Walter-Jörg Langbein
Teil 6 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
In Indien scheint es besonders viele Orte gegeben zu haben, an denen sich Himmlische einst den Menschen zeigten. Wo Menschen und Götter miteinander kommunizierten, wo regelmäßig die Götter erschienen und den Menschen Befehle oder Ratschläge erteilten, dort wurden Häuser der Begegnung errichtet, zur Erinnerung an die Geschehnisse von einst. Zunächst mögen nur bescheidene Hütten an die mysteriösen Ereignisse erinnert haben. Mit dem Heranwachsen der religiösen Kulte wuchsen auch die sakralen Bauten.
Tempel wurden errichtet, oft mit einem heute kaum noch nachvollziehbaren Aufwand. Oftmals wurden gigantische Materialmassen bewegt und mit angeblich primitiven Mitteln zu Wunderwerken der Bautechnik aufgetürmt. Wichtig ist dabei nicht so sehr das steinerne Gebäude, sondern der Ort, an dem es steht.
Wird ein Tempel baufällig, wird er untersucht und – falls möglich – renoviert. Sind die Schäden aber nicht mehr zu reparieren, dann wird der Tempel abgetragen. An gleicher Stelle wird dann ein neuer errichtet. Ähnliches geschah im christlichen Europa: Wo einst heidnische Kulte zelebriert wurden, hat man später Kirchen und Kathedralen gebaut. Die ursprüngliche Bedeutung der heiligen Orte wurde weitestgehend verdrängt.
Für die Altersbestimmung eines Ortes der Verehrung ist es also nicht ausschlaggebend, wann das jeweils aktuelle Tempelgebäude errichtet wurde, sondern wann der erste Tempel an der heiligen Stätte gebaut wurde. Das aber lässt sich in der Regel nicht mehr feststellen.
Wichtig ist: Es handelt es sich bei letztlich allen wichtigen indischen Tempeln stets um Kopien von Kopien von Kopien – und niemand vermag zu sagen, wann denn das jeweilige Original gebaut wurde.
Verschiedene »Erklärungen« werden angeboten, die alle nicht so recht überzeugen. Man habe eine komplizierte Holzkonstruktion errichtet, meinen die einen Theoretiker, eine mindestens 6.000 Meter lange Rampe, auf der der Steinkoloss von 80 Tonnen Gewicht mit Hilfe zahlloser Arbeitskräfte und Elefanten geschoben und gezerrt wurde. Andere »Erklärer« lehnen diese Überlegung ab. Eine Holzkonstruktion habe niemals die enorme Last tragen können. Man habe vielmehr den gesamten Tempel nebst Turm unter einem künstlich aufgeschütteten Riesenhügel verschwinden lassen, dann den Vimana-Stein auf einer ebenso aus Erde aufgeschütteten Rampe gen Himmel geschoben und schließlich wieder die Erdmassen abgetragen. Wie nun besagte Rampe ausgesehen haben soll, selbst darüber streiten sich die Gelehrten. War sie gerade und viele Kilometer lang ? Oder wurde sie spiralförmig um den Hügel, der den Tempel in der Bauphase umgab, angelegt ?
So ein Erdberg hätte die Tempelbauer vor schier unlösbare Probleme gestellt. Er müsste nicht nur gewaltige Ausmaße gehabt haben, sondern auch irgendwie befestigt worden sein, damit nichts beim Transport des Riesensteins abrutschte. Vor Ort löst diese Hypothese nur Kopfschütteln aus. Nie und nimmer hätte man einen heiligen Tempel, den man nur mit bloßen Füßen betreten darf, unter einem schmutzigen Erdberg verschwinden lassen, auch nicht vorübergehend. Eine solche Vorgehensweise wäre mit der Würde des heiligen Bauwerks in keiner Weise vereinbar gewesen.
Eine dritte Hypothese geht von einer gewaltigen Holzkonstruktion aus, die in massiv angelegten Stufen aufgebaut worden sein soll. Die gewaltige Last musste nach dieser Theorie nicht in einem Anlauf angehoben werden. Vielmehr habe man sie Stück für Stück hochgewuchtet. Von Stockwerk zu Stockwerk habe man mit Hilfe von gewaltigen hölzernen Hebeln und Elefanten die steinerne Last Stockwerk für Stockwerk hochgeschafft. Auch diese Erklärung, die sich nicht einmal auf dem Papier wirklich gut ausmacht, lässt sich praktisch wohl kaum verwirklichen.
