Sonntag, 2. Mai 2010

16 »Geheimnisvolles Nasca«

Teil 16 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein

Ich stehe auf einer Anhöhe am Rande der Wüstenebene von Nasca (auch Nazca geschrieben). Von hier aus hat man einen guten Blick über das staubige Plateau. Man erkennt einige der mysteriösen Scharrlinien, die Nasca weltberühmt gemacht haben... mehr schlecht als recht. Die Sicht reicht weit. Man erahnt so etwas wie Linien im trockenen Wüstenboden. Aber besonders imposant wirken sie nicht. Man ist fast etwas enttäuscht. Hat man doch immer wieder gehört und gelesen, wie spektakulär Nasca sein soll! Kein Wunder: Es fehlt der richtige Überblick. Um das Mysterium von Nasca wirklich erfassen zu können, genügt es nicht auf eine Anhöhe oder einen Aussichtsturm zu steigen. Man muss im wahrsten Sinne des Wortes in die Luft gehen... Da stellt sich eine Frage: Wurden die berühmten Zeichnungen von Nasca geschaffen, um von hoch oben gesehen zu werden? Waren sie gar nicht für menschliche Augen bestimmt?

Vor mehr als einem halben Jahrtausend, anno 1537, vermerkte Piedro Cieza de León: »Zeichen in einem Teil der Wüste, die um Nanasca herum liegen, damit die Indios den Weg entdecken können, dem sie zu folgen haben.« Als Wegweiser sind die Zeichen allerdings denkbar ungeeignet. Sie beginnen im Nichts der staubigen Wüste, sie enden im Nichts. Sie weisen letztlich in alle Himmelsrichtungen und sind keine Hilfsmittel einen Weg zu einem Ziel zu finden. Es sei denn, man möchte mitten in die Einöde einer lebensfeindlichen Wüste geführt werden.

Francisco Hernandez Giron verzichtet anno 1554 auf eine Interpretation, beschränkt sich lediglich auf eine knappe Aussage: »Die Indios haben große Linien in den Boden gezogen.«

Durch Erich von Däniken wurde ich anno 1968 auf Nasca aufmerksam gemacht. Ich las damals seinen Megabestseller »Erinnerungen an die Zukunft«. Ein Traum entstand: Ich wollte auch einmal vom Flugzeug aus Nasca erkunden. 1992, fast ein Vierteljahrhundert später, war es dann endlich so weit. Auch in den folgenden Jahren besuchte ich immer wieder Nasca. Aber besonders beeindruckend war meine erste Begegnung mit der mysteriösen Hochebene und ihren geheimnisvollen Zeichnungen. Den ersten Flug über Riesenbilder und Pisten werde ich wohl nie vergessen....

Der Motor des kleinen viersitzigen Flugzeugs dröhnt mir höllisch in den Ohren. Das Flugwetter ist nicht gerade ideal. Die kleine Maschine wird immer wieder heftig hin- und hergeschleudert. Ich werde heftig durchgeschüttelt. Übelkeit steigt in mir auf. Das Fotografieren fällt mir schwer. Aber je mehr ich mich auf meine beiden Fotoapparate konzentriere, desto besser vertrage ich den unruhigen Flug. Gespannt starre ich durch die schmutzige Fensterscheibe rechts neben mir. Die automatische Schärfeneinstellung beider Kameras versagt. Also schalte ich auf »manuell« um. Das Teleobjektiv meiner Kamera ruht an der schmutzigen Scheibe. Warum funktioniert die Automatik nicht? Ich versuche immer wieder, die Automatik einzusetzen.. vergeblich: Bei beiden Kameras muss die manuelle Einstellung genügen.

Ich sehe den Schatten des Flugzeugs, in dem ich sitze, tief unter mir wie ein kleines, bemitleidenswertes Insekt über den graubraunen Boden der Wüste von Nasca kriechen. Die berühmte »Panamericana« sieht von hoch oben betrachtet wie ein schwarzer Schnitt aus, wie eine Wunde, die unsere moderne Zivilisation der geheimnisvollen Ebene von Nasca gerissen hat. Vor Jahrzehnten fanden, ohne Rücksichtnahme auf das uralte kulturelle Erbe wilde Autojagden statt. Die Reifenspuren richteten erheblichen Schaden an.

»Wir sind da!« schreit der Pilot und deutet aufgeregt nach unten. Die Sicht auf die Wüstenebene ist gewaltig. Auf Fotos habe ich diese Szenerie schon oft gesehen. Aber die Realität lässt sich nicht immer wirklich naturgetreu aufnehmen. Tief unter mir erstreckt sich eine fantastische Bilderwelt. Kann man sie wie ein Buch lesen?

Ein gigantischer Vogel rückt in mein Blickfeld. Ich versuche ihn zu fotografieren... Ich drücke mehrfach auf den Auslöser.. und schon erkenne ich das besondere Geheimnis des Wüstenplateaus von Nasca.

Da ist, so scheint es, ein Flugplatz zu erkennen. Verschiedene »Landepisten« verlaufen teils parallel zueinander, teils sternförmig auseinander. Der Pilot nickt eifrig. Er fuchtelt mit den Händen. Mir wäre lieber, er würde damit den Steuerknüppel umfassen. »Die da....«, brüllt er und deutet auf eine besonders beeindruckende Landebahn, »ist 1700 Meter lang und fünfzig Meter breit!«

Dann will er anscheinend beweisen, wie steil er seine Maschine in kürzester Zeit gen Boden lenken kann. Mir kommt es so vor, als werde mein Magen Richtung Hals gedrückt. Der graubraune Wüstenboden kommt auf mich zugerast. Die kleinen maulwurfshügelartigen Häufchen werden wieder zu dem, was sie sind – Berge. Und die kleinen Punkte, die auf dem schmalen schwarzen Faden hin und her sausen werden wieder zu Autos auf einer Straße.

