Priester, Religionswissenschaftler, Sprachwissenschaftler und Ethnologe, war weltweit geachteter Theologe im besten Sinne des Wortes. Er blickte weit über den Tellerrand der eigenen Konfession hinaus.

Die »Urgöttin« Eva, die »Mutter alles Lebenden« wurde mit »Mutter Erde« gleichgesetzt. Im biblischen Buch Hiob (10) wird versteckt noch an das Bild von »Mutter Erde« erinnert: »Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter; nackt kehre ich dahin zurück.« Zunächst denkt man an die menschliche Mutter, die das nackte Baby gebiert. Doch im zweiten Teil des Satzes ist vom Tod die Rede: Als nackter Leichnam kehrt der Tote nicht in den Leib seiner irdischen Mutter, sondern in den »Leib« der Erde zurück. Der Tote wird im Erdreich bestattet. Die Erde wird ganz klar als »Schoß der Mutter« bezeichnet, in den der Mensch zurückkehrt. Die verborgene Botschaft lautet also: Mutter Erde hat den Menschen geboren und nimmt ihn nach seinem Tode wieder auf. Sollte man gar einen Schritt weiter gehen können? Spielt der Hiob-Satz auf die Lehre von der Wiedergeburt an: Der Mensch wird geboren, stirbt, aber um wieder geboren zu werden?

Zur vertiefenden Lektüre empfohlen…
Walter-Jörg Langbein: »Als Eva noch eine Göttin war: Die Wiederentdeckung des Weiblichen in der Bibel – Verborgenes Wissen in biblischen Schriften, verbotenen Büchern und sakralen Kunstwerken«, Groß-Geruau 2015; >> amazon

Foto 7: »Als Eva noch eine Göttin war«. –
Erfolgstitel von Walter-Jörg Langbein

Fußnoten
(1) Übersetzung von Paret, Rudi: »Der Koran/ deutsche Übersetzung«, Stuttgart 1979, 2. Auflage, eBook-Version
Sure 30, Vers 70
(2) Ebenda, Sure 2, Vers 30
(3) »Der Koran/ Aus dem Arabischen wortgetreu übersetzt und mit erläuternden Anmerkungen versehen von Dr. L. Ullmann«, Paderborn, ohne Jahresangabe, Seite 21, 9.+10. Zeile von unten
(4) 1. Buch Mose Kapitel 2, Vers 18
(5) 2. Sure, Vers 31. Im Koran darf Adam nicht nur die Tiere, sondern alles, alle Dinge, benennen.
(6) 2. Sure, Vers 32
(7) 38. Sure, Verse 79+80
(8) 1. Buch Mose, Kapitel 3, Vers 20, in meiner wortwörtlichen Übersetzung aus dem Hebräischen.
(9) Patai, Raphael: »The Hebrew Goddess«, 3., erweiterte Auflage, Detroit,
Michigan, USA, 1990
(10) Hiob, Kapitel 1, Vers 21

Zu den Fotos
Foto 1: »Als Eva noch eine Göttin war«. – Erfolgstitel von Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Adam nach Albrecht Dürer.  Briefmarke Vereinigte Arabische Emirate 1971. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Eva nach Albrecht Dürer. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 4:  Eva greift nach dem Apfel, Fotomontage nach einem Motiv von Maarten van Heemskerck. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Eva nach Lucas Cranach d.Ä. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Die legendäre sumerische Göttin Ninhursag. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 7: »Als Eva noch eine Göttin war«. – Erfolgstitel von Walter-Jörg Langbein



511. »Als Adammu vom Himmel stieg«,
Teil 511 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 3. November 2019



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Sonntag, 20. Oktober 2019

509. »Vom ›Menschwesen‹ und seiner Frau«

Teil 509 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Prophet Jeremia
(Altar der Marktkirche Hannover). 
Für den gläubigen Christen galt viele Jahrhunderte lang: Die Bibel ist Gottes Wort. Für ihn sprach Gott aus der Bibel. Und so befiel ihn geradezu ängstliche Scheu, wenn er im Buch der Bücher bei Jeremia las (1): »Das Wort Gottes geschah zu mir..« Ist die Bibel das Wort Gottes? Ist Gott der »Autor« der Bibel? Angesichts zahlreichen offensichtlicher Fehler, die in den Schriften des »Alten Testaments« wie des »Neuen Testaments« zu finden sind, fällt es schwer, das zu glauben (2). Denn müsste nicht das Wort Gottes makellos und fehlerfrei sein?

