Mehrere Generationen können einen direkten Bezug zu diesem einzigartigen Baum herstellen, jeder kann seine ganz eigenen Geschichten zu der herrlichen Weide erzählen.
Gestern nun wurde auch dieses Relikt meiner Kindheit abgeholzt, wie in den Jahren zuvor viele Bäume in unserer Wohnanlage den Sägen zum Opfer fielen. Beschwerden der Anwohner halfen nichts, wir wurden vertröstet, neue Bäume sollten im Ersatz für alte, große, prachtvolle Wesen gepflanzt werden. Doch auch darauf warten wir bisher vergebens.
Es brach mir fast das Herz, als ich das letzte Aufbäumen dieses stolzen Baumes vernahm, ehe seine Krone den Sägen anheimfiel und sich mit einem lauten und vernehmlichen Ächzen von seinem Stamm trennt und zu Boden fiel. Sogar in diesem Moment verfügte dieser herrliche Baum über eine Anmut, die ihresgleichen sucht. Trotzdem war es beinahe spürbar, wie er sein Leben aushauchte, der leise Vorwurf an seine Mörder im klagenden Knacken des Gehölzes.
Stück für Stück holzten sie den Stamm ab, ein unvergleichliches Geschöpf wurde vernichtet. Auf den Ersatz werden wir lange warten müssen. Ich werde es wohl nicht mehr erleben, dass sein möglicher Nachfolger die gleiche prächtige Krone entwickelt, seine Zweige bis auf den Boden hinabwachsen und sich neue Generationen an dem stolzen Gewächs erfreuen. Falls überhaupt jemals ein Ersatzbäumchen seinen Weg in die Erde findet, sich dort verankert und die gleiche kraftvolle Ausstrahlung entwickelt.
Nun liegt eine verödete Anlage vor unserem Fenster, veranlasst mich dazu die Vorhänge vorzuziehen, um nicht mit dem traurigen Anblick konfrontiert zu werden.
Da predigen unsere Politiker den Umweltschutz, verlangen uns jegliche Form von Naturschutz ab und schützen im Gegenzug nicht einmal einen alten Baum, der soviel vom Menschen verunreinigte Luft für uns reinigt. Damit nicht genug geht die Abholzaktion noch am selben Tag ungehindert weiter. Mehrere Bäume fallen der Zerstörungswut anheim. Hilflose Anwohner stehen dem Schauspiel mit Tränen in den Augen gegenüber, sie erzählen von ihrer teils lebenslangen Verbindung zu diesen altehrwürdigen Bäumen. Wieder bricht ein Teil unserer Vergangenheit weg, von Menschenhand vernichtet.
Nie wieder werde ich das Rauschen meiner geliebten Weide in einer stürmischen Sommernacht hören. Stumm und reizlos liegt nun der Innenhof vor mir. Es wird keine nachfolgenden Generationen mehr geben, die sich an die raue Rinde dieser Trauerweide lehnen, die Augen schließen und einfach nur der Natur um sich herum lauschen. Erneut viel ein Riese dem ewigen Wandelbedürfnis der Menschheit zum Opfer.
©Sylvia Seyboth
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Liebe Sylvia
AntwortenLöschenzuerst einmal lieben Dank für "Ignoranz der Menschheit", es ist traurig wie wenig die Menschen denken. Erst wenn alles kaputt ist werden sie vielleicht aufwachen. Und beruhigend ist, dass es immer Menschen wie dich gibt, die das sehen und versuchen dagegen an zu kämpfen, danke. Auch ich mußte mit ansehen, wie meiner geliebten Rabenfamilie ihre Heimat genommen wurde.
Würde ich gerne hier einstellen, lieben Gruß
Uschi Geier
Liebe Ursula,
AntwortenLöschenich weiß inzwischen, dass wir uns in mancherlei Beziehung in unseren Ansichten sehr ähneln. Daher war mir bereits im Vorfeld klar, dass du es ebenso empfinden würdest wie ich.
LG
Sylvia