Es gibt keinerlei Unterlagen aus der Zeit des Tempelbaus über die Arbeitsweisen der damaligen Baumeister. Immer wieder werden Theorien vorgetragen: aber es sind Spekulationen, für die keine Beweise vorliegen. Immer wieder wird versucht die Methoden der Tempelbaumeister zu erahnen. Doch niemand kann behaupten zu wissen, was geschah... allenfalls was womöglich geschehen ist.
Der gewaltige Steinkoloss hoch oben auf der Tempelpyramide lenkt unseren Blick auf sich. Dabei übersieht man leicht, den Tempelkomplex, der um den alles dominierenden Pyramiden-Turm gebaut wurde. Bis zu eintausend Menschen sollen unmittelbar vom Tempelkult gelebt haben, im Sakralbereich von Brhadisvara allein: Vierhundert Tempel-Tänzerinnen (»devadasis«) und mindestens 600 Angehörige zahlreicher Berufe, vom Steinmetz zum Tempelpriester, vom Händler bis zum Tempeldiener, vom Opferpriester bis zum Maler. Offenbar wurden nicht nur religiöse Zeremonien abgehalten. Offenbar wurden nicht nur den Göttern Opfer gebracht. Offensichtlich wurde die Tempelanlage im Verlauf der vielen Jahrhunderte ständig renoviert, instand gehalten und nach und nach erweitert.
Bedenken wir: Erst um das Jahr 1290 besuchte Marco Polo Indien, von seiner Chinareise zurückkehrend. Noch später, nämlich 1498, drangen portugiesische Handelsleute ins Landesinnere vor. Wann mögen die ersten Europäer in die Region von Brhadisvara gekommen sein? Wir wissen es nicht genau, nur dass zu jener Zeit der mysteriöse Tempel längst gestanden hat!
Warum setzten indische Künstler, deren Namen wir nicht kennen, das Bild eines Europäers an die Tempelpyramide? Und das im zehnten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung, Jahrhunderte bevor der erste Europäer nach Indien kam? Handelt es sich bei dem »Mann mit Hut« um die prophetische Vision eines indischen Künstlers, der auf seine Weise die Ankunft der Europäer in Indien vorhersagte? Stellt die seherische Darstellung den kriegerischen Kampf der Inder dar, die sich gegen die mit Gewalt vorrückenden Europäer zu verteidigen suchten?
»Vimanas, Flugvehikel der Götter«,
Teil 6 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
Es ist eine uralte indische Tradition, Tempel an heiligen Orten zu errichten. Was aber sind »heilige Orte«? Was macht eine Stätte zu etwas Besonderem, religiös Bedeutsamem? »Wo einst Götter vom Himmel zur Erde kamen, dort wurde die Erde geheiligt!« Diese oder eine ähnliche Erklärung hörte ich auf meinen Reisen immer wieder, und nicht nur in Indien. Und dort errichtete man erst kleine Tempelchen, die im Lauf der Jahrhunderte zu gewaltigen Anlagen ausgebaut werden konnten. So entstand auch die weltgrößte Pilgerstätte des Christentums: zu Ehren der Maria von Guadalupe in Mexiko.
In Indien scheint es besonders viele Orte gegeben zu haben, an denen sich Himmlische einst den Menschen zeigten. Wo Menschen und Götter miteinander kommunizierten, wo regelmäßig die Götter erschienen und den Menschen Befehle oder Ratschläge erteilten, dort wurden Häuser der Begegnung errichtet, zur Erinnerung an die Geschehnisse von einst. Zunächst mögen nur bescheidene Hütten an die mysteriösen Ereignisse erinnert haben. Mit dem Heranwachsen der religiösen Kulte wuchsen auch die sakralen Bauten.