 Wo in heutigen Übersetzungen von »Wort Gottes« steht, findet sich im Hebräischen DABAR (דָּבָר(, was so viel heißt wie »Sache Gottes«, »Anliegen Gottes«, »Angelegenheit Gottes«. Daraus wurde in der griechischen Übersetzung »LOGOS«, »Rede«, »Aussage« etwa. Und »logos« wurde in der lateinischen Übersetzung mit »verbum dei« festgemacht...mit dem »Wort Gottes«. So wurde also aus dem recht allgemeinen »Angelegenheit/ Sache Gottes« das »Wort Gottes«.

Wenn also die ursprünglichen Texte des Alten Testaments gar nicht behaupten, das Wort Gottes, von Gott sozusagen diktiert, zu sein, sind Widersprüche möglich. Die Bibel ist nicht die Rede Gottes an uns Menschen, sie ist menschliches Reden, auch über Gott. Und Menschen machen nun einmal Fehler. Fehler haben sich in den Text der Bibel eingeschlichen.

Ein Studium der Originaltexte ergibt: Zahlreiche Fehler der Bibel basieren auf eindeutigen Übersetzungsfehlern (3). Dann gibt es noch Unstimmigkeiten innerhalb der Texte. Offensichtlich wurden verschiedene Textpassagen verschiedener Autoren zusammengefügt, die voneinander abweichen. Wieso wird im 3. Buch Mose so getan, als habe Gott Adam und Eva verboten (4), »von den Früchten des Baumes mitten im Garten« zu essen? Wieso wird so getan, als habe Gott dem Adam und der Eva befohlen (5) »Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!«?

Foto 2: Adam, Eva und die Schlange als
Briefmarkenmotiv (Vereinigte Arabische Emirate)

Fakt ist: Das berühmte göttliche Verbot bekam nur Adam zu hören, Eva hat zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existiert. So kann Gott nur gegenüber Adam das bekannteste Verbot des »Alten Testaments« verhängen! Und nur für Adam wird die angedrohte Strafe, falls er das göttliche Verbot nicht befolgt, fällig. Wieso wird dann auch Eva bestraft?

Adam isst von der verbotenen Frucht. Aber er wird nicht, wie angedroht, vom Tod dahingerafft! Dabei hatte doch Gott ausdrücklich angekündigt, Adam würde an dem Tag, an dem er von den verbotenen Früchten isst, sterben (6):

Foto 3: Erschaffung Evas
aus dem »Menschwesen«.
Schedelsche Weltchronik 1493
»Aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben.« Listenreiche Fundamentalisten haben eine »Erklärung« parat: Im Paradies waren Adam und Eva unsterblich. Erst nach dem Verzehr der verbotenen Frucht wurden sie sterblich. Gott habe nicht den sofortigen Tod, sondern das Ende der Unsterblichkeit für den Fall, dass sein Gebot nicht befolgt wird, angedroht.

Listenreich löst auch die umstrittene »Bibel in gerechter Sprache« (7) das offenkundige Problem. Adam soll jetzt plötzlich nicht gleich am Tag der Sünde sterben, er verliert nur seine Unsterblichkeit (8): »An dem Tag, an dem du von ihm isst, bist du zum Tode verurteilt.« Die »Hinrichtung« wird verschoben. Die Bestrafung wird erst später, wann auch immer, erfolgen. Oder anders ausgedrückt: Von nun an hängt der Tod wie ein Damoklesschwert über Adam. Über Adam? Nicht in der »Bibel in gerechter Sprache«! In dieser dem Genderwahn anheimgefallenen »Übersetzung« verschwindet Adam plötzlich aus dem Text und wird durch das geschlechtsneutrale »Menschenwesen« ersetzt! Der hebräische Text lässt keinen Zweifel aufkommen: Gott setzte den Mann Adam in den Garten Eden. In der »Bibel in gerechter Sprache« heißt es plötzlich (9): »Adonaj, also Gott, nahm das Menschenwesen und brachte es in den Garten Eden.«

Foto 4: Adam und Eva nach Lucas Cranach.
Briefmarke der Vereinigten Arabischen Emirate.
Das aber steht nicht im biblischen Text. Es ist eben nicht von einem geschlechtsneutralen »Menschenwesen« die Rede, sondern vom Mann Adam, und der ist eindeutig männlich. Adam wird nicht nur die Todesstrafe angedroht. Da heißt es ausdrücklich (10):

»An dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben.« Der »Sündenfall« würde dem Übertreter des göttlichen Gebots am Tag der Übertretung den Tod bescheren. Dieses Schicksal blieb aber Adam und Eva erspart!

