Dienstag, 30. November 2010

Die letzten Worte von Susanne


Text u Bilder: gcroth / Sprecherin: Sylvia B.

Ich bin nicht gegangen.
Denn ich hatte dir mein Wort gegeben.
Ich habe dich nicht betrogen,
dich nicht belogen und dir nichts verschwiegen.
Ich habe zu dir gehalten.

Auch, nachdem du meine Freunde vertrieben hattest,
... du hast ja keine.
Auch noch, als du meine Kinder mit deiner Lieblosigkeit brechen wolltest,
so, wie du deine Kinder gebrochen hast.
Auch noch, als du mein Bett gemieden hast,
weil dich die kleinen Hände nach Rumänien zogen.
Auch noch, als ich vor Einsamkeit an deiner Seite erfroren bin.

Weißt du noch, als ich dich damals im Scherz fragte, ob du weißt, was du tust?
Nein! Du wusstest nicht was du tust und du weißt es bis heute nicht.
Und du wirst es niemals wissen.
In deiner Wiege lag ein Fluch, der dich bis heute begleitet.
Dich und Deine Söhne, Deine Brüder und Neffen.
Und alle Menschen, die dein Leben streiften und streifen sind mit verflucht.
Du wurdest in diese Welt geworfen,
um anderen Menschen Seelenhölle zu bereiten.
An deiner Seite können nur Tote überleben.

Du schmückst dich mit großen Namen in geschriebenen Worten.
In der Hoffnung, dass ein wenig Glanz auf dich abfärbt.
Aber nichts davon, hat mit dir zu tun.
Denn du selbst bist eisiges Schweigen. Totenstarre.

Hast die Mütter deiner Kinder ausgeraubt und ausgelaugt.
Deine Kinder betrogen um ihre Zukunft, für deine vergnügliche Gegenwart.
Lügen, betrügen, demütigen und den Menschen ein Grab bereiten,
das ist deine Bestimmung. Ignoranz und Rattigkeit sind deine hervorragenden Eigenschaften.

Und wieder hast du eine Blüte gepflückt, um sie zu brechen.
Wie klein du bist.
So klein, dass ich erst jetzt erkenne, weshalb dich all die Jahre panische Angst vor Ratten verfolgt hat.
Sie werden dich finden. Sind schon ganz nah.
Du hast ihnen die lebendigen Köpfe mit bloßen Händen abgerissen, sie werden dich holen ... in jeder Nacht ... wenn du schläfst... werden sie kommen... an dir nagen mit ihren giftigen, gelben Zähnen ... und dich bei lebendigem Leibe fressen. Nacht für Nacht ein wenig mehr, es gibt kein entrinnen.

Dieser Fluch wird dich begleiten, bis ans Ende deiner Zeit. Und er gibt dir die Schmerzen, Verletzungen und Demütigungen, die du Zeit deines Lebens, ohne Reue an die Menschen, die es gut mit dir gemeint haben, ausgeteilt hast, zurück. Von nun an, jede Sekunde, jede Stunde deines restlichen Daseins.

Totenstarrer Totengräber — Dein Name wird nie mehr genannt.

Mehr von Susanne, den Bestattern und Totengräbern lesen Sie in:
"Bestatten, mein Name ist Tod!" Friedhofsgeschichten aus dem Leben gerissen.

Sonntag, 28. November 2010

45 »Das Geheimnis der Maria von Guadalupe«

Teil 45 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Andenkenhändler vor der Basilika von Guadalupe
Foto: Walter-Jörg Langbein
Der gewaltige, moderne Bau der Basilika von Guadalupe wirkt höchst imposant, ja futuristisch-kühn. Pedro Ramirez Vasquez hat das Gotteshaus entworfen. Am 13. Oktober 1976 wurde die Basilika geweiht, ein Jahr später eröffnet. Mit 10.000 Sitzplätzen gehört sie zu den größten Kirchen unseres Planeten. Insgesamt kann sie 40.000 Pilger aufnehmen, wie ein riesiges Zelt aus Stahl und Beton. Gewaltig ist die Last, die die unsichere Erde von Guadalupe außerhalb von Mexiko-City zu tragen hat. Um die größte Pilgerkirche der Welt abzusichern, wurden gut 1000 massive Säulen ins Erdreich versenkt, die den monumentalen Bau tragen. Für motorisierte »Pilger« wurde ein unterirdisches Parkhaus ins Erdreich gegraben. 1000 Autos finden Platz.

Beim Bau der Basilika hat man sich auf den Besuch von Millionen von Pilgern eingestellt. Dem Architekten war klar: Die Menschen würden in die Basilika strömen, um ein physisch greifbares Wunder zu sehen: das mysteriöse Bildnis der Maria von Guadalupe. Jeder sollte die Chance haben, das verehrte Tuch zu sehen. Würden aber fromme Pilger nicht zu lange vor der Reliquie stehen bleiben... und andere daran hindern, möglichst nahe an das Ziel ihrer Reise zu treten... an das Bildnis der Maria von Guadalupe? So wurden drein mechanische Förderbänder installiert, die am Hauptaltar vorbeiführen.

Innenansicht der Basilika von Guadalupe
Foto: Joaquín Martínez Rosado (Public Domain)


Pedro Ramirez Vasquez, der berühmte Architekt, durfte das Tuch von Guadalupe mit dem berühmten Bildnis untersuchen. Er soll, so heißt es, kein gläubiger Christ gewesen sein. Nachdem Vasquez die Tilma studiert hatte, trat er der katholischen Kirche bei ... Was hat den kühlen Denker so beeindruckt?

»Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.«... So heißt es in Goethes Faust. Und in der Tat entziehen sich fast alle religiösen Wunder der rationalen Hinterfragung. Eine ganz erstaunliche Ausnahme gibt es freilich - und die ist eine Sensation. Die Jungfrau von Guadalupe hat so etwas wie einen fotografischen Beweis hinterlassen. Und das, obwohl die mehr als mysteriösen Ereignisse bereits vor fast 500 Jahren stattfanden. Ein wundersames Bildnis erschien auf nicht nachvollziehbare Weise auf dem Umhang eines einfachen Indio ...

Dieses Bildnis ist in Mexiko allgegenwärtig. Es wurde über die Jahrhunderte zu einer Ikone des Glaubens der mexikanischen Ureinwohner, der Nachfahren der Azteken. Auch wenn es nicht leicht fällt, zu verstehen: der christliche Glaube, der vor rund einem halben Jahrtausend mit gewalttätigen Plünderern ins Land kam, wurde von der gedemütigten Bevölkerung angenommen ... nach den wundersamen Ereignissen von Guadalupe. Auf einem kleinen Friedhof außerhalb von Mexiko-City sah ich das Bildnis von Guadalupe auf einem heutigen Grabstein verewigt...

Das Bildnis der Maria auf einem Grabstein
Foto: Walter-Jörg Langbein
Juan Diego war ein gebürtiger Azteke. 1525 trat er zum christlichen Glauben über. Er war vom neuen Glauben zutiefst überzeugt. Man muss ihn als guten Katholiken bezeichnen. Fast täglich suchte er die Kirche im mexikanischen Tlaticlo auf. Er verbrachte einen erheblichen Teil seines Alltags damit, von seinem bescheidenen Heim im Dörfchen Tolpetlac zum Gotteshaus und zurück zu marschieren. Neun Weilen war der Weg lang, Juan Diego stand meist schon in der Nacht auf.

Am 9. Dezember 1531 war Juan Diego wieder einmal unterwegs zur Kirche, da hörte er unweit des Berges Tepeyac wunderschöne Musik. Als er nach kurzer Pause weitermarschieren wollte, so wird überliefert, sprach ihn eine Stimme an: »Juanito, Juan Dieguito.« Wer redete ihn da so zärtlich an? Wer verwandelte seinen Namen im Spanischen geradezu zu einem Kosewort? Man kann die Anrede so übersetzen: »Kleiner Juan-chen, Juan Diego-chen«.

Die Gläubigen sind von der Realität des mysteriösen Erlebnisses überzeugt. Sie kommen aus aller Welt nach Mexiko, um dem Ort des rätselhaften Geschehens zumindest einmal im Leben nahe zu sein. Da schläft der erschöpfte Hirte in ärmlicher Kleidung im Gotteshaus ein. Neben ihm sitzt ein reicher Industrieller im teuren Anzug. Wo man auch im gewaltigen Kirchenhaus sitzt, man kann immer das Bildnis der Maria sehen. Gar manches Mal war ich in der Basilika. Mehr als der mächtige Bau hat mich die friedliche Stimmung im Gotteshaus beeindruckt. Nonnen und Mönche, Arme und Reiche erweisen der Maria ihre Referenz. Selbst Touristen in grellbunter Kleidung fallen hier nicht unangenehm auf.