Tempel wurden errichtet, oft mit einem heute kaum noch nachvollziehbaren Aufwand. Oftmals wurden gigantische Materialmassen bewegt und mit angeblich primitiven Mitteln zu Wunderwerken der Bautechnik aufgetürmt. Wichtig ist dabei nicht so sehr das steinerne Gebäude, sondern der Ort, an dem es steht.
Wird ein Tempel baufällig, wird er untersucht und – falls möglich – renoviert. Sind die Schäden aber nicht mehr zu reparieren, dann wird der Tempel abgetragen. An gleicher Stelle wird dann ein neuer errichtet. Ähnliches geschah im christlichen Europa: Wo einst heidnische Kulte zelebriert wurden, hat man später Kirchen und Kathedralen gebaut. Die ursprüngliche Bedeutung der heiligen Orte wurde weitestgehend verdrängt.
Für die Altersbestimmung eines Ortes der Verehrung ist es also nicht ausschlaggebend, wann das jeweils aktuelle Tempelgebäude errichtet wurde, sondern wann der erste Tempel an der heiligen Stätte gebaut wurde. Das aber lässt sich in der Regel nicht mehr feststellen.
Wichtig ist: Es handelt es sich bei letztlich allen wichtigen indischen Tempeln stets um Kopien von Kopien von Kopien – und niemand vermag zu sagen, wann denn das jeweilige Original gebaut wurde.
Der Brhadisvaratempel in seiner heutigen Ausführung soll anno 1003 nach einer Bauzeit von nur sieben Jahren errichtet worden sein. Allein schon die steinerne Monsterkugel (Kopie eines Vimana) an der Spitze der Tempelpyramide stellt heutige Bauingenieure vor ein Rätsel: sie wiegt stattliche 80 Tonnen, wurde aus einem einzigen Riesenstein gefertigt. Wie wurde der gewaltige Monolith an seinen Platz in luftiger Höhe gebracht ?
So ein Erdberg hätte die Tempelbauer vor schier unlösbare Probleme gestellt. Er müsste nicht nur gewaltige Ausmaße gehabt haben, sondern auch irgendwie befestigt worden sein, damit nichts beim Transport des Riesensteins abrutschte. Vor Ort löst diese Hypothese nur Kopfschütteln aus. Nie und nimmer hätte man einen heiligen Tempel, den man nur mit bloßen Füßen betreten darf, unter einem schmutzigen Erdberg verschwinden lassen, auch nicht vorübergehend. Eine solche Vorgehensweise wäre mit der Würde des heiligen Bauwerks in keiner Weise vereinbar gewesen.
Eine dritte Hypothese geht von einer gewaltigen Holzkonstruktion aus, die in massiv angelegten Stufen aufgebaut worden sein soll. Die gewaltige Last musste nach dieser Theorie nicht in einem Anlauf angehoben werden. Vielmehr habe man sie Stück für Stück hochgewuchtet. Von Stockwerk zu Stockwerk habe man mit Hilfe von gewaltigen hölzernen Hebeln und Elefanten die steinerne Last Stockwerk für Stockwerk hochgeschafft. Auch diese Erklärung, die sich nicht einmal auf dem Papier wirklich gut ausmacht, lässt sich praktisch wohl kaum verwirklichen.
Es gibt keinerlei Unterlagen aus der Zeit des Tempelbaus über die Arbeitsweisen der damaligen Baumeister. Immer wieder werden Theorien vorgetragen: aber es sind Spekulationen, für die keine Beweise vorliegen. Immer wieder wird versucht die Methoden der Tempelbaumeister zu erahnen. Doch niemand kann behaupten zu wissen, was geschah... allenfalls was womöglich geschehen ist.
Der gewaltige Steinkoloss hoch oben auf der Tempelpyramide lenkt unseren Blick auf sich. Dabei übersieht man leicht, den Tempelkomplex, der um den alles dominierenden Pyramiden-Turm gebaut wurde. Bis zu eintausend Menschen sollen unmittelbar vom Tempelkult gelebt haben, im Sakralbereich von Brhadisvara allein: Vierhundert Tempel-Tänzerinnen (»devadasis«) und mindestens 600 Angehörige zahlreicher Berufe, vom Steinmetz zum Tempelpriester, vom Händler bis zum Tempeldiener, vom Opferpriester bis zum Maler. Offenbar wurden nicht nur religiöse Zeremonien abgehalten. Offenbar wurden nicht nur den Göttern Opfer gebracht. Offensichtlich wurde die Tempelanlage im Verlauf der vielen Jahrhunderte ständig renoviert, instand gehalten und nach und nach erweitert.