Aus dem »Menschenwesen« wird in der »Bibel in gerechter Sprache« wenige Verse später dann doch der offensichtlich männliche »Mensch«. Gott fabriziert die Tiere des Feldes aus Ackererde und brachte sie zum Menschen. Schließlich wird das »Menschenwesen« narkotisiert, eine Rippe wird ihm entnommen und daraus fertigt Gott die Eva. Wie »Bibel in gerechter Sprache« diesen Sachverhalt schildert, das ist schon mehr als nur skurril (11):

»Dann formte Adonaj, also Gott, die Seite, die sie dem Menschenwesen entnommen hatte, zu einer Frau, und brachte sie zu Adam, dem Rest des Menschenwesens.«

Auch den Autorinnen der »Bibel in gerechter Sprache« ist offensichtlich bekannt, dass nur ein Mann mit einer Frau Kinder zeugen kann. Deshalb genehmigen sie notgedrungen dem geschlechtsneutralen »Menschenwesen« auch eine männliche Seite (12): »Da sagte der Mensch als Mann…« Innerhalb weniger Verse wird aus dem »Menschenwesen« der Mann. Die Schlange verleitet Eva zum Biss in die verbotene Frucht und Eva bringt den Mann und nicht das »Menschenwesen« Adam dazu, ebenfalls gegen das göttliche Verbot zu verstoßen.

Foto 5: Adam, Eva und der Engel
mit dem Flammenschwert.
Schedelsche Weltchronik 1493
Adam und Eva werden aus dem Paradies geworfen. Der Engel mit dem Flammenschwert wird als Wachposten aufgestellt. Er soll verhindern, dass Adam und Eva ins Paradies zurückkehren. Adam musste, als er noch allein war und im Paradies leben durfte, als Gärtner arbeiten. Ein Schlaraffenland für Faulpelze war das Paradies also offenbar nicht (13): » Und er, Jahwe, Elohim, nahm den Adam und er setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bearbeite und bewache.« Außerhalb des Paradieses muss Adam wieder arbeiten, jetzt aber als Bauer (14): »Und er schickte ihn weg, Jahwe, weg aus dem Garten Eden zu bearbeiten den Acker, von welchem er genommen war.« Welche Arbeit wohl schwerer war, die als Gärtner im Paradies oder die als Bauer außerhalb des Paradieses?

Was mich schon immer gewundert hat: Gott versetzte Adam in eine Art Narkose, entfernte eine Rippe aus seinem Leib und machte daraus Eva, Adams Frau. Als Adam aus der »Narkose« erwacht, hat er plötzlich Eva als Gefährtin. Adam wundert sich offenbar überhaupt nicht, woher diese Frau gekommen ist. Eva ist plötzlich da und Adam scheint im Paradies nichts mit ihr anfangen zu können. Ja er bemerkt nicht einmal, dass sie, wie er selbst, nackt ist. Von Intimitäten zwischen Adam und Eva im Paradies weiß jedenfalls das »Alte Testament« nichts. Erst nachdem beide das Paradies verlassen haben, kommt es zu jenen Intimitäten, die in unseren Übersetzungen schamhaft umschrieben werden. Da zeugt Adam mit Eva keinen Nachwuchs, er »erkennt« seine Frau. Zunächst meine wörtliche Übersetzung (15):

»Und er, Adam, erkannte Chawa (Eva), seine Frau und sie empfing und sie gebar den Kajin und sie sprach: ich habe hervorgebracht einen Mann mit (Hilfe) Jahwe(s). Und sie fuhr fort zu gebären: seinen Bruder, den Habäl (Abel) und der Habäl, er war ein Hirte von Kleinvieh und Kajin, er war bearbeitend den Acker.«

Foto 6: »Menschwesen« Adam
bestellt das Feld,
Eva gibt einem ihrer Kinder die Brust.
In der Luther-Bibel von 2017 lesen wir die beiden Verse in folgender Übersetzung: »Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mithilfe des HERRN. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann.«

Noch einmal sei »Bibel in gerechter Sprache« zitiert, die den ersten Vers von Kapitel 4 des Ersten Buches Mose so übersetzt (16): »Dann erkannte der Mensch als Mann die Eva, seine Frau; sie wurde schwanger, gebar den Kain und sprach: ›Ich hab’s gekonnt, einen Mann erworben – mit Adonaj.‹«

In keiner Übersetzung wird näher erläutert, in welcher Form Gott, der Herr, bei Zeugung und Geburt der beiden Kinder Kain und Abel geholfen hat. Und was meinte Eva, als sie erklärte, sie habe mit Sohn Kain »einen Mann gewonnen mithilfe des HERRN«?