Die Atmosphäre ist nicht in Worte zu fassen. Es liegt ein geheimnisvoller Frieden über dem Raum. Die Menschen spüren so etwas wie eine geistig-seelische Verbindung. Sie verstehen einander, auch wenn sie aus unterschiedlichsten Kulturkreisen und Schichten kommen. Mich, der ich alles andere als kirchenfromm bin, hat Guadalupe immer wieder zutiefst beeindruckt. Mir war, als würde in jener riesigen Kathedrale zumindest für einen Moment die tiefe Sehnsucht nach Ruhe und Frieden erfüllt ... in einer Welt der Hektik, nur einen Katzensprung von der lauten, oft stinkenden Metropole Mexiko City entfernt.

Es ist, als gehe ein Zauber von den mysteriösen Ereignissen aus, die vor fast einem halben Jahrtausend Juan Diego in ihren Bann zogen. Ein »edles Fräulein, dessen Gewand leuchtete wie die Sonne, als ob es vom Licht widerstrahle« stand da, so ist uns überliefert worden, auf einem Felsen. »Der Glanz von ihr schien wie Edelsteine, wie der schönste Schmuck. Und die Kakteen und die übrigen Kräutlein sahen aus wie Smaragde. Wie Türkis sah ihr Blätterwerk aus, und ihre Zweige, ihre Dornen leuchteten wie Gold.«

Juan Diego fiel auf die Knie. Er schlug ergriffen, ja erschüttert, die Augen nieder. Das himmlische Wesen erklärte, es sei »die vollkommene heilige Jungfrau Maria«. Juan Diego bekam den Befehl, auf dem Tepeyac eine Kapelle errichten zu lassen. Er solle nur rasch den Bischof von Mexiko aufsuchen und das dringende Anliegen Mariens vortragen. Juan Diego hatte keinen Zweifel: Er musste gehorchen, dem Willen Mariens konnte er sich nicht widersetzen. Er stürzte in die Stadt, um eine Audienz bei Bischof Juan de Zumarrage zu erbitten. Der hochrangige Mitarbeiter in Gottes Bodenpersonal war allerdings nicht unbedingt ein Mann des Volkes, der sich auf ein Gespräch mit einem einfachen Gläubigen einließ ... schon gar nicht mit einem Indio, der sich womöglich eine obskure Geschichte ausgedacht hatte. Oder war der Mann gar alkoholisiert gewesen, als er angeblich eine Erscheinung hatte?

Wenn Juan Diego aber doch die Wahrheit sprach? Immerhin ließ er sich nicht abwimmeln, sondern beharrte darauf, den Bischof unbedingt sprechen zu müssen. Seine Ausdauer wurde auf eine harte Probe gestellt. Man ließ ihn warten... stundenlang...Immer wieder versuchte man, ihn abzuwimmeln... Vergeblich. Schließlich hörte sich der hohe Würdenträger Juan Diegos Bericht an und schickte ihn wieder weg. Enttäuscht machte sich Juan Diego auf den Heimweg. Unterwegs begegnete ihm wieder die Erscheinung. Wieder bekam er den Auftrag, zum Bischof zu gehen. Wieder wurde er vorgelassen. Der Bischof fühlte sich belästigt. Er forderte Juan Diego auf, ihm doch einen Beweis für seine angebliche Begegnung zu bringen. Wie aber sollte so ein Beweis aussehen? War das Wort Marias nicht Beweis genug? Wie sollte er dem Bischof glaubhaft machen, dass ihm tatsächlich Maria, die Mutter Gottes nach katholischem Glauben, begegnet war?


Die Maria von Guadalupe, das Original
Foto: Walter-Jörg Langbein
»Das Wunder von Guadalupe«,
Teil 46 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 5.12.2010

















Samstag, 27. November 2010

Rezension: Animal triste - Monika Maron

Heute möchte ich die erste Rezension, die ich je in meinem Leben verfasst habe, vorstellen. Ich ließ diese Rezension im Jahre 1999 Reich-Ranicki zukommen, nachdem ich in Frankfurt im Verlagshaus Fischer zur Lesung bei Monika Maron war und wenig später, nicht ganz einverstanden mit den Ausführungen im "Literarischen Quartett", zur Feder griff. Dem begnadeten Literaturkritiker schien die Rezension gefallen zu haben, denn er schickte mir in der Folge 2 Freikarten für die Vorstellung seiner Biografie in den Räumen des Goethe-Institutes, direkt neben dem Geburtshaus von Goethe in Frankfurt.

Von Reich-Ranickis Vortrag ist mir nach 11 Jahren kaum mehr etwas im Gedächtnis geblieben, allerdings habe ich noch immer das Bild vor mir, als er im Anschluss an die Lesung wie ein junger Gott (er hatte wenige Monate zuvor seinen 79.Geburtstag gefeiert) vom Podium hüpfte, um mit einigen hübschen Frauen vergnügt zu flirten. Goethe auf Wolke 7 hat sich gewiss gefreut, dies zu sehen, denn auch er warf bekanntermaßen im fortgeschrittenen Alter noch Äugelchen. :-))

3 Jahre später, im November 2002 begann ich dann auf der Amazonplattform Rezensionen zu verfassen und hätte diesen Schritt vermutlich niemals gewagt, wenn Herr Reich-Ranicki mich durch die Einladung zu seiner Lesung nicht zum Schreiben motiviert hätte. Ihm sei an dieser Stelle nochmals recht herzlich gedankt.

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Aninmal Triste- Monika Maron

Dieser Roman ist ein wirklich gelungener Beitrag zum Hohenlied der Minne.

Hier überwindet eine Frau, ob gewollt oder ungewollt sei dahingestellt, ihren Penthesileakomplex. Hier huldigt eine Naturwissenschaftlerin der Minne und zwar so, wie es beinahe tausend Jahre zuvor bereits einige südfranzösische Troubadoure taten und dennoch ist der Lobgesang alles andere als abgeschmackt.

Die Liebe an sich, nahezu unabhängig von ihrem Objekt, ist das zentrale Thema des Romans. Diese Liebe wartet darauf aus dem Menschen hervorzubrechen, - mithin keineswegs, wie landläufig angenommen, über ihn hereinzubrechen -, sich an einem Objekt zu entzünden, unkontrolliert, einen Flächenbrand zu bewirken, der alles, was das Individuum ausmacht, unwichtig werden läßt oder gar zerstört und am Ende das seligmachende Nichts zum Ergebnis hat.

Damit diese Liebe voll nach außen dringen kann, bedarf es offenbar einer philosophischen, möglicherweise auch religiösen oder ideologischen Bindungslosigkeit, herbeigeführt durch Desillusionierung gleich welcher Art.

Bei der Protagonistin hat sich diese Konstellation durch des Ende der DDR-Regimes und damit verbunden, durch den Wegfall alter, überkommener Denk- und Wertschablonen ergeben. Bleibt zu überlegen, ob besagte Zusammenhänge für das eruptive Hervorbrechen von Liebe eine "Conditio sine qua non" verkörpern.

Die Liebe, einmal herausgeschleudert, wie ein Dschinni aus der Flasche, läßt sich in diese nicht mehr zurückweisen, auch dann nicht, wenn das Objekt der Liebe bereits den Rückzug angetreten hat oder vielleicht sogar nicht mehr existent ist.

Sie führt, sowohl im als auch außerhalb des Menschen eine Eigenleben, ist Akteurin und läßt den Betroffenen zum Somnabulen, gleichsam zur entscheidungsunfähigen Ziehpuppe mutieren.

Demnach wird in "Animal triste" die Liebe als imposantes Naturschauspiel gezeigt.

Fasziniert beobachtet der Leser das Geschehen und konstatiert, daß die hier stattgefundene Eruption das vermeintliche Ich vollständig abgetragen hat.

Wenngleich die so gezeichnete Liebe eine alles zerstörende Naturgewalt zu sein scheint, ist sie aber auch eine nicht zu unterschätzende Chance für den Einzelnen, endlich von dem Korsett seiner individuellen Eitelkeiten und Egoismen loszukommen und auf diese Weise eins zu werden mit der Natur.

Vielleicht beruht genau auf dieser Möglichkeit die Meinung der Protagonistin, daß man im Leben nichts versäumen könne, als die Liebe.