Einst pulsierte der Komplex von Brhadisvara wie eine Miniaturstadt von Leben. Die ehrfürchtige Stille christlicher Kirchen gibt es erst seitdem Brhadisvara zu einer leeren Hülle wurde, die den einstigen Glanz kaum noch erahnen lässt. Wie ein kupferner Turm überragt die steile Tempelpyramide den Komplex, vom Licht der morgendlichen oder abendlichen Sonne verzaubert. Man bräuchte Zeit, sehr viel Zeit. Dann könnte man diesen gewaltigen Tempelturm vielleicht wie ein Buch lesen. Aus der Distanz beeindruckt die gewaltige »Kugel« an der Spitze, auf der der 80-Tonnen-Koloss zu schweben scheint. Die steinerne Nadelspitze darunter ist eine Art Bilderbuch in Stein. Sechzehn Stockwerke bestehen jeweils aus einer vom Boden aus kaum zu erkennenden Fülle Hunderter Figürchen. Hunderte reliefartig dargestellter kleiner Tempelchen verzieren jeden einzelnen Reliefkranz. Und jedes dieser Tempelchen stellt ein Flugvehikel der Götter dar. Steigt da eine ganze Armada von Flugvehikeln gen Himmel?
Die eigentliche Sensation wird meistens übersehen und von Touristenführern verschwiegen: mitten in diesem Gewimmel von halbplastischen Götterdarstellungen, von mächtigen irdischen Heroen und unzähligen kleinen Tempelchen... ist eine fremdartige Darstellung versteckt. Man übersieht sie wirklich leicht in luftiger Höhe... zwischen den vielen Darstellungen von Opfergaben und Spenden für die Götter. Zeigen uns viele der kunstvoll gearbeiteten Halbreliefs Lobpreisungen des Herrschers, der den gewaltigen Bau ermöglichte? Und zwischendrin erkennt man, bei konzentrierter Aufmerksamkeit, einen Europäer in Hut und Anzug. Rechts und links wird er von zwei Kämpfern flankiert. Diese beiden Krieger sind mit Schwert und Schild bewaffnet. Sie halten ihre martialischen Attribute mit spielerischer Eleganz. Geradezu tänzerisch scheinen sie so etwas wie ein seltsames Ballett aufzuführen, annähernd spiegelbildlich zueinander. Dank meines 300-Millimeter-Teleobjektivs konnte ich die mysteriöse Darstellung im Bild festhalten.
Bedenken wir: Erst um das Jahr 1290 besuchte Marco Polo Indien, von seiner Chinareise zurückkehrend. Noch später, nämlich 1498, drangen portugiesische Handelsleute ins Landesinnere vor. Wann mögen die ersten Europäer in die Region von Brhadisvara gekommen sein? Wir wissen es nicht genau, nur dass zu jener Zeit der mysteriöse Tempel längst gestanden hat!
Warum setzten indische Künstler, deren Namen wir nicht kennen, das Bild eines Europäers an die Tempelpyramide? Und das im zehnten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung, Jahrhunderte bevor der erste Europäer nach Indien kam? Handelt es sich bei dem »Mann mit Hut« um die prophetische Vision eines indischen Künstlers, der auf seine Weise die Ankunft der Europäer in Indien vorhersagte? Stellt die seherische Darstellung den kriegerischen Kampf der Inder dar, die sich gegen die mit Gewalt vorrückenden Europäer zu verteidigen suchten?
»Vimanas, Flugvehikel der Götter«,
Teil 7 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
Interessant, interessanter, Walter-Jörg Langbein.
AntwortenLöschenEs ist immer wieder ein Genuß deine Beiträge zu verfolgen. Lehrreich und zugleich nicht belehrend. Super! Weiter so!
LG
Sylvia