Der Pilot fängt die Maschine ab, hält direkt auf die »Landebahn« zu. Ich schätze, dass wir erst höchstens fünf Meter über dem Boden zum erneuten Steigflug ansetzen. Abrupt geht es wieder nach oben, steil empor. Ich fühle mich tonnenschwer, werde förmlich in das schäbige Leder des Sitzes gepresst. Vielleicht hätte ich dem Piloten doch nicht sagen sollen, dass ich schon einmal über der Ebene von Nasca geflogen bin und keinerlei Probleme mit kleinen Maschinen habe?

Wir fliegen über der Ebene von Nasca. Unter uns breitet sich ein riesenhaftes Bilderbuch aus. Da ist deutlich ein Vogel zu erkennen. Sein kleiner Hals sitzt auf einem schmächtigen Kopf. »100 Meter lang!« brüllt der Pilot. Eine Eidechse kommt ins Blickfeld. »190 Meter groß!« erfahre ich. Man hat die Panamerika-Straße ohne Rücksicht auf die Zeichnung angelegt. Sie durchschneidet wie ein schwarzer Strich die Beine der Echse. Weitere »Riesentiere« tauchen unter mir am Wüstenboden auf: Ein Affe mit spiralförmig gekringeltem Schwanz, ein mächtiger Kolibri, eine riesige Spinne....und immer wieder Linien oder Bahnen. Sie beginnen im Nichts, enden nach Kilometern wieder im Nichts.

Wie bei meinem ersten Besuch bin ich vom Mysterium Nasca fasziniert. Schon bald achte ich nicht mehr auf magenunfreundliche Flugmanöver meines Piloten. Ich habe nur noch Augen für das riesige Geheimnis, das sich tief unter mir am Wüstenboden erstreckt. Was ist das, diese Ebene? Ein prähistorischer Flugplatz? Ein Bilderbuch für die Götter? Oder beides zugleich? Wie und wann wurde dieses Weltwunder geschaffen?

Seit Satelliten unseren Globus umrunden weiß man, die Zeichnungen von Nasca erkennt man zum Teil... aus dem All! 1994 wurden sie zum »Weltkulturerbe« ernannt.

Die Frage nach dem »Wie?« ist vordergründig leicht zu beantworten. Der Wüstenboden ist überdeckt mit schwärzlich oxidiertem feinsten Geröll. Zentimeter darunter ist der Untergrund hell. Entfernt man nun die oberste Schicht, einige Zentimeter genügen, dann kommt der weißliche Untergrund zum Vorschein. Man bezeichnet die riesigen Darstellungen von Nasca als »Scharrbilder«, weil die oberste Erdschicht weggescharrt wurde, um sie entstehen zu lassen.

Das klingt einfacher.. als es war. Nach den vorsichtigen Schätzungen von Prof. Dr. Gunter Reppchen von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden, mussten in Nazca etwa 10 000 Kubikmeter Erdreich weggekratzt werden, um das riesige Bilderbuch entstehen zu lassen. Was geschah mit dem Berg von Abraum? Niemand vermag das zu sagen.

Richtig ist: Es gelang im Experiment, mit einfachen Mittel innerhalb weniger Tage schmale gerade Linien in den trockenen Wüstenboden zu scharren. Es wurden auch mehr oder minder gelungene Kreise kreiert. So wurde mit Hilfe von Seilen und einem Pflock, der ins Erdreich getrieben wurde, ein nicht wirklich perfekter Kreisbogen von drei Meter Durchmesser ins Erdreich gezeichnet. Mit diesen Mitteln war es aber unmöglich etwa einen riesigen Vogel als Scharrzeichnung anzulegen, der nur vom Flugzeug aus zu erkennen ist. Die Riesenbilder – etwa eines Affen, eines Kolibri oder einer Spinne – setzen präzise Planung mit Berechnungen voraus. Damit mir nicht der gleiche Unsinn unterstellt wird wie Erich von Däniken: Weder die »Pisten« noch die Tierbilder wurden von außerirdischen Astronauten geschaffen, sondern von Menschen. Diese Menschen müssen aber über besondere Kenntnisse, mathematisches Wissen und Fähigkeiten verfügt haben, die den Bewohnern der Region von Nasca von vor rund zwei Jahrtausenden gewöhnlich nicht zugebilligt werden. Sie sollen nicht einmal die Kunst des Schreibens beherrscht haben. Wie haben sie dann das riesige Skizzenbuch geplant und schließlich verwirklicht?

Eine ironische Anmerkung sei mir gestattet: Ein Buch lesen... das sollte man als Kritiker schon, bevor man sich darüber lustig macht! Immer wieder sind es gerade jene Skeptiker und Kritiker, die Erich von Däniken des Betrugs und der Verfälschung bezichtigen... die ihm absurdeste Aussagen unterstellen, die nirgendwo in Dänikens Büchern zu finden sind. Aber man kann Däniken ja besonders wirkungsvoll »widerlegen«, wenn man – offensichtlich ohne je ein Buch aus seiner Feder zu lesen – ihm frei erfundene Aussagen der unlogischsten Art unterschiebt.

Abb. 1, 2, 3: ©Walter-Jörg Langbein
Abb. 4: Public Domain, Quelle: NASA

»Bilder für die Götter?«,
Teil 17 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 9. Mai 2010

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