Donnerstag, 25. November 2010

Interview: Markus Lanz über sein Buch »Grönland - Meine Reisen ans Ende der Welt«

Fernsehmoderator, Schriftsteller
und Fotograf: Markus Lanz
Es gibt viele Prominente, die ihr Privatleben fast schon mit Genuss in aller Öffentlichkeit ausbreiten. Über viele Promis wissen wir daher mehr, als uns eigentlich lieb ist. Doch es gibt auch jede Menge bekannte Persönlichkeiten, die wir praktisch tagtäglich sehen, über deren Privatleben aber so gut wie nichts bekannt ist. Fernsehmoderator Markus Lanz gehört sicher dazu. Oder wussten Sie, dass der ZDF-Moderator seit 15 Jahren immer wieder nach Grönland und in die Arktis reist und dort seiner Leidenschaft, dem Fotografieren nachkommt? Über seine Reisen ans „Ans Ende der Welt“ bringt er jetzt mit „NATIONAL GEOGRAPHIC“ ein Buch heraus.

Herr Lanz, vom warmen und mutmaßlich gemütlichen Fernsehstudio bis nach Grönland und in die Arktis ist es ja – vorsichtig formuliert – ein weiter Weg. Wie kam es dazu, dass Sie diesen Weg vor rund 15 Jahren für sich entdeckt haben?

Diese Region wollte ich ehrlich gesagt schon immer bereisen. Ich hatte das Gefühl, ich müsste diese unglaubliche Eislandschaft wenigstens einmal im Leben gesehen haben. Ich wollte vor allem der Frage nachgehen: Wie kann man in einer solch „menschenfeindlichen“ Umgebung leben? Wenn man zum Beispiel ein grönländisches Kind fragt: „Wie sieht ein Baum aus?“, guckt es dich mit großen Augen fragend an. Ich bin schließlich immer wieder nach Grönland gereist, um besser zu verstehen und Antworten auf meine Fragen zu bekommen. Inzwischen habe ich allerdings das Gefühl, je öfter ich nach Grönland reise, desto mehr Fragen tun sich auf und desto rätselhafter wird dieses Land für mich.



Ich denke, die wenigsten Menschen waren bisher in diesem Teil der Welt. Können Sie uns die „Faszination Arktis“ etwas näher bringen?

Es ist so: In Grönland läuft alles nach Plan. Leider ist dieser Plan nie der eigene. So kann einem, wenn man auf Reisen ist, auch mal ein gewaltiger Schneesturm dazwischen kommen. Wenn man das mal miterlebt hat, dann versteht man, was Naturgewalten alles ausrichten können. Es ist einfach ein wahres Abenteuer, in Grönland zu reisen. So wie grönländische Jäger, nämlich in erster Linie mit dem Hundeschlitten oder eben im Sommer mit kleinen Booten.

Sie haben gerade das Wort „Abenteuer“ gebraucht. Ist beim Abenteuer Grönland bei Ihnen auch mal Angst im Spiel?

Angst habe ich komischerweise nie. Und zwar nicht etwa, weil ich kein ängstlicher Mensch bin. Aber wenn ich die Jäger begleite, sehe ich, wie sie die Natur verstehen. Sie lesen die Spuren im Schnee, wenn sie auf die Jagd gehen. Selbst im dichtesten Nebel finden sie immer wieder ihren Weg nach Hause. Außerdem haben sie diese unglaublichen Hunde, auf die sie sich blind verlassen können. Wenn etwas Gefährliches passiert, dann hast du mit den Huskies eine großartige Lebensversicherung. Jeder Eisbär sucht sofort das Weite, wenn er die Huskies sieht, denn er weiß genau: Gegen diese Hunde hat er im Grunde keine Chance.



Sie verdienen Ihr Geld im Showbusiness – wie groß ist der „Kulturschock“, wenn es Sie wieder in den kalten Teil der Welt zieht?

Es ist vor allen Dingen etwas, was ich brauche, um einen gesunden Ausgleich zu bekommen. Diese Stille, die du dort erlebst, macht etwas mit dir. Und es ist ganz interessant, das zu erleben. Unser Gehirn ist wahnsinnig reizüberflutet, wir brauchen die ganze Zeit neue Zerstreuung: Wir brauchen die Zeitung, das Fernsehen und das Internet. In Grönland ist dann plötzlich alles weg. Du bist zurückgeworfen, auf dich allein gestellt. Zu Anfang wirst du nervös und unruhig. Mit der Zeit lässt man sich aber auf die Umgebung ein und wird ruhiger. Irgendwann fängt man schließlich an weniger zu denken. Bis der Zeitpunkt kommt, besonders auf so langen Märschen, wo Du gar nicht mehr denkst und sprichst. Das tut unheimlich gut. Umgekehrt, wenn man dann zurückkommt ins laute Fernsehstudio, ist das Umstellen natürlich gar nicht so einfach.

Das klingt nach einer „Beziehung“, die wohl noch länger andauern wird, oder?

Ich glaube, man hasst Grönland oder man liebt es. Wenn man bereit ist auf bestimmte Annehmlichkeiten zu verzichten und im Zweifel mal zwei Wochen auf das Duschen verzichten kann, dann gibt es meiner Meinung nach wenig schönere und vor allem romantischere Plätze als die Arktis. Ich werde da mit Sicherheit noch oft hinreisen. Wenn man mich allerdings richtig quälen möchte, dann schenkt man mir zwei Wochen Mallorca. Das wäre so ziemlich das Ende für mich.

Seit bald 15 Jahren sind Sie in der Fernsehbranche, nun haben Sie ein Buch über Ihre Grönland-Erlebnisse geschrieben und auch selber dafür fotografiert. Wie ist das für einen „Fernsehmann“, dann auf die Materie Buch umzuschwenken?

Ich habe 2007 mein erstes Buch geschrieben, da ich immer schon großen Spaß am Schreiben hatte. Das ist ein schönes Gefühl, etwas Bleibendes zu schaffen. Da steckt für mich eine große Motivation dahinter, seine Erlebnisse zu Papier zu bringen und irgendwann sein „Baby“ vor sich liegen zu haben: Ein schönes Buch, das nicht so flüchtig ist wie eine Fernsehsendung, die ja in dem Moment zu Ende ist, nachdem sie gesendet wurde.

Das Buch “Grönland – Meine Reisen ans Ende der Welt” erscheint bei NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND und ist für 39,95 € im Buchhandel und unter www.nationalgeographic-shop.de erhältlich.

Gebundene Ausgabe: 285 Seiten

Verlag: National Geographic; Auflage: 1., Aufl. (1. Oktober 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3866901957
Größe und/oder Gewicht: 30 x 25 x 3 cm

Bild Markus Lanz: Mit freundlicher Genehmigung des National-
Geographic-Verlags.



Mittwoch, 24. November 2010

Für Sie gelesen: »Grönland - Meine Reisen ans Ende der Welt« von Markus Lanz

Seite 30-31: Eisbär vor einem Walkadaver
Schwer zu sagen, in welchem Augenblick der Neuzeitmensch vom Teilnehmenden zum Beobachter geworden ist. Zu einem, der die Dinge der Welt zählend, messend und wertend beurteilt, statt unmittelbar mit ihnen verbunden zu sein. Der in der Bibel geschilderte Sündenfall mag es schwerlich gewesen sein, denn bis heute gibt es Menschen, die im unverfälschten Kreislauf der Natur existieren, sich als kleinen Teil eines unfassbar viel größeren Ganzen begreifen und mit voller Bewusstheit akzeptieren, dass sie im tödlichen Spiel von Fressen und Gefressenwerden schnell auch die Beute darstellen könnten, wenn sie auch nur den kleinsten Fehler begehen. Wenige tausend grönländische Ureinwohner führen auch heute noch ein Leben, welches eine tägliche Herausforderung für die menschliche Anpassungsfähigkeit darstellt. Ein Leben zwischen Steinzeit und Handy.

Seite 122-123:
Die Schlittenhunde des Jägers Paulus Simigaq
Der bekannte Fernsehmoderator Markus Lanz setzt ihnen mit dem Buch »Grönland: Meine Reisen ans Ende der Welt«, für dessen Fotos und Texte er verantwortlich zeichnet, ein atemberaubendes Denkmal. Das Buch ist weit mehr als ein qualitativ erstklassiger Bildband. Statt auf oberflächliche Sensationen und falsche Sentimentalitäten setzt Markus Lanz auf die Poesie des Tatsächlichen. Auf beklemmend-schöne Bilder, die dem Betrachter die unendliche Überlegenheit der Natur unmittelbar begreifbar machen. Auf einfühlsame Texte, in denen er die Gratwanderung zwischen romantischen Vorstellungen und harter Realität mühelos meistert.

Bemerkenswert ist der liebevolle Blick, mit dem Lanz die Welt und insbesondere Grönland betrachtet. Dass er zudem in der Lage ist, diesen auch durch die Kameralinse aufrechtzuerhalten, zeugt von einem hohen technischen Niveau dieses äußerst vielseitig begabten Moderators, Schriftstellers und Fotografen.