Die »Bibel in gerechter Sprache« verwirrt mehr als dass sie aufklärt, wenn sie Eva so »zitiert«: »Ich hab’s gekonnt, einen Mann erworben – mit Adonaj.« Welche Rolle spielte Gott dabei? Man könnte die »Bibel in gerechter Sprache« so missverstehen, als sei Adonaj (Gott) zumindest der Vater von Kain.

Es klingt bei Luther seltsam, wenn Eva erklärt, sie habe mit Gottes Hilfe »einen Mann gewonnen«? Ob einer der unbekannten Genesis-Autoren auf diese Weise sehr diskret auf eine inzestuöse Verbindung hinweisen wollte? Irgendwoher müssen doch die Frauen gekommen sein, die von den Söhnen Adam und Evas »erkannt« wurden!


Foto 7:  Adam, Eva und die Schlange
nach Maderuelo. Briefmarke,
Vereinigte Arabische Emirate 1971
Fußnoten
(1) Jeremia, Kapitel 1, Vers 4 in der Bibelausgabe »Luther 2017«
(2) Langbein, Walter-Jörg: »Lexikon der biblischen Irrtümer – Von A wie Auferstehung Christi bis Z wie Zeugen Jehovas«,  Hardcover, Langen Müller, München 2003
Langbein, Walter-Jörg: »Lexikon der Irrtümer des Neuen Testaments – Von A wie Apokalypse bis Z wie Zölibat«, Hardcover, Langen Müller, München  August 2004
(3) Die beiden Lexika sind leider vergriffen, aber noch antiquarisch erhältlich. Für das Auffinden von antiquarischen Büchern ist eine Metasuchmaschine sehr hilfreich: https://buchhai.de/
(4) 1. Buch Mose, Kapitel 3, Vers 3
(5) Ebenda
(6) 1. Buch Mose, Kapitel 2, Vers 17
(7) »Bibel in gerechter Sprache«, Gütersloh, 2. Auflage 2006
(8) Ebenda, Seite 33, 10.+11. Zeile von unten
(9) Ebenda, 14.+15. Zeile von unten (1. Buch Mose Kapitel 2, Vers 15)
(10) 1. Mose, Kapitel 2, Vers 18 (»Luther-Bibel« 2017)
(11) 1. Buch Mose, Kapitel 2, Vers 22 in der Übersetzung der »Bibel in gerechter Sprache«, Gütersloh, 2. Auflage 2006, Seite 34, 2.-4. Zeile von oben
(12) Ebenda, 1. Buch Mose, Kapitel 2, Vers 23
(13) 1. Buch Mose, Kapitel 2, Vers 15
(14) 1. Buch Mose, Kapitel 3, Vers 23
(15) 1. Buch Mose, Kapitel 4, Verse 1 und Vers 2
(16) »Bibel in gerechter Sprache«, Gütersloh, 2. Auflage 2006, Seite 35, 5.-7. Zeile von unten

Zu den Fotos
Foto 8: Adam, Eva und die Schlange
nach Hugo van der Goes.
Briefmarke, Vereinigte Arabische
Emirate 1971
Foto 1: Prophet Jeremia (Altar der Marktkirche Hannover). Foto Walter-Jörg Langbein 
Foto 2: Adam, Eva und die Schlange als Briefmarkenmotiv (Vereinigte Arabische Emirate).  
Foto Archiv Walter-Jörg Langbein (Gemälde: Michelangelo)
Foto 3: Erschaffung Evas aus dem »Menschwesen«. Schedelsche Weltchronik 1493. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Adam und Eva nach Lucas Cranach. Briefmarke der Vereinigten Arabischen Emirate.  
Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Adam, Eva und der Engel mit dem Flammenschwert. Schedelsche Weltchronik 1493. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 6: »Menschwesen« Adam bestellt das Feld, Eva gibt einem ihrer Kinder die Brust. Schedelsche Weltchronik 1493. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein 
Foto 7:  Adam, Eva, Schlange nach Maderuelo. Briefmarke, Vereinigte Arabische Emirate 1971. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein 
Foto 8: Adam, Eva, Schlange nach Hugo van der Goes. Briefmarke, Vereinigte Arabische Emirate 1971. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein  

510. »Als Eva noch eine Göttin war«,
Teil 510 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 27. Oktober 2019



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