Seite 56-57:
Paulus Simigaq auf dem Weg zur Robbenjagd
Dabei ist »Grönland: Meine Reisen ans Ende der Welt« weit mehr als ein bloßer Bilderrausch: es ist ein Werk, das betroffen macht. Das die Schattenseiten dieser fast unwirklich schönen Eiswelt nicht verschweigt. Das die Zerrissenheit der Ureinwohner zwischen archaischer Jägergesellschaft und den Errungenschaften der modernen Welt eindringlich darstellt. Klimawandel, Fischfangquoten und territoriale Ansprüche der US-Army zerstören das in Jahrtausenden entstandene Gleichgewicht des Daseins. Dass die moderne Zivilisation, ihre Zumutungen und Verlockungen, offensichtlich weitaus gefährlicher sind als Schneestürme, monatelange Polarnächte, Eisbären und trügerisches Packeis, das ist ein beklemmender Gedanke, dem man sich beim Lesen dieses großartigen Buches nicht entziehen kann.

Seite 244-245:
Winterstimmung im Eisfjord von Ilulissat
Besonders berührt hat mich unter anderem, was Markus Lanz von seiner ersten Begegnung mit dem Inuit-Jäger Duumaji Jonathansen berichtet, der sich nur widerwilligt mit seiner erlegten Beute von ihm fotografieren lassen wollte. Später erfuhr Lanz auch den Grund dafür: Jonathansen fürchtet die Reaktionen, die solch ein Bild in unserer gutmenschlichen Empörungskultur auszulösen pflegt. Dass gerade die Menschen auf der Welt, die wohl den härtesten Daseinskampf führen, sich inzwischen ihrer Lebensweise fast zu schämen scheinen, das sollte vor allem den Berufsempörern in Gesellschaft und Politik die Schamesröte ins Gesicht treiben.

Markus Lanz zieht aus den Entwicklungen den Schluss, dass es diese einmalige Kultur womöglich schon bald nicht mehr geben wird. Dass ihr Aussterben die Welt wesentlich ärmer machen würde, daran kann nach der Betrachtung dieses wundervollen Buches niemand mehr zweifeln.

Buchcover

Fotos: Markus Lanz, © G + J /RBA GmbH Co. KG,
- mit freundlicher Genehmigung -
Buchvorstellung: ©Ursula Prem

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Grönland: Meine Reisen ans Ende der Welt

Morgen in diesem Blog:
Interview mit Markus Lanz
















 

Dienstag, 23. November 2010

Mein Wort zum Dienstag

»Licht der Welt oder: Wankt das Kondomverbot für katholische Christen?«
.
Teil 1 der Serie von Walter-Jörg Langbein
- Autor des Buches Lexikon der biblischen Irrtümer -

Es war ein kleiner Schritt für die Menschheit in die richtige Richtung, aber ein Riesenschritt für den Papst. Papst Benedikt XVI. blieb aber weit davon entfernt, eine Freigabe von Kondomen zu verkünden. Tatsächlich rückte der Papst nur ein winziges Stück vom generellen Kondomverbot ab (1): »Es mag begründete Einzelfälle geben, etwa wenn ein Prostituierter ein Kondom verwendet, wo dies ein erster Schritt zur Moralisierung sein kann, ein erstes Stück Verantwortung, um wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will.«

Es war ein kleiner Schritt für die Menschheit, die von der bösartigen Geißel AIDS gepeinigt wird und in furchteinflößendem Tempo anwächst. In einer Zeit, in der unzählige Menschen an AIDS sterben oder elendiglich verhungern muss ein Kondomverbot wie ein menschenverachtender Anachronismus wirken. Nun ist der Papst ein kleines Stück vom totalen Kondomverbot abgerückt... Das ist ein kleiner Schritt für die Menschheit in die richtige Richtung. Empfängnisverhütung hilft den Hunger, ausgelöst durch Überbevölkerung, mindern. Kondome dämmen die Ausbreitung von AIDS ein. Der Schritt war klein, aber es war ein überfälliger Schritt.

Für den Papst allerdings war es ein Riesenschritt. Insistierte doch die katholische Kirche bislang auf einem vollkommenen Verbot! Sieht doch die katholische Kirche »Fruchtbarkeit als Bestimmung des Menschen« an (2). Allerdings gilt das Gebot, sich zu paaren zwar für alle Tiere (3), aber nur für verheiratete Menschen (4): »Die eheliche Liebe wird von Gott gesegnet und dazu bestimmt, fruchtbar zu sein...›Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch‹ (1. Buch Mose Kapitel 1, Vers 28).«

Mit anderen Worten: Nach dem Verständnis der katholischen Kirche befiehlt Gott allen Tieren, sich zu vermehren... und den Eheleuten. Wenn es aber der göttliche Auftrag für Ehepaare ist, Planet Erde mit Nachkömmlingen zu überschwemmen, dann stellt Empfängnisverhütung Ungehorsamkeit Gott gegenüber dar. Nun will es auch die katholische Kirche verheirateten Paaren nicht abverlangen, ein Kind nach dem anderen in die Welt zu setzen. Pausen zwischendurch sind statthaft. Allerdings dürfen die Eheleute keine Empfängnisverhütung betreiben, etwa Kondome einsetzen. Sie müssen sich dann in Enthaltsamkeit üben und allenfalls in den »unfruchtbaren Perioden der Frau« miteinander intim werden (5).

Einsatz von Verhütungsmitteln wie Kondomen wird vom »Katechismus der katholischen Kirche« scharf verurteilt. In der Sprache eines strengen Paragraphenreiters heißt es da (6): »Hingegen ist jede Handlung verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzuges des ehelichen Aktes oder im Anschluss an ihn beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel«. Kurz und schlecht: Nach Lehre der katholischen Kirche ist Empfängnisverhütung verwerflich, also strikt verboten... weil sie das göttliche Gebot der Vermehrung aushebelt.

In der Bibel findet sich kein Hinweis auf Empfängnisverhütung. Also wird eine biblische Geschichte von katholischer Geistlichkeit gern fehlinterpretiert. Wir finden sie im Ersten Buch Mose (7):

Ein Mann namens Juda gab seinem erstgeborenen Sohn Ger die Thamar zur Frau. Zu biblischen Zeiten bestimmten die Väter, wen die Sprösslinge zu ehelichen hatten. Dieser Ger war nun kein gottgefälliger Mensch. Weil er gegen göttliches Gebot verstieß, gegen welches bleibt unklar, ließ Gott ihn sterben. Damit wurde Thamar zur Witwe. Jetzt befahl Juda seinem Zweiältesten, nämlich Onan, mit Thamar Kinder zu zeugen. Nachwuchs musste her nach dem Gebot »Seid fruchtbar und mehret euch!« Da Ger als Dahingeschiedener als Erzeuger nicht mehr in Frage kam, musste dessen Bruder Onan für ihn einspringen.

Onan musste seinem Vater gehorchen, wenn er nicht gesteinigt werden wollte. Diese Strafe war nämlich nach göttlichem Gebot (8) für ungehorsame Söhne vorgesehen. Onan hatte aber wohl ein weiteres göttliches Gesetz im Sinn (9): »Wenn jemand die Frau seines Bruders nimmt, so ist das eine abscheuliche Tat. Sie sollen ohne Kinder sein, denn er hat damit seinen Bruder geschändet.«

Wie sich Onan auch verhielt, er würde gegen ein mosaisches Gebot verstoßen. Was also sollte er tun? Er bracht den Geschlechtsverkehr kurz vor dem eigentlichen Zeugungsakt abrupt ab und zog sich so den Zorn Gottes zu (10). Gott tötete auch Onan (11). Dabei hatte doch Gott selbst verboten, dass »jemand die Frau seines Bruders nimmt«.Für so manchen Theologen ist das der Beweis dafür, dass Gott Empfängnisverhütung verbietet... und mit der Todesstrafe ahndet!

Und deshalb waren bislang auch Kondome ein absolutes NoNo für den Katholiken. Dieses absolute Verbot hat Papst Benedikt XVI. nun ein kleines Stück gelockert. Und das war, das muss der Verfasser anerkennen, für ein Oberhaupt der katholischen Kirche ein Riesenschritt... für die Menschheit aber nur ein sehr kleiner. Ernsthafte AIDS-Prophylaxe ist aber nur möglich, wenn das Kondomverbot ganz fällt: ganz und gar, grundsätzlich! Ernsthaft kann der Überbevölkerung nur begegnet werden, wenn das Verbot der Empfängnisverhütung, das für Katholiken nach wie vor gilt, ganz und gar fällt.

Es bleibt zu hoffen, dass dem kleinen Schritt für die Menschheit noch der eine oder der andere sehr viel größere folgt! Mit der Lockerung des Kondomverbots hat Papst Benedikt XVI. ein kleines Licht der Hoffnung entzündet ...

Fußnoten
1: Papst Benedikt im Interview mit Peter Seewald, zitiert in »BILD«, 23.11.2010, S. 11
2: »Katechismus der katholischen Kirche«, München 1993, S.776
3: 1. Buch Mose Kapitel 1, Vers 22
4: »Katechismus der katholischen Kirche«, München 1993, S. 432
5: ebenda, Seite 599, Artikel 2370
6: ebenda, Seite 599, Artikel 2370
7: Das 1. Buch Mose Kapitel 38, Verse 6-11
8: Das 5. Buch Mose Kapitel 21, Vers 18
9: Das 3. Buch Mose Kapitel 20, Vers 21
10: Das 1. Buch Mose Kapitel 38, Vers 9
11: Ebenda, Vers 10


Weitere Folgen der Serie »Mein Wort zum Dienstag« erscheinen sporadisch in unregelmäßigen Abständen....

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Sonntag, 21. November 2010

44 »Luzifer der Südsee«

Teil 44 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein

Es war ein ruhiger Herbstabend in den direkt am Karibikstrand gelegenen Ruinen von Tulum. Die Busse der Touristen waren abgefahren, die mysteriöse Anlage von Tulum war fast menschenleer... Ich kam mit einem amerikanischen Geistlichen ins Gespräch. Seine Vorfahren, bettelarme Weber aus Sachsen, hatten verzweifelt die Heimat verlassen und waren nach Michigan ausgewandert. Dort lebte er in einer kleinen dörflichen Gemeinde am Michigansee... als Geistlicher.

Gab es an Mexikos Karibikküste einst ein ›Babylon‹
wie in der Bibel? Foto: Walter-Jörg Langbein
»Es sind die Trümmer Babylons!« fauchte der ältliche Geistliche und machte mit beiden Armen weit ausladende Bewegungen. »Hier versuchten die Menschen ihren sündhaften Turm zu bauen...« Mit zitternden Fingern holte er eine zerfledderte Bibel aus seinem verschwitzten Jackett und zitierte Kapitel 11 des Buches Genesis:

»Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Da sie nun zogen gen Morgen, fanden sie ein ebenes Land im Lande Sinear, und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, laß uns Ziegel streichen und brennen! und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen: ›Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen, denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder!‹«

Meine heftigen Zweifel ließ der sich in Rage redende Gottesmann nicht gelten. Der Turm zu Babel, so warf ich ein, stand doch in biblischen Landen... und nicht im mexikanischen Tulum. Wütend ergriff mich der Gottesmann und führte mich zu den Resten des babylonischen Turms zu Tulum.

Der ›babylonische Turm‹ von Tulum?
Foto: Walter-Jörg Langbein
»Diese Treppenstufen stiegen einst die Menschen empor... zu sündigem Treiben hoch oben im satanischen Tempel!« schrie der Geistliche. Wieder zitierte er wutschnaubend aus dem Kapitel 11 des Ersten Buch Mose: »Da fuhr der Herr hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten.« Gott zerstörte den Turm und verwirrte die Menschen, heißt es in der Bibel. Sie verstanden einander nicht mehr, redeten nicht mehr in einer gemeinsamen, sondern in vielen Sprachen.

Die von der Bibel angebotene sprachliche Erklärung ist allerdings vollkommen falsch: Babel hat mit dem hebräischen »balal«, zu Deutsch »verwirren« nichts zu tun. Der Name Babel verweist auf eine recht unbiblische Geschichte. »Babel« leitet sich eindeutig vom Babylonisch-Sumerischen »bab-ili« her. »Bab-ili« heißt zu Deutsch »Tor der Götter«. Das reale Vorbild für den biblischen Bericht vom Turmbau zu Babel ist der babylonische Zikurrat. Zikkurats waren mehrstufige Türme. Ähnlich wie die ältesten Pyramiden dienten sie vermutlich als Ersatz für heilige Berge. Wer die höchsten Gipfel der Berge erklomm, der fühlte sich den kosmischen Göttern näher.

Rund zwei Jahrtausende vor Christus entstand das reale Vorbild für den biblischen Turm, der »Etemenanki«. Er ragte in Babylon direkt beim Tempel des Gottes Marduk hoch in den Himmel. Ganz oben gab es einen Tempel. In diesem Gotteshaus wurde die »Heilige Hochzeit« zelebriert.

Die Priesterin erklomm den Turm gen Himmel, die »Gottheit« kam vom Himmel herab und wartete im Heiligtum auf seine Partnerin. Gemeinsam zelebrierten sie dann die »Heilige Hochzeit« im Tempel.

Allerdings war es nicht der leibhaftige Gott selbst, der ins Brautgemach kam, sondern ein Stellvertreter. Babylonische Städte waren Stadtstaaten, die von einem Priesterkönig geleitet wurden. Der Priesterkönig und die Oberpriesterin vollzogen die »heilige Hochzeit«. Zwei Menschen aus Fleisch und Blut schlüpften in die Rolle von Göttern. Aus Sicht der Jahwepriester war das Blasphemie: Menschen, die sich für die Zeit des Rituals als Götter fühlten. Wenn das keine Gotteslästerung war! Es durfte nur einen Gott, nämlich Jahwe, geben! Und kein Mensch durfte sich wie ein Gott aufführen!

Der Turm zu Babel in seinem Umfeld. Rekonstruktion.
Foto: Archiv Langbein
Die »Heilige Hochzeit« gehörte schon vor vielen Jahrtausenden zum Jahreswechsel wie heutige Sylvesterfeiern mit Sekt und Feuerwerk. Der heilige Sex – Hurerei in den Augen der frommern Jahwe-Anhänger – sollte für ein weiteres Jahr Fruchtbarkeit gewähren: für Land und Leute. Mensch und Tier sollten sich weiter fortpflanzen können und ausreichend Nachwuchs haben. Mutter Erde sollte wieder genügend Nahrung für Mensch und Tier hervorbringen. Das ewige Rad des Lebens sollte sich wieder ein Jahr lang weiter drehen.

Dieser heilige Ritus wurde nicht in Babylon »erfunden«. Er wurde wohl schon Jahrtausende früher importiert und zelebriert: auf heiligen Bergen, deren hohe Gipfel dem Himmel näher waren als der Erde. Die Stufenpyramiden im babylonisch-assyrischen Bereich dürften Nachbildungen der heiligen Berge gewesen sein, errichtet von den Nachkommen der einstigen Ahnen, die aus einem bergreichen Land nach Babylon kamen.

Im heiligen Gemach des Tempels auf dem »Turm zu Babel« feierten der Priesterkönig und die Oberpriesterin das Ritual der »Heiligen Hochzeit«: der Priesterkönig in Vertretung von Gott Marduk, die Oberpriesterin für die Göttin Ischtar. Sollte es weltweit so etwas wie einen Urkult gegeben haben... von einem herabsteigenden Gott?

Gab es weltweit herabsteigende
Götter .. wie in Tulum?
Foto: Walter-Jörg Langbein
Wütend stapfte der empörte Geistliche davon. So abstrus seine Behauptungen auch zu sein schienen.. kann es nicht sein, dass sich in Tulum etwas Ähnliches abspielte? Wurde in sakralen Räumen von Tulum so etwas wie die »heilige Hochzeit« zelebriert.. zwischen dem mächtigen »herabsteigenden Gott« und der Göttin des Lebens Ix-Chel? Wurden im »Ur-Tulum«... lange bevor die Mayas kamen... ein uralter Ritus zelebriert, der das Fortbestehen des Lebens auf Planet Erde gewähren sollte?

Wie sich die Bilder gleichen... Beginnen wir mit der Bibel: Bei Jesaja (1) heißt es über den Sturz des Königs von Babylon: »Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern!« Jesus sagte nach Lukas (2): »Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.« Die biblische Tradition machte aus dem König von Babylon und dem Teufel, der vom Himmel stürzte... den Oberteufel Satan. In Tulum begegnet uns immer wieder plastisch dargestellt der »herabstürzende Gott«, der auch als »Abendstern« und »Blitz« gedeutet wird. In den Augen der christlichen Geistlichkeit war der »herabsteigende Gott« von Tulum der böse Luzifer.


Ein herabsteigender Luzifer von Tulum?
Foto: Ingeborg Diekmann
Wurde in Tulum ein Kult zelebriert, in dessen Mittelpunkt ein »herabsteigender Gott« stand... ein Kult, der den Fortbestand des Lebens auf Planet Erde gewährleisten sollte?

Wir wissen wenig über Tulum. Wo Wissen fehlt, wird auch von Wissenschaftlern viel spekuliert. Schriftliche Dokumente der Mayas mag es einst gegeben haben. Sie können uns keine Auskunft mehr über Tulum erteilen, wurden doch die Codices der Mayas von der katholischen Geistlichkeit gezielt gesucht und verbrannt. Stumm sind die Gemäuer von Tulum. Die Stuckskulpturen der herabsteigenden Götter sind oft übel zugerichtet und hüten uralte Geheimnisse. Werden wir sie jemals verstehen?

Wenn man aufpasst, dann kann man in Tulum dann und wann eine Begegnung beobachten... zwischen einem herabsteigenden Gott und einer Schwalbe, der Stellvertreterin der Göttin...zwischen dem Luzifer der Südsee und der Göttin....

Eine Schwalbe der Göttin und ein
herabsteigender Gott ... in Tulum.
Foto Ingeborg Diekmann
Fußnoten:(1) Der Prophet Jesaja Kapitel 14, Vers 12
(2) Das Evangelium nach Lukas Kapitel 10, Vers 18

Ich danke Frau Ingeborg Diekmann für die schönen Fotos!


»Das Geheimnis der Maria von Guadalupe«,
Teil 45 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 28.11.2010

Montag, 15. November 2010

Fulminanter Start für Tuna von Blumenstein: Bestsellerehren für »Der Tote im Zwillbrocker Venn«

Wenige Wochen nach seinem Erscheinen erklimmt Tuna von Blumensteins Debütkrimi bereits die BoD-Bestsellerliste:














Herzlichen Glückwunsch zu diesem großen Erfolg!

Buch jetzt bei amazon bestellen:

Sonntag, 14. November 2010

43 »Tulum - Tempel im Paradies«

Teil 43 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«,
von Walter-Jörg Langbein

Tulum - Mayafestung in der Karibik
Foto: Ingeborg Diekmann, Bremen
Nirgendwo habe ich das Meer so paradiesisch blau, den Sandstrand so weiß und den Nachthimmel so sternenklar gesehen wie hier. Nirgendwo laden rätselhafte Gemäuer mit geheimnisvollen Darstellungen von Göttern so zum Nachdenken ein wie hier. Nirgendwo in der realen Welt der sieben Meere fühlt man sich so sehr in die Filmkulissen der fantastischen Welt vom »Fluch der Karibik« wie hier. Kapitän Jack Sparrow könnte jeden Moment mit seiner Mannschaft landen... so scheint es... und versuchen, die steilen Klippen zu überwinden. Wird die steinerne Festung erobert werden können?

Am 4. März des Jahres 1517 sichteten hier Francisco Hernandez de Cordoba und seine Spießgesellen, die den übelsten Piraten der Karibik an Grausamkeit gewiss nicht nachstanden, nach langer Seefahrt Land. Am 4. März gingen die Spanier an Land... und wurden von den mexikanischen Indios kriegerisch empfangen. Ein Hagel von Pfeilen und Speeren prasselte auf die fremden Eindringlinge nieder. Die Spanier aber verfügten über Feuerwaffen. Baumwollpanzer und hölzerne Schilde taugten da nicht als Schutz. Fünfzehn mexikanische Indios wurden erschossen, zwei gefangen genommen. Die Spanier nahmen die geheimnisvolle Stadt auf den Klippen ohne weitere Probleme ein. Sie staunten über die »großen Häuser aus Stein und Kalk«. Sie nannten die alte Festung »das große Kairo«.

Stadt der Morgenröte
Foto Walter-Jörg Langbein
»Tulum«, die Festung, hieß einst »Zama«, »Stadt der Morgenröte«. Wann mag sie gegründet worden sein? In uralten Zeiten war Zama so etwas wie eine Pilgerstadt. Von hier aus traten die Anhänger der Göttin Ix-Chel die letzte Etappe ihrer Reise an: zur Insel Cozumel, um dort zur Göttin zu beten. Ix-Chel scheint eine der Urgöttinnen aus der Zeit des Matriarchats gewesen zu sein.... Sie war eine Fruchtbarkeitsgöttin, zuständig für Aussaat und Ernte, Leben und Tod. Ix-Chel war Erd- und Mondgöttin... wie so viele ihrer Vorgängerinnen überall auf der Welt. Ix-Chel schenkte den Menschen die Heilkunst, plagte sie aber auch mit Krankheiten.

Ix-Chel, auch »Göttin des Werdens« genannt, wurde mit der Schlange in Verbindung gebracht. Sollten Götter wie Kukulkan die Schlange der Göttin übernommen haben? Wurde Ix-Chel nur auf dem Eiland Cozumel verehrt, oder auch in Tulum. Wir wissen es nicht. Fest steht: »Tulum« bedeutet so viel wie »Festung« oder »Verschanzung«. Der Name ist mehr als passend: Tulum war einst von einer fast sieben Hundert Meter langen, vier Meter hohen und drei Meter dicken Mauer umschlossen. Nur zum Meer hin war sie offen. Doch unmittelbar hinter dem stolzen »Kastell« fällt eine steinerne Klippe steil zum Meer ab.

Die einst stolze Stadtmauer ist nur noch
zum Teil erhalten. Foto: Walter-Jörg Langbein
Zu meinem Befremden erkennt ein weit verbreiteter Reiseführer (1) in Tulum, deren Ruinen durch schlichte Schönheit bestechen, eine von »Dekadenz geprägte Architektur«. Dekadent, so will mir scheinen, sind eher Touristenhorden. Die immer wieder in die majestätische Ruinenstadt einfallen. Die Rede ist vorwiegend von amerikanischen Pauschaltouristen, die besonders preiswerte Touren von den USA aus unternehmen... mit »All you can eat and drink«-Angeboten! So viel essen und trinken wie man will, und das zu einem günstigen Pauschalpreis... das lockt nicht unbedingt nur Menschen an, die sich für die altehrwürdigen Ruinen von Tulum interessieren.

Tulum, der Tempel im Paradies, wird von Experten als »postklassisch« eingestuft. Die »dekadente Architektur« (was immer das sein mag) weise, so heißt es, auf das 12. oder 13. Jahrhundert hin. Auf einer Stele wurde allerdings das Datum 564 entdeckt. Stammt also Tulum schon aus dem sechsten Jahrhundert? Kritiker wenden ein, besagte Stele sei von den Mayas aus einer älteren Siedlung nach Tulum geschafft worden. Wann auch immer die Besiedlung durch die Mayas erfolgte... wann entstand das ursprüngliche Tulum, als Pendant zur Insel der Göttin?

Dekadente Architektur?
Foto: Walter-Jörg Langbein
Vor zwei Jahrtausenden siedelten die erste Mayas auf Cozumel. In der klassischen Periode (300 bis 900 n.Chr.) war die Insel so etwas wie das Mekka der Mayas. Die gläubige Maya-Frau absolvierte mindestens einmal im Leben eine Pilgerreise zur Göttin. Millionen von Maya-Frauen sollen im Verlauf der Jahrhunderte nach Cozumel gekommen sein.... bis Hernan Cortes anno 1519 auftauchte und die Maya-Kultur zerstörte. Allerdings werden auch heute noch auf Cozumel, der einst heiligen Insel der Schwalben – der Göttin kleine Opfergaben dargeboten, der christlichen Geistlichkeit zum Verdruss!

In der »weißen Mayastadt« Tulum finden sich keine sichtbaren Hinweise mehr auf die Göttin, wohl aber auf einen mysteriösen Gott. Wir kennen seinen Namen nicht mehr. In der Mythologie der Mayas wird er als »herabstürzender Gott« oder »herabsteigender Gott« umschrieben. War damit »Ah Mucen Cab« gemeint, der göttliche »Honigsammler«? »Ah Muzencab«, wie das mächtige himmlische Wesen auch genannt wurde, war in der Mythenwelt der Mayas ein Bienengott. Und in den heiligen Überlieferungen der Mayas war er ein »herabstürzender Gott«. Die »Chilam Balam«-Bücher preisen ihn als einen der Weltschöpfer. Einer der Tempel von Tulum war ihm geweiht... dem »herabstürzenden Gott«.

Tempel des herabsteigenden Gottes
Es mutet kurios an: Ein mächtiger Gott... als »Honigsammler«? In der Maya-Sprache bedeutet das Wirt »Honig« zugleich auch »Welt«. War dann der göttliche »Honigsammler« ein mächtiger, kosmischer Weltensammler? Wie auch immer: Offenbar stiegen in der Glaubenswelt der Mayas Götter vom Himmel herab... Im »Tempel im Paradies« wurden sie verehrt, diese kosmischen Wesen. Man findet sie immer wieder in Tulum. Die Abbildungen ähneln einander sehr: Immer wird die Gottheit mit dem Kopf nach unten und gespreizten Beinen nach oben dargestellt.

Mit einiger Fantasie erkennt man einen »Vogelschwanz« und »Flügel« an den Armen...

Das zentrale Gebäude von Tulum, der »Templo de los Frescos« (der »Freskentempel«) hat an zentraler Stelle die beschädigten Reste eines solchen Gottes aufzuweisen... Auch am »Castillo« wurde er in Stuck verewigt... der »herabstürzende Gott«. War es ein Gott... oder gehörten mehrere Gottheiten der geheimnisvollen Gruppe der Himmlischen an, die zur Erde herabkamen?

Einer der herabsteigenden Götter von Tulum
Foto: Ingeborg Diekmann
Fußnote
(1) »Knaurs Kulturführer in Farbe/ Mittelamerika/ Die Welt der Maya«, Lizenzausgabe München 1996, S. 293





»Luzifer der Südsee«,
Teil 44 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 21.11.2010

Donnerstag, 11. November 2010

Brandneu auf »Ein Buch lesen!«: Die Buchfindemaschine

Liebe LeserInnen,

vielen Dank, dass Sie uns nun schon seit geraumer Zeit in massiv steigender Zahl die Treue halten. Vielleicht haben Sie sich bei Ihren Besuchen hier schon manchmal gefragt:

»Die Leute von ›Ein Buch lesen!‹ wuseln, tun und machen so viel, dass ich gar nicht weiß, welches Buch von denen ich nun eigentlich lesen möchte!«

Wir wissen um dieses Problem. Und wir arbeiten daran. Ein erstes, konkretes Ergebnis ist heute online gegangen:  Die


Ja, liebe Freunde: Suchmaschinen waren gestern noch von heute, heute sind sie schon von gestern. Jetzt gibt es die Findemaschinen. Wenigstens eine davon. Die Buchfindemaschine. Ab heute wird es leicht für Sie sein, das Buch zu finden, das genau zu Ihnen passt. Denn Findemaschinen sind von heute und ersparen das Suchen von gestern. Und ehe die Findemaschinen von gestern sein werden, sollten Sie sie heute noch nutzen. :-)

Nicht um zu suchen. Sondern um zu finden:

Etwas zum Lesen. Und zwar eins unserer Bücher! Es wird Sie reicher machen. Und uns auch. :-))

Posten Sie einen Kommentar, wenn Sie das Buch Ihrer Wahl gelesen haben. Loben Sie uns. Beschimpfen Sie uns. Wer lobt, der liest, und wer schimpft, der kauft. Mit beidem können wir sehr gut leben. :-))) 


Bleiben Sie uns gewogen,

Ihrem Team von »Ein Buch lesen!«

Mittwoch, 10. November 2010

Die Lust einen Krimi zu schreiben! Teil III

… Ich musste diesen Gedanken unbedingt zu Ende denken. Wer war der Mörder?  Eine Frage, die mich ständig beschäftigte. Es fiel mir schwer, mich zu entscheiden. Da die Tatverdächtige, deren Fingerabdrücke sich auf der Tatwaffe befanden, bestritt, den Mord begangen zu haben, musste weiter recherchiert werden. Gut dachte ich mir, suche ich den Täter in einem anderen Umfeld. Ich ging Zeile für Zeile noch einmal genau durch. Das Täterprofil war erstellt, Fingerabdrücke und Beweismaterial waren spärlich, Zeugen gab es keine. Mit den vorliegenden Fakten musste der Täter nun dingfest gemacht werden. Oder war es am Ende doch die bereits Angeklagte? Fragen über Fragen, und ich musste die Lösung finden. Dazu war logisches Denken erforderlich. Ich nahm all meine infrage kommenden Verdächtigen noch einmal gründlich unter die Lupe. Mit jeder einzelnen Figur hatte ich Mitleid. Schon beinahe verzweifelt stand endlich »mein« Mörder vor meinem geistigen Auge fest.

Ich hatte es mir wirklich nicht leicht gemacht. Es war nur eine Kleinigkeit, mit der er/sie überführt werden konnte. Ich glaubte, die Lösung gefunden zu haben. Zufrieden war ich allerdings nicht damit. Aber einer oder eine ist immer der Luser. Wie bringe ich das jetzt geschickt zu Ende?, dachte ich mir. Die letzte Phase meines Krimis, so fand ich, war die schwierigste. Die Entscheidung, wer letztendlich die Tat begangen haben soll, musste sich mit den bisherigen Angaben und Vorfällen decken.  Der gesamte Handlungsablauf musste miteinander harmonieren und eine logische Schlussfolgerung ergeben. Eine kurze Unterbrechung war erforderlich. Es war doch schwieriger als ich dachte. Aber sollte ich jetzt aufgeben, wo ich so weit vorgedrungen war? In meinen anderen Romanen konnte ich meiner Fantasie freien Lauf lassen. Hier musste die Geschichte stimmig sein, damit sie nicht unglaubwürdig erschien. Nein, aufzuhören wäre feige gewesen. Außerdem hatte ich meine Protagonistin und auch die anderen Figuren lieb gewonnen. Es musste weitergehen.

Ich fragte vertraute Personen, ob die Art und Weise des Geschriebenen akzeptabel sei, was bejaht wurde. So begann ich mit dem letzten Abschnitt, den ich ohne meine Überzeugung richtig gewählt zu haben beendete. Ich war in das Geschehen zu sehr involviert, sodass sich die Gefühle mit einschalteten. Das hat Vor- und Nachteile. Wer außerhalb steht, kann die Lage besser und logischer überblicken. Wer sich jedoch von Gefühlen leiten lässt und genau weiß, wovon er schreibt, kann es glaubwürdiger herüberbringen. Egal wie, es ist geschafft. Der Krimi ist geschrieben und kürzlich erschienen. Im Nachhinein bin ich zufrieden. Ob der Inhalt gut ankommt und das Thema getroffen ist, müssen die Leser entscheiden.  Es ist der erste Krimi, den ich geschrieben habe. Ein zweiter ist nicht in Planung. 
Aber man kann nie wissen …

Ich wünsche allen Lesern spannendes Lesevergnügen!
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Lesen Sie auch Teil I

Sonntag, 7. November 2010

42 »Das Geheimnis der fliegenden Männer«

Teil 42 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«

von Walter-Jörg Langbein

Auf einem meiner Rundgänge durch die weitläufige Anlage von Chichen Itza zeigte mir ein tüchtiger Guide eine seltsame, verwaschene Gravur... »Das ist eine der legendären Himmellsschlangen, die einst zur Erde herabstiegen... Göttliche Besucher waren das...« Und dann verwies er mich auf eine uralte Zeremonie, die nur einen Steinwurf entfernt von der Kukulkan-Pyramide zur Aufführung komme: der Flug der Voladores....

Ein geheimnisvoller »Herabsteigender«
Zum ersten Mal erlebte ich die »fliegenden Männer«, die geheimnisvollen »Vogelmenschen«, im Sommer 1964... vor dem Pavillon von Mexico auf der Weltausstellung in New York. Ich war damals neun Jahre alt und staunte über eine wagemutige Demonstration von tollkühnen Akrobaten. Seither ist fast ein halbes Jahrhundert verstrichen, aber ich erinnere mich sehr genau an die unglaubliche Darbietung:

Ein Indio kletterte behände auf einen etwa fünfzig Meter hohen Mast. Dort oben war ein hölzernes quadratisches Viereck angebracht. Es ruhte offenbar auf einem Lager und konnte sich wie ein Rad auf der Spitze des Mastes drehen. Der erste Indio erklomm den Mast. Seine vier Kollegen umkreisten ihn am Boden. Dabei vollführten sie stets einen bestimmten Bewegungsablauf, der sich endlose Male zu wiederholen schien.

Die Männer gingen tänzelnd, sich immer wieder in kurzen Pausen verbeugend, um den Mast. Sie blickten, den Kopf weit in den Nacken geworfen, gen Himmel. Suchten sie etwas? Oben auf der Spitze spielte der erste Indio auf einer kleinen Flöte. Er stampfte mit den Füßen, bewegte sich im Kreis. Mit spielerischer Leichtigkeit erklommen nun die vier Indios die Höhe. Oben angekommen, schlangen sie jeweils ein Seil um ihr rechtes Fußgelenk und hielten kurz inne.

Aufstieg der Voladores
Foto: Walter-Jörg Langbein


Ihr Kollege auf der kleinen Plattform tanzte immer schneller ... die Vier stürzten sich in die Tiefe ... kopfüber. Nun bekann der Tanz der fliegenden Männer. Die Vier streckten ihre Arme weit aus, wie beschwörend, umreisten dabei den Mast ... sich auf weiter werdenden Kreisen gleichmäßig zur Erde bewegend. Ein Aufatmen ging durch die Menge, als die Männer den Flug vollendet hatten. Allein schon, wie die kopfüber hängenden stolzen Nachkommen der Mayas nach der letzten Runde wieder auf die Beine kamen, erforderte akrobatische Fähigkeiten!
Ich erinnere mich noch gut an die prächtige Kleidung der Voladores: rote Hose, weißes Hemd, rote Schärpe um die Schultern, dazu ein edler Federschmuck auf dem Kopf. So sehr mich die Leistung der Voladores auch beeindruckte, so beschlich mich auch ein seltsames Gefühl der Betroffenheit. Da standen wir Nachfahren jener wüsten Eroberer, die die hochstehenden Kulturen Zentral- und Südamerikas ausgelöscht hatten. Und die Nachfahren der Mayas führten zu unserer Erbauung Tänze auf.

Würde Winnetou, der von mir so verehrte Häuptling der Apachen, aus der Fantasiewelt Karl Mays, so für Touristen tanzen? War das mutige Treiben mit der Würde eines uralten Kulturvolkes zu vereinbaren? Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte habe ich die Voladores immer wieder gesehen: in Mexico City zum Beispiel, auch in Tulum, direkt an der Karibikküste Mexikos gelegen. In Details unterschieden sich die Darbietungen. Manchmal spielten die »fliegenden Männer« bei ihrem sausenden Weg nach unten auch noch Flöte. Aber egal wie hoch der Mast auch war, immer benötigten die vier Männer je dreizehn Umrundungen des Masts, bis sie am Boden ankamen. Dreizehn Umdrehungen pro Mann, das ergibt – bei vier Voladores – exakt 52 Umdrehungen.

Gleich stürzen sich die vier Voladores in die Tiefe.
Foto Ingeborg Diekmann


»Vor rund fünf Jahrhunderten entstand der Kult der Voladores!« habe ich in einer vielzitierten Internetquelle gelesen. Was für ein Unsinn: Die Spanier tauchten Ende des 15. Jahrhunderts in Mexiko auf, also vor rund 500 Jahren. Der »Tanz der fliegenden Männer« aber ist sehr viel älter. Er wurde lange vor der Zeit der spanischen Eroberer zelebriert... als Mittelamerika noch nicht »christlich zivilisiert« von den Europäern ausgeraubt worden war.

Der Kult der Voladores hat mit den alten Göttern zu tun, zum Beispiel mit Quetzalcoatl, dem »Morgenstern«. »Quetzalcoatl« lässt sich mit »Grünfederschlange« übersetzen. Quetzalcoatl war nicht die vom Christentum verteufelte Schlange aus dem Paradies-Mythos. Quetzalcoatl wurde nicht von einem Gott zum Herumkriechen verurteilt wie das Reptil der Bibel. Quetzalcoatl war selbst göttlich... und wird mit einer heiligen, fliegenden Schlange in Verbindung gebracht. Prof. Hans Schindler-Bellamy, Erforscher südamerikanischer Mysterien uralter Kulturen, im Interview: »Quetzalcoatl alias Kukulkan war die fliegende Schlange.«

Bildunterschrift: Der Absprung.
Foto: Walter-Jörg Langbein


Seltsam: die biblische Schlange wurde verteufelt. Sie bot den Menschen Wissen an. In der christlichen Glaubenswelt wird der Teufel mit Luzifer gleichgesetzt... mit Venus. Quetzalcoatl wird ebenfalls mit der Venus identifiziert... und der fliegenden Schlange!

Manchen Abend habe ich in den Ruinen von Chichen Itza verbracht und zu Füßen der Pyramide des Kukulkan über die Götter Süd- und Zentralamerikas nachgedacht. Immer wieder wurde mir bewusst, dass – wie zum Beispiel in der europäischen Mythologie – Götter in unterschiedlichen Regionen unterschiedliche Namen tragen. Es waren aber die gleichen Götter, die nur anders tituliert wurden. Manches Mal habe ich diesem geheimnisvollen Ritus beigewohnt. Zu Beginn umtanzen die Voladores den Pfahl, blicken suchend gen Himmel. Dann steigen sie empor und fliegen wie die mythologischen Schlangen zur Erde herab. Erinnern uns die Voladores an den Besuch von »Göttern« aus himmlischen Gefilden? Warteten die Mayas auf die Rückkehr dieser Götter? Offensichtlich! Die Azteken rechneten mit der Rückkehr der Mächtigen... und das wurde ihnen zum Verhängnis. Hielten sie doch zunächst die marodierenden Spanier für Götter, denen man sich als Mensch nicht widersetzen konnte!


Kopfüber geht es in die Tiefe
Foto: Ingeborg Diekmann

Quetzalcoatl, der Gott mit der »fliegenden Schlange«, wurde bei den Azteken verehrt. Die Mayas kannten ihn auch, sie nannten ihn Kukulkan. In anderen Gefilden, in den Anden, lautete sein Name Viracocha. Viracocha alias Quetzalcoatl alias Kukulkan war ein Kulturbringer, der in grauer Vorzeit den Menschen Wissen schenkte. Den Mayas soll er die Geheimnisse ihres komplexen Kalenders, der mit Jahrmilliarden rechnet, anvertraut haben. Als Viracocha kam er in der mythischen Zeit der Finsternis in die mysteriöse Stadt Tiahuanaco (1).

Harold Osborne hat sich intensiv mit der verwirrenden Götterwelt Mittel- und Südamerikas beschäftigt. Sein Werk über die Mythologie Südamerikas ist leider nur in englischer Sprache erhältlich. Ausführlich wird auf göttliche Himmelsschlangen hingewiesen, die den Menschen Kultur schenkten (2).
Viracocha alias Kukulkan brachte den Menschen »die Geschenke des Lichts und der Zivilisation« (3)... so wie der verteufelte Luzifer, dessen Namen Lichtbringer bedeutet!

Die Ursprünge des Kultes um die »fliegenden Männer«, die »Vogelmenschen« verliert sich in uralten Zeiten. Bis heute wird der uralte Ritus zelebriert... sehr zum Ärger der christlichen Kirche. Nachdem der alte Brauch nicht verboten werden konnte, wurde er christianisiert. Mag sein, dass die ersten »Voladores« in Tajin (etwa 300 Kilometer nordöstlich von Mexico-City gelegen) durch die Luft tanzten. Hier siedelten schon vor 6000 Jahren Menschen, Von der riesigen Kultstadt ist bis heute erst ein Zehntel erforscht.

Der Flug der Vogelmenschen
Foto: Walter-Jörg Langbein
In Tajin wird der »Voladores-Ritus« mit besonderer Inbrunst zelebriert. Die spanischen Eroberer sahen ihn als reinen Wettkampf an, ohne religiöse Bedeutung. Nur deshalb schritten sie nicht gegen den alten Brauch ein. Die Missionare der katholische Kirche hatten tatenlos zugesehen, wie die Kultur Mittelamerikas zerstört, wie gemordet und geplündert wurde. Angesichts der »Voladores« entdeckten sie ihr Sorge um das Wohlergehen der Mayas. Sie wollten es den Voladores verbieten, sich von ihrem hohen Mast in die Tiefe zu stürzen. Das sei doch zu gefährlich. In Wirklichkeit wollten sie die Erinnerung an uraltes heidnisches Wissen tilgen. Der Kult erwies sich aber als stärker und überlebte.. bis in unsere Tage.

Anstatt zu verbieten, wird nun von der katholischen Kirche der Kult in christliche Bahnen gelenkt. Alljährlich zum Fronleichnamsfest schweben die Voladores zu Boden. Gefeiert wird die leibhaftige Gegenwart Jesu in der Oblate und im Wein. Vergessen ist längst der wirkliche Ursprung der »Voladores«... so wie die Bedeutung von »Fronleichnam« auch im christlichen Abendland nur noch einer Minderheit bekannt ist.

Ich frage mich: Werden wir je die Wahrheit über die Schlangengötter, die vom Himmel herabstiegen und in den Kosmos zurückkehrten, erfahren?

Noch ein Herabsteigender von Chichen Itza
Foto Walter-Jörg Langbein




Fußnoten(1) Tiahuanaco, Bolivien, gehört zu den mysteriösesten Orten unseres Planeten. Monstersteine unvorstellbarer Größe wurden dort wie Bauklötzchen verbaut. Ich werde in einer kommenden Folge über meine Besuche in der Ruinenstadt berichten!

(2) Osborne, Harold: South American Mythology; London 1968

(3) Osborne, Harold: South American Mythology; London 1968, Seite 74

Hinweis: Die Fotos von den Voladores entstanden bei zwei verschiedenen Aufführungen!

Dank: Ein herzliches Dankeschön an Ingeborg Diekmann, Bremen, für die Genehmigung, ihre Fotos zu publizieren!



»Tempel im Paradies«,
Teil 43 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 14.11.2010

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